Unknown Identity (2011)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der Mann, der nichts mehr wusste

Dass ein Film von internationaler Strahlkraft, der samt und sonders in Berlin angesiedelt ist und gerade in den USA in souveräner Manier Platz 1 der Kino-Charts erobert hat, auf der Berlinale gezeigt wird, versteht sich beinahe von selbst. Zwar war Jaume Collett-Serras Thriller Unknown Identity aufgrund des in den USA bereits erfolgten Kinostarts nicht mehr zur Teilnahme am Wettbewerb berechtigt, dennoch veredelte das rasante Werk über einen Mann auf Identitätssuche das offizielle Programm als Sondervorführung außer Konkurrenz und begeisterte auch deswegen, weil er all das bot, woran es etlichen Wettbewerbsbeiträgen in erheblichem Maße fehlte – Rasanz, Glamour und Witz. Letzteren bringt vor allem Bruno Ganz in die eigentlich recht ernste Geschichte – sein Auftritt als gealterter Ex-Stasi-Mitarbeiter sorgt für eine der schönsten Szenen des Films und gibt dem Film neben seiner genretypischen Atemlosigkeit eine Melancholie, ein Funkeln und Glitzern, das man nicht so schnell vergisst.

Gerade eben sind der renommierte amerikanische Biologe Dr. Martin Harris (Liam Neeson) und seine Frau Elisabeth (January Jones) in Berlin angekommen, um an einem Kongress teilzunehmen, bei dem Harris einer der Hauptredner sein soll. Auf der Fahrt vom Flughafen zum Hotel (natürlich ist es das Adlon), widerfährt Harris eine kleine Unachtsamkeit, die sich erst im Nachhinein als folgenschwer herausstellen wird – er vergisst seinen Aktenkoffer im Taxi und bemerkt den Verlust erst beim Check-in im Hotel. Eilig lässt der Biologe seine Frau zurück, um den Dokumenten hinterher zu jagen und gerät in einen verheerenden Unfall, bei dem schwer verletzt wird und für mehrere Tage im Koma landet. Kaum erwacht und einigermaßen wiederhergestellt, entlässt sich Harris auf eigene Verantwortung, um zu seiner Frau zu eilen, die er voller Sorge um sein Verschwinden wähnt. Im Hotel angekommen muss er jedoch feststellen, dass offensichtlich einiges gehörig falsch läuft, seitdem er mit einem Taxi in der Spree landete. Im Hotel will ihn niemand erkennen und seine Frau zeigt sich mit einem anderen Mann an ihrer Seite, der seinen Platz eingenommen und ihm seine Identität genommen hat. Zutiefst verwirrt und nunmehr auch innerlich verletzt irrt „Harris“ nun durch eine ihm fremde Stadt, um die Wahrheit zu ergründen. Und als einzige Unterstützer seiner zunehmend gefährlicher werdenden Mission kann er auf zwei Menschen zählen, die selbst auf ihre Weise fremd und verstoßen sind – die aus Bosnien stammende, illegal in Deutschland lebende Taxifahrerin Gina (Diane Kruger) und der Ex-Stasi-Mitarbeiter Ernst Jürgen (Bruno Ganz). Doch die Suche nach der Wahrheit bringt dem Mann, der nichts mehr wusste, nicht jene Gewissheit, nach der er ursprünglich strebte, sondern allein die Erkenntnis, dass nichts so ist, wie es scheint. Und das betrifft selbst das Wissen um sich selbst…

Ein Mann, dem von einem Moment auf den anderen alle Gewissheiten genommen werden, begibt auf der Suche nach sich selbst und blickt dabei in Abgründe – auch eigene; das kennt man aus diversen Filmen wie der Bourne-Trilogie und natürlich aus Werken des Thriller-Altmeisters Alfred Hitchcock. Dennoch ist Unknown Identity kein reiner Abklatsch der manchmal augenzwinkernd gehuldigten Vorbilder, sondern entwickelt eine überaus originelle Handschrift, einen Touch, der eng mit Berlin, dem Ort der Handlung, verknüpft ist.

Quasi im Vorübergehen oder –rennen taucht „Harris“ ein in den Kosmos der deutschen Metropole, mit ihm erlebt der Zuschauer eine Art Stadtführung der rasanten Art, die kaum eine Sehenswürdigkeit auslässt, um im abschließenden Finale mit diabolischer Lust ausgerechnet das Adlon nicht unerheblich zu beschädigen. Natürlich sind solche Zerstörungen mittlerweile immanenter Bestandteil jedes mittelprächtigen Thrillers, der Realismus und die technische Raffinesse, mit der Collett-Serra hier aber die Friedrichsstraße und andere Szenerien des „neuen“ und des „alten“ Berlin als Bühne für seine Film benutzt, hat man so noch nicht gesehen. Und ganz nebenbei dürfen die von den Unbilden des ÖPNV geplagten Berliner sogar einen kräftigen Knuff gegen die S-Bahn miterleben – was bei der Premiere des Films bei der Berlinale auch ausgiebigst bejubelt wurde. Endlich mal eine S-Bahn, deren Verspätung eine wirklich nachvollziehbare Begründung hatte, mag sich mancher der Zuschauer gedacht haben.

Neben den Hitchockschen Reminiszenzen (bis hin zum zeitgemäßen MacGuffin) überzeugt der Film vor allem durch feine Sidekicks wie den bereits erwähnten Bruno Ganz, dessen nuancenreich verschmitzt-ironisches Spiel als Stasi-Mann im gemächlichen Unruhestand. Und nicht zuletzt markiert Unknown Identity die wundersame Wiederauferstehung Liam Neesons, der nach seinem weitgehenden Verschwinden von der Bühne des ganz großen Kinos hier als gebeutelter Protagonist eines mutmaßlichen Blockbusters mit reichlich Tempo, zahlreichen vertrackten Wendungen und Finten sowie etlichen anderen Überraschungen eine Wiederkehr feiert. Nach diesem Coup müsste man sich nicht wundern, wenn Neeson damit ein dauerhaftes Comeback gelungen wäre.
 

Unknown Identity (2011)

Dass ein Film von internationaler Strahlkraft, der samt und sonders in Berlin angesiedelt ist und gerade in den USA in souveräner Manier Platz 1 der Kino-Charts erobert hat, auf der Berlinale gezeigt wird, versteht sich beinahe von selbst.

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Meinungen

dug · 17.04.2011

Dieser Film ist nach langer Zeit mal wieder ein durchaus anspruchsvoller.
Die Handlung hat einige wirklich unerwartete Wendungen die einen mehr als nur ein Mal überraschen (vorrausgesetzt man hat sich die Handlung oben noch nicht durchgelesen).
Zu keiner Zeit kam Langeweile oder nichtssagende Szenen auf, die den Film strecken sondern eine kontinuierliche Spannung erzeugen.
Auch ist in diesem Film die Action nicht zu knapp gekommen.
Alles in Allem ein guter sich lohnender Film.

stan · 26.03.2011

Spannender, sehr empfehlenswerter Thriller mit einem faszinierenden Plot. Wer schreibt, dass jeder 007 Film 100 mal besser ist, liegt aus meiner Sicht weit weg von der Realität - so wie das eben die 007-Filme sind. Unknown Identity lebt von starken Darstellern und Bildern und einer bis am Schluss spannenden Handlung. Einer der besten Thriller der letzten Jahre! Unbedingt anschauen.

keil · 21.03.2011

Jeder 007 Film ist 100 mal besser!!!

Aber nun habe ich ihn im Kino gesehen, viel Aktion, aber null Handlung... wecht Enteuchung pur.

:-((

@Big Mike · 15.03.2011

96 Hours wurde von drei Jahren gedreht ... eine kleine Ewigkeit im Filmgeschäft.

Big Mike · 15.03.2011

Der Autor schreibt, dass Liam Neeson erst mit diesem Film ein dauerhaftes Comeback gelungen wäre? Hat er denn die letzten Monate keinen aktuelleren Kinofilm mit ihm gesehen? 96 hours (grandios) war wohl Comeback genug. Kampf der Titanen (eher nicht grandios, aber dennoch erfolgreich) ebenso. Manchmal frage ich mich schon, ob die Herrschaften denken, bevor sie schreiben.

franzien · 03.03.2011

Die Kritik ist eindeutig unter dem Eindruck geschrieben, dass der Autor wohl doch keine allzu guten Filme bei der Berlinale gesehen hat. Unknown als überzeugenden Thriller zu bezeichnen ist maßlos übertrieben. Ihn jedoch mit der Bourne-Trilogie oder Hitchcock-Filmen zu vergleichen ist eine Frechheit. Der Film hat sich maßlos bei anderen Genreklassikern bedient (vor allem bei Bourne). Die Wendungen in der Story sind vorhersehbar und teilweise hanebüchen. Der Humor ist so fehl am Platz wie Diane Krüger, die wieder einmal beweist, dass sie nicht schauspielern kann.

Insgesamt ist Unknown ein solider Thriller und sicherlich ist es auch nett, Berlin mal auf amerikanisch in Szene gesetzt zu sehen. Aber mehr als für einen DVD-Abend taugt der Film nicht.