Villa Amalia

Eine Filmkritik von Lena Kettner

Die Kraft der Einsamkeit

Ein letztes Mal sitzt die Pianistin Ann an ihrem geliebten Flügel. Traurige Klänge erfüllen den Raum, der einmal ihr Wohnzimmer war. Bald wird dieses Instrument Geschichte für sie sein, wie auch ihr Appartement, ihr Auto, ihr Job und ihr Konto. Doch es sind nicht nur ihre ständig wiederkehrenden Panikattacken, die zu einem radikalen Bruch mit ihrem bisherigen Leben führten. Denn Ann hat ihren Mann bei einem innigen Kuss mit einer fremden Frau beobachtet, als sie ihm eines Abends mit dem Auto gefolgt war. Nach dieser grenzenlosen Enttäuschung wagt sie einen Neuanfang und verlässt Frankreich in Richtung des Sehnsuchtslands Italien. „Die Beine sind für den Körper bestimmt, die Erinnerungen für das Herz“, wird ihr eine alte italienische Bäuerin später sagen.
In schnellen Einstellungswechseln folgt die Kamera der Protagonistin, deren unvermittelter Ausbruch aus ihrem bisherigen Leben erahnen lässt, dass es wohl nicht nur der Kuss ihres Mannes war, der sie zu der Entscheidung, alle hinter sich zu lassen, bewogen hat. Ann ist in Benoît Jacquots Film Villa Amalia nicht nur physisch, sondern auch mental angekommen in diesem malerischen Ort irgendwo an der italienischen Küste. Befreit von beruflichem und privatem Ballast findet sie in der Einsamkeit einen Weg zurück zu sich selbst. Die warmen Strahlen der Sonne tauchen nicht nur die pittoreske Landschaft in ein freundliches Licht, sondern hellen auch das Gemüt der von unterdrückter Verzweiflung und Wut erfüllten Ann auf. Die Kälte und Härte dieser zutiefst gekränkten Frau weichen schließlich der Entschlossenheit, ihr Leben neu zu entdecken und zu genießen. Doch nicht nur sie selbst, auch ein halb verfallenes Haus hoch über den Klippen — die Villa Amalia – erfährt eine Art Renaissance. Ähnlich wie mit Anns Appartement in Frankreich sind auch mit diesem Ort schmerzliche Erinnerungen verbunden, wie sie bald erfahren muss. Der Bruder einer alten, mürrischen Bäuerin, deren Vertrauen Ann erst nach einigen Anlaufschwierigkeiten erwerben kann, baute das Haus für seine früh verstorbene Schwester und lebte bis zu seinem eigenen Tod in tiefer Trauer in der Villa Amalia. Doch nun prägen Hoffnung, Optimismus und eine Aufbruchsstimmung seit Anns Erscheinen diesen Ort, der seit Jahren nicht mehr betreten wurde.

Villa Amalia konzentriert sich ganz auf das virtuose Spiel seiner Hauptdarstellerin Isabelle Huppert, die bereits in Filmen wie Schule des Begehrens / L’École de la Chair (1998) mit Benoît Jacquot zusammenarbeitete. Huppert gelingt es durch eine beeindruckende Gestik und Mimik, dem Zuschauer einen Einblick in das Seelenleben ihrer vom Leben gezeichneten Figur zu gewähren. Die Kamera behält die Protagonistin des Films stets im Fokus und fängt ihre Gefühlsregungen in langen Einstellungen ein. Dabei umschwebt Hupperts Figur jedoch immer die Aura des Geheimnisvollen, denn nie legt der Regisseur alle Facetten ihres Wesens offen frei. Im einen Moment ist Ann ein junges, unbekümmertes Mädchen, im nächsten Moment eine verbitterte Frau, die ihre besten Jahre bereits hinter sich hat.

Immer wieder tauchen Versatzstücke aus Anns Kompositionen auf, die die Erinnerung an ihre Vergangenheit wachrufen. Der französische Filmkomponist Bruno Coulais (Unsere Ozeane, 2009) schuf ein musikalisches Panoptikum, das die Grenzen zwischen Traum und Realität verwischen lässt. Nur skizzenhaft bekommt man einen Eindruck von Anns neuem Leben. Sie wagt sich zu weit ins Meer hinaus und wird schließlich von einer jungen Frau, die in Begleitung eines jungen Mannes auf einem Boot unterwegs ist, gerettet. Nach einem harten Schnittwechsel beobachtet man sie im Bett mit eben dieser jungen Frau. Ihre zwischenmenschliche Beziehung bleibt ebenso rätselhaft wie Anns Verhältnis zu Georges (Jean-Hugues Anglade), einem Freund aus Kinderzeiten, der sie in ihrem neuen Zuhause besucht.

Dass Anns seelische Verletzungen viel tiefer liegen, offenbart sich spätestens, als ihre demenzkranke Mutter stirbt. Ann verlässt den verwunschenen Ort der Villa Amalia und muss sich nun wieder der Realität in der Heimat stellen. Auf der Beerdigung begegnet sie ihrem Vater, von dem sie sich immer zurückgestoßen fühlte. In dieser aufwühlenden Situation gelingt es Ann, ihre innere Ruhe zu bewahren und eine Aussprache mit dem von ihr bisher ungeliebten Menschen zu wagen. Zum ersten Mal lässt die sonst so souveräne Ann ihren Tränen freien Lauf und kann erst jetzt wirklich mit der Vergangenheit abschließen. Sie wird zurückkehren an den Ort, der ihr ihre Freiheit zurückgab. „Einsamkeit ist der Weg, auf dem das Schicksal den Menschen zu sich selber führen will“, sagte Hermann Hesse. Diese Einsamkeit ist die Kraftquelle von Anns Leben, traurig und wunderschön zugleich.

Villa Amalia

Ein letztes Mal sitzt die Pianistin Ann an ihrem geliebten Flügel. Traurige Klänge erfüllen den Raum, der einmal ihr Wohnzimmer war. Bald wird dieses Instrument Geschichte für sie sein, wie auch ihr Appartement, ihr Auto, ihr Job und ihr Konto.
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Meinungen

Hans Birk · 28.11.2010

Das übliche Thema, ein/e Partner/in geht fremd und der/die andere ist darüber gekränkt. Wie langweilig.

Borux · 10.11.2010

Ich sehe die Huppert immer wieder gerne, bin schon gespannt darauf!

Michaela · 30.09.2009

Traumbesetzung und hoffentlich bald in Deutschland zu sehen!