Voir du pays

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Von der äußeren Kriegsfront an die innere

Wenn SoldatInnen aus dem Krieg heimkehren, lassen sie ihn noch lange nicht hinter sich. Der Begriff posttraumatische Belastungsstörung ist mittlerweile zwar bekannter als noch zu Zeiten des Vietnamkriegs, dennoch erhalten immer noch zu wenige Betroffene fundierte psychologische Unterstützung. In dem Drama Die Welt sehen aber wird eine französische SoldatInnengruppe nach dem Einsatz in Afghanistan nicht sofort zurück nach Frankreich gebracht. Vorher steht noch ein dreitägiger Aufenthalt in einem Luxus-Resort auf Zypern an. Das Programm, das vom Militär verordnet ist, besteht aus Erholung und Dekompression, einer therapeutisch intendierten Erinnerung an die traumatisierenden Ereignisse im Gespräch. Vor der gesamten Gruppe sollen die SoldatInnen einzeln erzählen, was sie am meisten belastet, und dabei mit Hilfe von Virtual-Reality-Technik den Ort des Geschehens bildlich wieder aufsuchen.
Doch die beiden Freundinnen Aurore (Ariane Labed) und Marine (Soko) wollen vor allem eines nicht: als psychisch angeknackst gelten. Sie betrachten den Fragebogen, der ihnen im Flugzeug ausgehändigt wird, als eine Art TÜV-Prüfung mit dem Ziel der Ausmusterung. So haken sie alle Fragen nach seelischer Belastung verneinend ab. Doch kaum sind die Freundinnen und ihre männlichen Kameraden im Resort angekommen, macht sich diese bemerkbar. Marine und einige der jungen Männer sind so unter Druck, dass sie aus nichtigem Anlass explodieren. Im Speisesaal, beim Badeausflug, im Fitnessraum eskalieren kleinste Konflikte, wird aus scherzhaften Reibereien Ernst.

Aurore erzählt vor dem Plenum, wie sie mit anderen unter feindlichen Beschuss geriet, Menschen sterben sah und selbst von den KameradInnen verletzt zurückgelassen wurde, eine gefühlte halbe Ewigkeit. Besorgt kümmert sie sich nun um Marine, die nicht sprechen will und trotzdem immer unruhiger zu werden scheint. Irgendwann wird ein Soldat in seiner Erinnerungsarbeit zutage fördern, was Marine vor ihrer Freundin zu verbergen sucht.

Die beiden Schwestern Delphine und Muriel Coulin interessieren sich als Regisseurinnen und Autorinnen – das Drehbuch basiert auf einem Roman von Delphine Coulin — wie schon in 17 Mädchen für die spezifisch weibliche Perspektive. Sie nehmen zwar auch die Traumatisierung der als Nebenfiguren auftretenden männlichen Soldaten ins Visier, beobachten aber vor allem, wie sie sich den Frauen gegenüber verhalten. Bei einem nicht genehmigten Ausflug aufs Land, den Marine und Aurore mit einer dritten Frau in Begleitung einheimischer Männer unternehmen, ist es schnell wieder vorbei mit der Gleichheit der Geschlechter, wie sie die Uniform vorgaukelte. Ein paar Soldaten folgen den Frauen, eifersüchtig, Streit suchend, besitzergreifend.

Die stärksten Szenen hat der Film im Resort selbst, wo sich der Gegensatz zwischen den SoldatInnen, die Befehle und Kleidervorschriften befolgen, und den unbeschwerten TouristInnen beinahe schmerzlich bemerkbar macht. Die Idylle mit Meerblick, das paradiesische Ambiente mit Freiluftdisco und Poollandschaft wirkt aus Sicht der KriegsheimkehrerInnen schon regelrecht surreal. Sie fühlen sich hier erst recht der Normalität entfremdet.

Das prekäre Verhalten Marines und einiger Männer ist sehr authentisch dargestellt, erinnert es doch an die Protagonisten des Dokumentarfilms Of Men and War von 2014. Diese absolvierten als amerikanische Kriegsheimkehrer eine längere stationäre Psychotherapie und hatten ganz ähnliche Schwierigkeiten, sich ihre Probleme einzugestehen. Dieser Film lief in Deutschland leider nicht in den Kinos, aber auch wer das dänische Drama A War von Tobias Lindholm aus dem Jahr 2015 gesehen hat, wird Parallelen zu Die Welt sehen erkennen. Denn die Berichte der SoldatInnen bringen schrittweise ans Licht, wie sehr sie sich für folgenschwere Handlungen oder Unterlassungen im Gefecht persönlich verantwortlich fühlen.

Der Film der Schwestern Coulin beeindruckt wegen seines Realismus. Aber er bleibt irgendwie auf halbem Wege stecken. Diese dreitägige Interventionsmaßnahme, die sich das Militär für seine SoldatInnen ausgedacht hat, reicht eindeutig nicht aus, um sie psychisch zu kurieren. Den Frauen widerfährt zudem auf dem Landausflug erneut Schlimmes, das danach einfach so im Raum stehen bleibt, fast als wäre nichts geschehen. So zeigt der Film nicht nur, was die beiden Protagonistinnen alles mehr oder weniger mit sich allein ausmachen müssen, er schaut auch selbst bald nicht mehr so genau hin, ob und wie sie das schaffen.

Voir du pays

Wenn SoldatInnen aus dem Krieg heimkehren, lassen sie ihn noch lange nicht hinter sich. Der Begriff posttraumatische Belastungsstörung ist mittlerweile zwar bekannter als noch zu Zeiten des Vietnamkriegs, dennoch erhalten immer noch zu wenige Betroffene fundierte psychologische Unterstützung. In dem Drama „Die Welt sehen“ aber wird eine französische SoldatInnengruppe nach dem Einsatz in Afghanistan nicht sofort zurück nach Frankreich gebracht.
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