Vaters Garten - Die Liebe meiner Eltern

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Die Ehe der Eltern - revisited

Peter Liechti lässt sich gern auf Experimente ein. Im doppelten Sinne: Seine Filme sind oft Selbstversuche vor der Kamera: In Hans im Glück – Drei Versuche das Rauchen aufzugeben dokumentierte der Schweizer Regisseur vor zehn Jahren auf unkonventionelle Weise seinen Weg weg von fünfzig Zigaretten täglich. Eher ein persönlicher Essay-Film als ein Dokumentarfilm. Eines sind Liechtis Filme immer: formale Experimente. Sehr konsequent war in dieser Hinsicht Das Summen der Insekten – Tagebuch einer Mumie. Auch hier ging es um einen Selbstversuch – allerdings den eines Anderen, einer Romanfigur: Ein Mann hungert sich im Wald willentlich zu Tode. Die Grenzen zwischen Dokumentarfilm, Inszenierung, Film-Essay oder Film-Poem verschwinden völlig in diesem – auch mit Dokumentarfilmpreisen ausgezeichneten – Meisterwerk.
„Ich bin grundsätzlich an allen cineastischen Möglichkeiten interessiert. Dokumentarische und fiktionale Arbeitsweisen können fließend ineinander übergehen.“ Wenn der Regisseur von Festivals gefragt wird, ob es sich um einen Dokumentar- oder einen Spielfilm handele, dann antwortet er: „Das interessiert mich überhaupt nicht, es ist einfach ein Film. Er soll das Publikum ansprechen. Mich beschäftigt, ob ich die richtige Sprache finde für einen Film.“

Für seinen neuen Film Vaters Garten – Die Liebe meiner Eltern hat er wiederum den dokumentarischen Zeichensatz erweitert und ist zu einer filmisch genauso unkonventionellen wie überzeugenden Lösung gekommen, sich seinem Thema zu nähern. Zumal es ein schwieriges Thema ist: Die eigenen Eltern. Der Film ist also wieder eine Art Selbstversuch: Ein erwachsener Sohn versucht, sich seinen alten Eltern anzunähern. Er begibt sich zurück in die familiäre Enge, aus der er vor Jahrzehnten das Weite gesucht hat. Er konfrontiert seine über 80jährigen Eltern mit der Kamera und unbequemen Fragen. Er lässt sie erzählen von ihrem Alltag, ihrer Ehe, ihren Gefühlen und wie es früher so war mit ihrem Familienleben. Er beobachtet sie in ihrem Alltag, fragt nach, kontert und insistiert. Es geht ja schließlich auch um seine eigene Position in diesem über mehr als ein halbes Jahrhundert gewachsenen Gefüge von gegenseitigen Erwartungen und Enttäuschungen, Abgrenzungen und Sehnsüchten. Es geht um die ganz persönlichen Gefühle und gleichzeitig um das allgemeingültige einer solchen Familienkonstellation.

Peter Liechti hat einen Kunstgriff gefunden, das alles filmisch zu verhandeln, indem er das Konkrete verfremdet. Und so tauchen zwischen den unmittelbar dokumentarischen Szenen immer wieder Handpuppen in einem Kasperletheater auf. Die Eltern sind Plüschhasen, der Sohn eine Marionette. Vor schwarzem Bühnenraum werden mithilfe der Puppen und ihren Sprechern reale Dialoge mit den Eltern prägnant verdichtet. So auf den Punkt gebracht, dass es teilweise fast Slapstick-Qualitäten hat. Die Verfremdung wirkt, man muss sich wieder bewusst machen, dass aus dem niedlichen Plüschhasen ja der reale stockkonservative Vater spricht, der wirklich meint, was er da sagt. Kein Wunder, dass der Sohn rebelliert hat. Und auch diese jugendliche Rebellion macht der Film lebendig: auf der Tonspur hauen verzerrte Gitarren dazwischen, die alte Wut des Sohns lebt in Klang-Kakophonien wieder auf, eine familiäre Grundstimmung materialisiert sich.

Aber Vaters Garten – Die Liebe meiner Eltern ist keine bissige Abrechnung mit den wert-konservativen Eltern. Der Film ist auch ein respektvoller Blick auf die komplexe Beziehung, die Mutter und Vater miteinander führen. Eine erwachsene Annäherung an ihre Persönlichkeiten, der Vater akribisch und kontrolliert, die Mutter ruhig und genügsam. Worauf beruht ihre Ehe, die seit über 60 Jahren besteht?

Die beiden haben sich auf jeden Fall besser arrangiert als die Eltern des mexikanischen Regisseurs Diego Gutiérrez, der in seinem Film Parts of a Family die festgefahrenen Grabenkämpfe seiner Eltern porträtiert. Unsere Eltern – Ein universelles Film-Thema. Peter Liechti hat es in seinem Film mit einem Hauch von Anarchie und angemessenem Respekt, mit viel kreativer Energie und Sinn für Humor umgesetzt. Das alles macht Vaters Garten – Die Liebe meiner Eltern zu einem sehr unterhaltsamen, anrührenden Vergnügen. Aus Zuschauersicht kann man dieses Experiment auf jeden Fall als geglückt bezeichnen.

Vaters Garten - Die Liebe meiner Eltern

Peter Liechti lässt sich gern auf Experimente ein. Im doppelten Sinne: Seine Filme sind oft Selbstversuche vor der Kamera: In „Hans im Glück – Drei Versuche das Rauchen aufzugeben“ dokumentierte der Schweizer Regisseur vor zehn Jahren auf unkonventionelle Weise seinen Weg weg von fünfzig Zigaretten täglich. Eher ein persönlicher Essay-Film als ein Dokumentarfilm. Eines sind Liechtis Filme immer: formale Experimente.
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