Vaxxed - Die schockierende Wahrheit!?

Ein dampfender Haufen Verschwörungsscheiße

Um einem Film wie Vaxxed überhaupt sinnvoll gegenübertreten zu können, muss man sich mit einer Reihe von Grundlagen wappnen. Mit wissenschaftlichem Grundverstand und einem Blick auf Forschungen und Nachprüfungen. Es ist wichtig, sich einzuprägen, dass Autismus angeboren ist, auch wenn sich die konkreten Symptome der unter diesem Begriff zusammengefassten Entwicklungsstörungen bzw. -veränderungen oft nicht sofort nach der Geburt, sondern während des ersten Lebensjahrs oder sogar später zeigen.
Noch einmal: Es gibt bisher keine – in Worten: keine – Hinweise darauf, dass die Erkrankungen aus dem unter dem Begriff „Autismus“ zusammengefassten Spektrum durch äußere Einflüsse verursacht oder „ausgelöst“ werden. Insbesondere wurde durch zahlreiche Untersuchungen von ganz unterschiedlicher Seite widerlegt, dass es zwischen der Kombinationsimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR-Impfung) und Autismus irgendeine Verbindung gibt. Wiederholen Sie jetzt bitte alle mit mir, noch einmal deutlicher: Impfungen verursachen keinen Autismus. Impfungen verursachen keinen Autismus. Impfungen verursachen keinen Autismus.

Wenn trotzdem die Zahl der diagnostizierten Fälle von Autismus in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen ist, so liegt das zum einen an einer veränderten Aufmerksamkeit für das Krankheitsbild (nicht zuletzt auch durch entsprechende populäre Filme und Serien, die allerdings meist ausschließlich Asperger-Autismus thematisieren, wie z.B. Rain Man oder Mary & Max – oder: Schrumpfen Schafe, wenn es regnet? und Die Brücke – Transit in den Tod) und zum anderen an veränderten, genaueren Diagnosekriterien.

Selbst mit all diesen Informationen ist es unfassbar mühsam, sich dem Dauerfeuer an Desinformation entgegenzusetzen, das Vaxxed von seiner ersten Minute an betreibt. Der Film beginnt mit suggeriertem Alarmismus: Dicht gedrängt werden da Meldungen und Fernsehberichte über einen Masern-Ausbruch in den USA aneinandergeschnitten, als seien diese in eben diesem Rhythmus auf das Publikum hereingebrochen; das Tempo wird geradezu frenetisch, bis Barack Obama selbst ausdrücklich empfiehlt: Impfen Sie Ihre Kinder! – Dann erst einmal Schweigen und schließlich, deutlich geruhsamer: Ein angeblicher Whistleblower stellt sich vor, tippend, von Skandal und Vertuschung erzählend. Die MMR-Impfung, darauf will der Film hinaus, sei verantwortlich für eine „weltweit explosive Zunahme der Zahlen an Autismus“. (Es gibt keine Hinweise auf eine solche Zunahme.)

Fokus der „Erzählung“ des Films, wenn man sie so nennen will, ist dabei eine angebliche Vertuschungsaffäre im „Center for Disease Control and Prevention“ (CDC). Diese im Detail darzulegen, würde hier nicht nur den Rahmen sprengen, sondern wäre auch ein müßiges Unterfangen. Denn die Darstellung des Films weist alle Elemente einer klassischen Verschwörungstheorie auf: sinistere finanzielle Interessen von Pharmaunternehmen wie Regierung, Vertuschungen im großen Stil. Vor allem aber werden Koinzidenzen zu Kausalitäten erklärt, werden Hintergründe ebensowenig erklärt wie eigene Interessenskonflikte offengelegt und schließlich werden alle, aber auch alle seltsamen Aktionen und Handlungsweisen stets so ausgedeutet, dass sie die Verschwörungstheorie unterstützen.

Eigene Interessenskonflikte: Regisseur des Films ist Andrew Wakefield, der 1998 mit einem Artikel in der britischen Fachzeitschrift The Lancet Aufsehen erregte, in dem er suggerierte, es gebe womöglich eine kausale Verbindung zwischen dem MMR-Impfstoff und Autismus. 2004 kam ans Licht, dass Wakefield vor der Veröffentlichung Geld von Anwälten erhalten hatte, die Eltern autistischer Kinder vertraten und wohl hofften, Pharmaunternehmen verklagen zu können. Zudem hatte er selbst Patente für Impfstoffe eingereicht, die mit dem MMR-Impfstoff in direkter Konkurrenz stünden. Auch in Vaxxed spricht Wakefield davon, dass er die Nutzung von Einzelwirkstoffen gegenüber dem MMR-Impfstoff empfehlen würde.

Überhaupt taucht Wakefield im Film wiederholt als zentraler Zeuge und Stichwortgeber auf, außer im Abspann gibt es aber nie einen Hinweis darauf, dass er selbst so zentral an der Entstehung des Films beteiligt war. Das Gleiche gilt für Del Bigtree, der als Mitautor und Produzent genannt wird, sowie zum Beispiel Polly Tommey, die den Film mit produziert hat und als Mutter eines betroffenen Kindes interviewt wird.

Vaxxed besteht zu einem Gutteil aus persönlichen Geschichten, die eine zeitliche Koinzidenz nahelegen zwischen der MRR-Impfung und dem ersten Auftreten von Autismus-Symptomen. Wakefield zeigt weinende Eltern, autistische Kinder, Fotos und Heimvideos von glücklichen Babys vor dem ersten Auftreten der Symptome – das verfehlt seine Wirkung natürlich nicht. Problematisch ist das aber doppelt: Durch die Anhäufung an Einzelgeschichten wird eine Häufung insgesamt suggeriert, und die immer gleiche Wiederholung von Koinzidenzen suggeriert Kausalität, also einen direkten Wirkungszusammenhang.

Letzteren kann Wakefield aber nicht nachweisen und versucht es auch nicht wirklich – es bleibt immer bei Einzelbeobachtungen. Nicht zuletzt führen die traurigen Geschichten – in einer wird klar gegenübergestellt: so schön und klug entwickelte sich seine Zwillingsschwester, so wenig entwickelte sich mein Sohn – jedoch dazu, Autismus als ausschließlich negativ und gefährlich zu beschreiben. Autist_innen und ihren Angehörigen erweist er damit einen Bärendienst.

Vielleicht muss man auch noch sagen: Natürlich gibt es Nebenwirkungen von Impfstoffen; gefährlich werden sie aber in den seltensten Fällen. Dafür waren die Krankheiten, gegen die heute geimpft wird, früher weit verbreitet – und die Impfungen sind ja keineswegs aus Jux und Dollerei echte Empfehlungen. Die Pocken kennt heute kaum noch jemand, weil es einen Impfstoff gab. Tetanus, Kinderlähmung, Diphterie sind lebensbedrohliche Erkrankungen, und auch Masern, Mumps und Röteln sind keine lustigen Erkältungen, auch wenn ihre Gefahren heute gerne heruntergespielt werden.

Wakefield und Konsorten nagen mit ihrer Propaganda weiter am grundsätzlichen Vertrauen in Impfungen und die Vorsorgemaßnahmen der sogenannten „Schulmedizin“. Sie gefährden damit nicht nur die Menschen, die ihren obskuren Minderheitstheorien Glauben schenken, sondern als direkte Folge auch jene Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht geimpft werden können – denn je geringer der Anteil an geimpften Menschen in der Bevölkerung ist, desto leichter breiten sich die jeweiligen Infektionskrankheiten aus; die sogenannte „Herdenimmunität“ fällt weg.

Vaxxed interessiert sich aber weder für vernünftige Quellenangaben noch für historische Zusammenhänge. Im Film ist aber von „Millionen von impfstoffgeschädigten Kindern“ die Rede, ohne dass das irgendwie konkretisiert, begründet oder qualifiziert wird. Und als besonderes Drama gilt es, dass die Autismus-Rate vor 1930 praktisch Null gewesen sei, jetzt aber wesentlich höher. Das ist ein solches Schwachsinns-Argument, dass man einfach nur weinen möchte: Da der Begriff „Autismus“ erstmals 1911 verwendet wurde und sich erst im Lauf der kommenden Jahrzehnte durchsetzte, wundert es nicht, dass die Rate „vor 1930“ so niedrig war – es gab schlicht keine Diagnosen für ein Krankheitsbild, das noch niemand so beschrieben hatte.

Das bedeutet aber natürlich nicht – muss man das wirklich ausbuchstabieren? –, dass es keine Menschen im Autismus-Spektrum gab. Wakefield konstruiert aus allen seinen Zahlen aber jene „weltweit explosive Zunahme der Zahlen an Autismus“ und lässt eine „Expertin“ vorrechnen, dass bis 2032 die Hälfte aller Kinder in den USA auf dem Autismus-Spektrum liegen würden.

Das ist nicht nur Alarmismus, das ist gequirlte Ahnungslosigkeit mit bewusster Fehlinformation. „Dutzende von Forschungspapieren bestätigen die Verbindung zwischen Impfungen und Autismus“, sagt der Off-Kommentar, und lässt halt die Hunderte von Studien, die genau diese Verbindung ausschließen, einfach mal außen vor.

Vaxxed ist ein verantwortungsloses Stück Verschwörungsdreck, ein sich dokumentarisch gebender Film, der Fakten verdreht, Hintergründe ignoriert und die Interessen seiner Macher und Protagonisten verbirgt. Wer wissen möchte, wie „Fake News“ wirklich funktioniert, findet hier ein Beispiel: Reale Ereignisse werden aufgegriffen, in neue Kontexte gesetzt, Kausalität behauptet, und dann gerieren sich die Selbstdarsteller dahinter als „Enthüller“, „Whistleblower“ und Kämpfer für das Gute, Wahre gegen obskure Mächte des Bösen, die natürlich bis in Regierungsorganisationen hineinreichen.

Und nur um das noch einmal deutlich zu sagen: Bei allen Schwächen und Problemen der sogenannten „Schulmedizin“ – was Wakefield und Konsorten hier betreiben ist Entscheidungsfindung auf der Basis von Gerüchten, Lügen und durch naturwissenschaftliche Methoden widerlegter Behauptungen. Im Wesentlichen also eine Bewegung ganz viele Schritte zurück noch vor jene Zeit, da man gegen Magengeschwüre noch große Mengen Kaffees verschrieb. Darauf jetzt einen Espresso Grande.

(Rochus Wolff)

Weitere Quellen:
Besprechung von VAXXED im Wissenschaftsblog von David Gorski.
Ebendort: Hintergrund zur zentralen Verschwörungstheorie von VAXXED.
Kurze Einordnung der Debatte durch die Autistin Mela Eckenfels.
Artikel vom Emily Willingham in Forbes zur Diskussion.
Del Bigtree nutzt die von ihm befeuerte Kontroverse um Impfstoffe mittlerweile, um zum bewaffneten Widerstand gegen die Regierung aufzurufen.

Vaxxed - Die schockierende Wahrheit!?

Um einem Film wie „Vaxxed“ überhaupt sinnvoll gegenübertreten zu können, muss man sich mit einer Reihe von Grundlagen wappnen. Mit wissenschaftlichem Grundverstand und einem Blick auf Forschungen und Nachprüfungen. Es ist wichtig, sich einzuprägen, dass Autismus angeboren ist, auch wenn sich die konkreten Symptome der unter diesem Begriff zusammengefassten Entwicklungsstörungen bzw. -veränderungen oft nicht sofort nach der Geburt, sondern während des ersten Lebensjahrs oder sogar später zeigen.
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Meinungen

Martina Hutzler · 05.08.2017

Viel Gerede, mehr oder weniger geglückter Mix von Vulärsprache und Fremdworten/Fachausdrücken. Halbwissen kann immer nur Seinesgleichen beeindrucken. Seriosität - geht anders, ganz anders.

RPGNo1 · 29.03.2017

Andrew Wakefields Studie ist Lug und Betrug. Er hat finanziell massiv von seiner Falschaussage bez. des MMR-Impfstoffs profiert und gegen jedwede Medizinethik verstoßen.
//www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/zurueckgezogene-studie-das-offiziel…

Sein Film "Vaxxed" ist ein Propagandamachwerk allererster Güte. In den USA ist das schon lange bekannt, und der Film wurde von den Kritikern sehr negativ beurteilt. Warum so ein Müll in Deutschland in die Kinos kommen soll, ist unverständlich und kann durch nicht gerechtfertigt werden.
//en.wikipedia.org/wiki/Vaxxed

kino-zeit · 20.03.2017

@ Oliver Triebel: Vielen Dank für den Hinweis. Wir haben den Text korrigiert.

Oliver Triebel · 18.03.2017

Die obige Aussage in der Beschreibung ist falsch. Andrew Wakefield wurde die Approbation nicht entzogen, weil er die Annahme hatte, dass es einen Zusammenhang zwischen der MMR-Impfung und darauf auffällig häufig folgende Autismuserkrankungen gäbe, sondern weil ihm angeblich nachgewiesen sein soll, dass er Studienunterlagen zu diesem Thema gefälscht / manipuliert haben soll.