Vom Ordnen der Dinge

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Zählen, messen, das Chaos bezwingen

Die Deutschen sind für ihre Ordnungsliebe beühmt und berüchtigt. Diese Leidenschaft, alles an seinen Platz zu stellen, genau und korrekt zu sein, kann auch schnell ins Unsinnige kippen. Das führt der neue Dokumentarfilm von Jürgen Brügger und Jörg Haaßengier (Ausfahrt Eden) auf humorvolle Weise vor. Er porträtiert Menschen, die viele Stunden am Tag sortieren, zählen, klassifizieren. Einige tun das beruflich, für andere ist es ein Hobby. Gerade letztere wirken oft schon auf den ersten Blick skurril. Dass aber das institutionelle Ordnen noch viel merkwürdiger sein kann, offenbart sich erst bei näherer Betrachtung. Das menschliche Streben nach Perfektion verträgt sich nämlich offenbar grundsätzlich nicht mit der natürlichen Komplexität der Dinge. Wer ernsthaft Ordnung schaffen will, kommt schnell vom Hundertsten ins Tausendste. Dann rotiert ein zunächst sinnvoll erscheinendes System hauptsächlich um sich selbst.
Ordnung schaffen hat viele verschiedene Aspekte. Es kann bedeuten, zu Studienzwecken Schätze zu sammeln, wie das im Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn geschieht. Dort gibt es fein säuberlich etikettierte Tierpräparate, zum Beispiel südamerikanische Pfeiffrösche, und Schubladen voller Insekten und Spinnen aus aller Welt. Auch der pensionierte Postbeamte Hubert Klinke sammelt, und zwar Statistiken, die er handschriftlich notiert: Wie viele Getränkedosen wurden pro Monat in die Abfallbehälter des Wandervereins geworfen? Solche Zahlen hält er fest, weil es ihm Spaß macht. Für zwei junge Männer ist hingegen die Selbstoptimierung wichtig, wenn sie so oft wie möglich ihre „Gehirnwellen checken“, auch mobil auf dem Smartphone. Buchhaltung zu Forschungszwecken, das verheißt Kontrolle — über sich selbst und die Außenwelt.

Quasi als Running Gag dient dem Film ein geodätisches Vermessungsteam, das mit seinen Geräten überall auftaucht: auf der grünen Wiese, an Straßenkreuzungen. Wie ein Mitarbeiter erklärt, soll es amtliche Höhenfestpunkte in Deutschland bestimmen, da sich im Laufe der Jahre der Boden nach unten oder oben bewegen kann. Weil die Satellitentechnik noch nicht ausgereift genug für diese Aufgabe ist, muss sie hier ein letztes Mal manuell vorgenommen werden. Wenn der Mitarbeiter erzählt, dass selbst ein Sandkorn unter dem Bolzen das Ergebnis verfälschen kann, es andererseits aber gar keinen dauerhaften Festpunkt auf der Erde gibt, bekommt das ganze Projekt einen absurden Zug.

Im potenziellen Atomendlager Gorleben kann gar nicht oft genug gemessen werden, wie dicht die Stollen sind: Diese Datenfülle soll irgendwann eine Prognose über den Zeitraum von einer Million Jahren ermöglichen. Hier bekommt der Film eine deutlich gesellschaftskritische Note, während es beim Thema Marktforschung wieder lustiger wird. Die Sinus-Milieu-Forschung ordnet Menschen aufgrund ihrer Werte und Vorlieben gesellschaftlichen Gruppen zu: Der sogenannte „Performer“ schätzt kubistische Häuser mit Flachdach, der liberale Intellektuelle hingegen wohnt lieber in einer Stadtvilla mit Walmdach. Solche Erkenntnisse erhalten die Forscher, indem sie sich im Detail die Wohnungseinrichtung von Referenzpersonen anschauen. Oft könne man schon im Bereich der Eingangstür erkennen, sagt ein Mitarbeiter, mit welchem Milieu man es hier zu tun habe. Als Zuschauer beginnt man zu ahnen, dass es in diesem lückenlosen Ordnungssystem zu wenig oder gar keinen Platz für Dynamik, Veränderung, Abweichung gibt.

Die Filmemacher verzichten auf einen Off-Kommentar und hörbare Interviewfragen. Von Musik untermalte Collagen aus Formen, Mustern, Vogelschwärmen, Wolken, akkurat auf einer Wäscheleine aufgehängten Kleidungsstücken lockern den Inhalt auf. Auch die Autoren selbst erliegen den Verlockungen des Ordnungmachens, wenn sie ihre Beobachtungen und die Äußerungen der Protagonisten dramaturgisch akkurat auf Linie bringen. Denn damit reduzieren sie die inhaltlich breit gestreuten Beispiele allzu stark auf den einen Aspekt des unsinnigen Perfektionismus. Alles in allem aber ist dieser thesengeleitete Ausflug in die wundersame Welt der Ordnung kurzweilig, vergnüglich und auf unbekümmerte Weise weder ausgewogen, noch gründlich.

Vom Ordnen der Dinge

Die Deutschen sind für ihre Ordnungsliebe beühmt und berüchtigt. Diese Leidenschaft, alles an seinen Platz zu stellen, genau und korrekt zu sein, kann auch schnell ins Unsinnige kippen. Das führt der neue Dokumentarfilm von Jürgen Brügger und Jörg Haaßengier („Ausfahrt Eden“) auf humorvolle Weise vor.
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Meinungen

Jörgi · 18.10.2015

Fand' den Titel etwas irreführend: Es geht gar nicht um's Aufräumen, aktives Ordnung-Schaffen, sondern um Zählen und Daten-Erfassen (Statistik!), Mustererkennung usw. Die meisten gezeigten Beispiele sind einfach nur skurill bis absurd, aber das eine oder andere gezeigte Beispiel hat durchaus einen wissenschaftlichen Hintergrund. Ganz ehrlich .... hab' lange nicht mehr soviel gelacht im Kino wie bei diesem Film! :-)

Kritiker · 28.05.2014

.....Dinge, die die Welt nicht braucht - sorry!!!!