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Stieg Larssons Millenium-Reihe wird mit der Verfilmung von David Lagercrantz‘ Verschwörung fortgesetzt. Kann Claire Foy in der ikonische Rolle der Lisbeth Salander überzeugen?

Verschwörung (2018)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Blut auf Schnee

Eine Spinne ziert die Leinwand, dann krabbelt sie über ein Schachbrett, an dem zwei Mädchen sitzen. Sie schauen einander in die Augen, im Hintergrund ist ein leicht heruntergekommener, großer Raum, der kalt wirkt. Ohnehin ist alles kalt in diesem seltsamen Haus. Ist es ein Waisenhaus? Ein Versteck? Dann erfahren die Mädchen, dass ihr Vater sie zu sehen wünscht. Die eine ist alarmiert, die andere folgsam. Sie fassen einander an den Händen, gehen über den Flur, sehen eine wankende Frau verschwinden und stehen schließlich in dem Zimmer, in dem der Vater ist, von Mikael Persbrandt in dem körperbekannten Overacting gespielt, das er in internationalen Produktionen fast immer, in schwedischen nur selten zeigt. Dieser Mann, so viel ist klar, ist gefährlich, sadistisch, er kennt keine Tabus. Und so passiert, was passieren muss: Das folgsame Mädchen hört auf den Vater, geht einen Schritt auf ihn zu – und das andere Mädchen flieht mit einem beherzten Sprung in die Tiefe.

Dieser Auftakt von Verschwörung ist ganz im Stil des düsteren Schwedenkrimis, in dem meist Winter und oft weibliche Figuren die Leidtragenden sind, ehe sie sich dann zu ungeahnten Höhen aufschwingen. Einer der maßgeblichen Beiträge zu diesem Figurenmuster stammt von Stieg Larsson, dessen Verblendung 2005 eine faszinierende Frauenfigur schuf: Lisbeth Salander, in ihrer Kindheit und Jugend psychisch, physisch und sexuell missbraucht, als Erwachsene eine einsame Rächerin, die sich in Rechner hackt und Männer bestraft. Eine Art neue Heldin, die in der schwedischen Verfilmung von Nikolas Arcel und Rasmus Heisterberg zu einer aktiven, mutigen, schonungslosen Frau wird, in den anderen Verfilmungen und bei Larsson aber passiver ist. Sie ist eine der ikonischsten Figuren der Gegenwart, deshalb stellt sich gleich zu Beginn die Frage, warum ein Film, der sie nun zurück auf die Leinwand bringt, in ihrer Kindheit ansetzt. Geneigte Krimizuschauer ahnen natürlich den Grund: Hier liegt der Schlüssel zu dem Fall. Doch warum gibt Regisseur Fede Alvarez ihn zu einem so frühen Zeitpunkt aus der Hand?

Bevor nun der eigentliche Fall beginnt, wird noch die gegenwärtige Lisbeth Salander eingeführt – und zwar mit einer eigenwilligen Aktion, in der sie einen Mann bestraft, der seine Frau misshandelt. Männer, die Frauen hassen ist der übersetzte Originaltitel des ersten Teils und gewissermaßen ein roter Faden, der sich durch die Bücher zieht. Deshalb könnte dieser zweite Anfang eine Erinnerung sein, ein Verweis auf die vorherigen Filme und Bücher, der zugleich klar macht, dass mit dieser Frau nicht zu spaßen ist. Aber mit dem Rest von Verschwörung hat er nichts zu tun. Da geht es um ein Programm, dass der Ex-NSA-Mitarbeiter Frans Balder (Stephen Merchant) entwickelt hat. Mit ihm lassen sich alle Nuklearraketen der Welt kontrollieren. Aber er hat die Gefahren unterschätzt und will nun, dass die hackenden Renegatin Lisbeth Salander das Programm stiehlt.

Eigentlich ein spannender Fall, an dem sich viel über die Globalisierung und Digitalisierung des Verbrechens ablesen ließe. Aber es wird viel zu viel immer wieder erklärt und in Erinnerung gerufen, dazu fehlen die Überraschungen. Verschwörung ist die Verfilmung eines Buchs, das Larsson nicht selbst geschrieben hat. Seine Bücher wurden nach seinem Tod erfolgreich, dann wurde die Reihe von David Lagercrantz weitergeführt. Die Adaption intendiert ein Reboot der Filmreihe, aber letztlich setzt sie fort, was schon bei Finchers Remake zu erkennen war: In den Verfilmungen werden schmutzigen Ecken und Kanten, die Widersprüche der Figuren und Geschichten immer weiter abgeschliffen. Setzte Finchers Film dagegen eine bestechend unterkühlte, stringente Ästhetik, finden sich hier vor allem Bilder, die Größe behaupten, aber doch bekannt wirken. Vielleicht schneit es deshalb auch, immerhin sieht Blut auf Schnee beeindruckend aus.

Dazu kommt eine seltsame Positionierung: Der Film soll gleichzeitig universell und alleine stehen, macht aber zudem deutlich, dass er zu einer Reihe gehört. Doch Mikael Blomkvist (Sverrir Gudnason; Borg/McEnroe) bleibt eine Nebenfigur, die allenfalls Stichworte liefert und letztlich vor allem Ballast ist. Es ist gar nicht klar, warum er überhaupt dabei ist – außer, weil er nun einmal dazu gehört. Noch eklatanter wird das bei Vicky Krieps als Erika Berger deutlich, die völlig an den Rand gedrängt ist und allenfalls hübsch-klug aussehen und besorgt schauen darf. Der  Film braucht beide Figuren nicht, sie bleiben ebenso austauschbar wie die familiären Traumata und Handlungselemente.

Daher bleibt es Claire Foy überlassen, nicht nur den Sohn von Frans Balder, sondern auch diesen Film zu retten. Rein äußerlich entspricht sie dem Typ von Noomi Rapace und Rooney Mara – aber ihre Salander ist körperlich stärker, sie wirkt robuster und weniger verwahrlost. Das Drachentattoo auf dem Rücken ist kleiner geworden, auch ihre zerstörerischen Tendenzen gegenüber sich selbst und anderen sind reduziert. Dadurch wirkt sie tougher, internationaler – wie eine Action-Heldin im Stil eines James Bond. Sie gewinnt letztlich immer. Aber damit verkennt der Film, dass es gerade das Scheitern und die Unerklärlichkeit von Lisbeth Salander ist, die die Faszination für ihre Figur ausmacht. Es war bisher immer möglich, in Salander gleichermaßen eine feministische Heldin wie ein Stereotyp zu sehen; ihre Geschichte als Kritik an der misogynen Gesellschaft zu lesen und zugleich zu erkennen, wie sehr der Voyeurismus bedient wird.

Damit bleibt Verschwörung im Nirgendwo stecken: Als Actionthriller zu überdeutlich, als Salander-Vehikel zu austauschbar. Aber immerhin gibt es Claire Foy.

Verschwörung (2018)

Die junge Hackerin Lisbeth Salander (Claire Foy) und der Journalist Mikael Blomkvist (Sverrir Gudnason) finden sich in einem Netz aus Lügen, Internetkriminellen und korrupten Regierungsmitarbeitern wieder.

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