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Zweimal war Harald Mühlbeyer schon auf Usedom in Urlaub. Wunderschön. Warum es dort wunderschön ist? Das kann erfahren, wer diesen Film sieht. Und dann vielleicht auch mal auf Usedom Urlaub machen will.

Usedom: Der freie Blick aufs Meer (2017)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Worauf die Sonne scheint

Usedom, die Sonneninsel – so die offizielle Tourismus-Verführungsformel. Ganz im Norden, ganz im Osten von Deutschland: Ein Sehnsuchtsort seit der Kaiserzeit. Sommer, Sonne, Strand, Meer: Eine Erfolgsformel. Heinz Brinkmann blickt in Usedom – Der freie Blick aufs Meer auf die Postkartenbilder – und dahinter. Wer kümmert sich darum, dass die Schönheit der Insel bleibt? Und für den Touristen greifbar wird?

Im Jahr 1863 staunten zwei Berliner Bankiers über diesen paradiesischen Flecken an der Ostsee. Zehn Jahre später gründeten sie eine Aktiengesellschaft, um Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck zu Urlauberorten umzuformen. Weitere zehn Jahre später kam der Kaiser, von nun an regelmäßig, um sich hier zu erholen. Vor dem ersten Weltkrieg waren diese „Kaiserbäder“ die Badewanne Berlins. Immer wieder kommt Brinkmann auf die Geschichte der Insel zu sprechen, die vor allem eine Geschichte des Tourismus ist. Und der Tourismus ist eine Folge der Lage der Insel: Die weite Ostsee, der weite Strand. Wälder, Wiesen, beschauliche Fischer. Perfekt.

Perfekt für die Urlauber. Wer macht ihnen das Leben schön? Unter starker Fokussierung auf die Kaiserbäder sucht Brinkmann die Menschen hinter den Kulissen. Eine Rezeptionistin aus Polen. Der Besitzer eines der Grandhotels. Die Inhaber einer Fischbrötchenbude. Ein Ortschronist. Ein deutsch-polnischer Philosoph. Auch mal ein FKK-Liebhaber: „Wer auf der Insel lebt, der hat et doch jut. Der darf nicht meckern. Wenn er meckert, dann macht er alles falsch.“

Diesen Herrn hat Brinkmann schon einmal interviewt, 25 Jahre vorher: Da hat war er als Eisverkäufer am Strand unterwegs. Denn Usedom – Der freie Blick aufs Meer ist eine Art Weiterschreibung von Brinkmanns Film Usedom – Ein deutsches Inselleben von 1991, immer wieder stellt er die Bilder von damals den Bildern von heute gegenüber. Brinkmann, der sich im Kommentar immer wieder selbst einbringt, stammt aus Heringsdorf. Er kennt das Usedom von damals und von heute. Ein Usedom, das einst, vor 100 Jahren, den Traum hatte, ein mondänes Nizza des Nordens zu werden. Ein Usedom, das zu DDR-Zeiten als Nobel-Urlaubsort erstmal vernachlässigt wurde – zum Glück: Weil sich so die Bäderarchitektur der Gründerzeit erhalten hat. Ein Usedom, das nach der Wende – zu Zeiten von Brinkmanns Vorgängerfilm – eine Menge Hoffnungen und Investoren auf sich zog, und das dann einige planerische und architektonische Sünden beging. Wobei sich offenbar inzwischen ein Bewusstsein für die reiche Historie des Tourismus gebildet hat, aus dem heraus die Insel weiterentwickelt wird: Der Bürgermeister von Heringsdorf tut, was er kann, mit dem Geld, das er hat, und stellt Fotos von Sonnenuntergängen ins Internet.

Świnoujście – das bis 1945 Swinemünde hieß – ist die Großstadt der Insel. 40.000 Einwohner, auf polnischer Seite gelegen. Zwischen Tourismus und Industrie. Auf der deutschen Seite: Hauptsächlich Tourismus. Ein bisschen Landwirtschaft. Vor allem: Idylle, die zur Tiefenentspannung einlädt. Ein Segler aus Berlin ist von hier aus zur Weltumseglung gestartet. Usedom – kannte keiner. Peenemünde: Das wusste jeder. Raketen, Rüstung, Wernher von Braun! Die einzige Erwähnung dieser Art von Geschichte im Film – Peenemünde liegt ganz auf der anderen Seite der Insel, hier gibt es schönen Strand, aber vor allem tatsächliche Armut. Peenemünde kann es sich nicht mal leisten, die Ruinen der Nazi-Raketenforschungs-Gebäude in dem Zustand zu erhalten, in dem sie sich befinden …

Nein, Brinkmann verschweigt das nicht weg. Usedom ist eine dieser heftig strukturschwachen Gegenden, außer Fischer konnte man früher hier nichts sein, wo es kein Tourismus ist, gibt es quasi nichts. Sommerweidefläche für Biorinder ist das höchste der Gefühle. Brinkmann sucht mit seinem Film den Blick aufs Meer. Den Blick, den die Bankiers Delbrück damals 1963 einfingen, der sie gefangen nahm. Der Usedom zu dem machte, was es heute ist.

So ist Usedom – Der freie Blick aufs Meer kein umfassender Inselrundgang. Kein Streifzug zu versteckten Orten. Sondern ein Film über das mondäne Image der Insel, und was dieses Image ausmacht, ausgemacht hat. Ausgewogen? Nein, natürlich subjektiv. Aber auch kein Tourismus-Marketing. Ein Film über den Zustand des Wandels. Mit der Hoffnung auf weitere Jahre der Schönheit.

Usedom: Der freie Blick aufs Meer (2017)

Für die Berliner war Usedom einst der Inbegriff eines luxuriösen Seebades mit berühmten Orten wie Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck. Der Filmemacher Heinz Brinkmann, selbst in Heringsdorf geboren, erforscht in seinem Film die bewegte Geschichte seiner Insel.

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