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Die Elektroschrott-Deponie Agbogbloshie in Ghana zählt zu den verseuchtesten Orten der Welt: Hier landen unsere alten Monitore und Küchenschränke. Rund 40.000 Menschen leben in Slum auf dieser Deponie. “Welcome to Sodom” zeigt ihre Lebensumstände und gibt ihnen Raum.

Welcome to Sodom - Dein Smartphone ist schon hier (2018)

Eine Filmkritik von Thomas Groh

Auf der Endmoräne des Spät-Kapitalismus

Erst heißt begehrt, dann ausgesetzt: Die technologischen Verheißungen von heute sind der lästige Schrott von morgen – wie nicht zuletzt das Straßenbild mancher Berliner Ecken nach Weihnachten zeigt, wo sich die riesigen Röhrenfernseher, klobigen Monitore und wuchtigen CD-Spieler stapeln. Irgendwann verschwinden dann auch diese melancholischen Relikte der Mediengeschichte aus dem Blick und damit aus dem Bewusstsein.

Wenn es gut läuft, finden sie ihren Weg via Recycling in den Wertstoffkreislauf zurück. Wenn es schlecht läuft, landen sie via illegaler Müll-Exporte in Ghana, auf der riesigen Elektroschrott-Deponie Agbogbloshie, einem der verseuchtesten Orte der Welt, auf und von dem rund 40.000 Menschen leben. Mit Welcome to Sodom widmen die Filmemacher Florian Weigensamer und Christian Krönes den Menschen dort und ihren Lebensumständen ein zwar sprödes, aber gerade dadurch umso intensiveres dokumentarisches Porträt.

„Sodom“, so nennen die Bewohner diesen Ort selbst. Die aufsteigenden giftigen Dämpfe, die immer wieder lodernden Flammen, der mitunter surreal schwankende Grund – das Areal steht auf einem Wasserreservoir, heißt es einmal -, die erdrückende Allgegenwart verdreckter Alltagsgegenstände, die vor ihrer Durchnutzung noch Wohnkomfort versprachen, sich jetzt aber wie Elefantenfriedhöfe auftürmen, all dies verströmt in der Tat eine bedrückende Endzeit-Atmosphäre – zumindest in unseren westlichen Augen. Für viele der Menschen, die hier, im letzten Glied der kapitalistischen Verwertungskette ihr Dasein fristen, stellt der Müll eher eine Art dürftige Gold-, genauer: Metallmine dar.

Mühsam kloppen sie aus Röhrenmonitoren und Kühlschranken das ersehnte Metall, andere verbrennen kiloweise Kabel, um das Plastik wegzuschmoren – unter freiem Himmel, ohne Atemschutz. Beeindruckend ist es, mit welcher Effizienz ein alter Bus entkernt und zu einem Dinosaurierskelett des mobilen Zeitalters wird. Wieder andere haben die Elektromagnete aus alten Musikboxen freigelegt und zehren auf diese Weise das letzte bisschen Metall aus dem staubigen, von Plastikfetzen durchsetzten Boden. Kommt genügend Rohstoff zusammen, landet es für einen kleinen Preis beim Händler. Dieser Ertrag landet wieder im üblichen Wirtschaftskreislauf, das Metall wird zu Töpfen gegossen. Gehandelt und gefeilscht wird an jeder Passage dieser Ökonomie: In den auflaufenden Endmoränen des digitalen, abstrakt gewordenen Spät-Kapitalismus taucht mit einem Mal seine Vorform des Tauschhandels wieder auf. Und aus vergilbtem Monitorgehäusen werden mit einem Mal Hocker, angeschrägte Liegeflächen für den Kopf oder Tragebehältnisse.

Welcome to Sodom ist ein behutsamer, zurückhaltender Film. Eine gewisse Faszination für die düstere Realität des Slum-Lebens ist ihm insbesondere in der von ambientem Dröhnen geprägten Tonspur zwar nicht abzusprechen, doch auf spät-koloniale Exotismen und andere Übergriffigkeiten verzichtet der Film zum Glück: Welcome to Sodom beobachtet, ohne preiszugeben, schildert eine Lebensrealität, ohne sie für die eigene Agenda (“Nieder mit …!”, “Spendet für …!”) in den Dienst zu nehmen, verzichtet auf paternalistische Voice-Over und führt das karge Dasein der Slum-Bewohner auch nicht den Erwärmungsbedürfnissen eines westlich-bürgerlichen Publikums zu, das mit dem Ziel ins Kino geht, sich seine eigenen guten Ansichten bestätigen zu lassen.

Stattdessen lassen Weigensamer und Krönes die porträtierten Menschen selbst zu Wort kommen. Nicht in konfrontativen Interview-Situationen, sondern in Form literarisch anmutender Voice-Over über den Filmaufnahmen aus ihrem Alltag. Sie sprechen über ihre Träume und Wünsche, darüber, wie sie den täglichen Kampf mit den Umständen bewältigen. Der eine hat die Geschäftsmann-Attitüde verinnerlicht, träumt davon, inmitten des Schrotts auf einen funktionierenden Monitor zu stoßen, der ihm ein kleines Vermögen einbringen würde. Ein stromernder Junge gibt sich im Verlauf des Films als Mädchen zu erkennen — als Junge könne es besser handeln und sich durchschlagen. Ein anderer will nach Europa, wo er endlich mal jemand sein könne. Und noch ein anderer, schwul und jüdisch, träumt von einem Leben ohne Angst, wo man einfach in Ruhe gelassen wird. Und die Kids? Sitzen in improvisierten Studios, rappen ins Mikro und experimentieren mit Autotune, ähnlich wie ihre Altersgenossen in Paris und Los Angeles.

Auch der 2014 überraschend verstorbene, österreichische Filmemacher Michael Glawogger hat für seinen post mortem fertig gestellten Film Untitled Orte wie Agbogbloshie aufgesucht und dort Beobachtungsfragmente eingefangen. Doch wo Glawogger von einer ästhetisierenden Position aus den poetisch-ekstatischen Überschuss suchte, bleibt Welcome to Sodom – nicht zuletzt dank seiner vielen niedrigen Kameraperspektiven – buchstäblich auf dem Boden der Tatsachen: Kino-Existenzialismus, Film verstanden als ein Mittel, einen Splitter Realität einzufangen. Mit einem Mal wirken die Scharmützel unserer westlichen Wohlstandswelt sehr klein, sehr künstlich, sehr virtuell. Die Menschen von Agbogbloshie ficht das nicht an: Sie haben händeringend genug damit zu tun, das eigene Überleben sicherzustellen. Einmal skippen zwei von ihnen die Fotos auf einem gefundenen Handy durch und amüsieren sich über die “white men” in ihren Wohlstandskokons.

Welcome to Sodom - Dein Smartphone ist schon hier (2018)

Smartphones, PCs, Monitore: 250.000 Tonnen Elektro-Müll aus einer weit entfernten, digitalisierten Welt landen jedes Jahr auf einer illegalen Deponie in Ghana, der größten Elektromüllhalde der Welt. „Sodom“ wird der Ort genannt, an dem Tausende von Erwachsene und Kinder wohnen und – im hochgiftigen Dampf des verbrennenden Schrotts – arbeiten. Willkommen im Leben der einfallsreichen Protagonisten an diesem apokalyptischen Ort.

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