Under the Shadow

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Im Krieg mit den Geistern

Der Erste Golfkrieg, also die acht Jahre andauernde Auseinandersetzung (1980-1988) zwischen dem Iran und dem Irak, bildet den Hintergrund von Babak Anvaris Geistergeschichte Under the Shadow, die gleich aus mehreren Gründen ein Unikum darstellt. Zum einen, weil man den Iran trotz des großartigen A Girl Walks Home Alone at Night von Ana Lily Amirpour immer noch nicht als guten Nährboden für Genrefilme begreift.

Und zum zweiten, weil Großbritannien sich in diesem Jahr dazu entschloss, diese Koproduktion ins Rennen in der Best-Foreign-Language-Film-Kategorie bei den Academy Awards zu schicken, statt einen Film zu wählen, dessen britische Herkunft sich mehr aufdrängt als bei diesem Werk. Aber gut, angesichts einer zunehmend komplexer werdenden Welt sind solche nationalen Kriterien sowieso nur noch ein seltsamer Anachronismus, den man am besten so schnell wie möglich los würde. Darüber hinaus — und das ist das Bemerkenswerteste — gelingt dem Regiedebütanten Anvari ein beklemmend dichtes, atmosphärisch stimmiges Werk, das zu den üblichen Horrorelementen politische Bezüge und Verweise einbaut, die wieder einmal zeigen, was das oftmals geschmähte Genrekino zu leisten imstande ist.

Das ist beispielsweise direkt beim Einstieg des Films zu sehen: Eine junge Frau namens Shideh (Narges Rashidi) sitzt voller Hoffnung vor dem Rektor ihrer Universität und hofft darauf, dass sie ihr Medizinstudium wiederaufnehmen kann. Doch der Mann macht ihr schnell und unmissverständlich klar, dass daran nicht zu denken ist. Da sie sich in der Zeit des Umsturzes durch die Anhänger von Ayatollah Khomeini einer linken Studentengruppierung angeschlossen hat, wird sie, so das harsche Urteil des Funktionärs, nie wieder im Iran studieren können — da helfen auch alle Beteuerungen ihrerseits nichts, dass dies alles nur eine jugendliche Dummheit war. Das ist aber erst der Auftakt für eine Entwicklung, in der Shideh immer weiter aus dem öffentlichen Leben in die Hölle der Vereinsamung und Isolation gedrängt wird. Ohne Aussicht auf die Fortsetzung ihres Studiums und damit ohne jegliche berufliche Perspektive muss sich Shideh darauf beschränken, ihrem Mann Iraj (Bobby Naderi) eine gute Ehefrau und ihrer Tochter Dorsa (Avin Manshadi) eine gute Mutter zu sein — eine Rolle, die ihr freilich viel zu eng ist. Als dann auch noch Iraj an die Front gerufen wird, kommt die Sorge um ihren Mann dazu. Und weil der Irak in dieser Endphase des Krieges dazu übergegangen ist, die iranische Hauptstadt mit Raketen zu beschießen, sind Tod und Terror plötzlich ganz nahe an das alltägliche Leben herangerückt. Der eigentliche Schrecken offenbart sich aber erst, als eine irakische Rakete in der Wohnung über der von Shideh einschlägt und nicht detoniert. Stattdessen sind plötzlich seltsame Kräfte am Werk, deren Zerstörungswut diejenige der Waffen fast noch übertrifft …

Die Dschinns, die sich — das legen zumindest die Prophezeiung eines stummen Jungen und das Geraune seiner abergläubischen Tante nahe — in dem Haus eingenistet haben, stammen aus der vorislamischen Zeit und sind durchaus ambivalente Dämonen, so können sie ebenso als Schutzgeister wirken wie als teuflische Dämonen. Zwar erscheinen sie in Under the Shadow vordergründig als Sendboten des Bösen, letztendlich stellt sich aber die Frage, ob sie im Falle von Shideh und ihrer Tochter nicht vielleicht doch eher etwas Gutes bewirken. Betrachtet man es im Nachhinein, ist ihr dämonisches Insistieren darauf, dass Mutter und Tochter das Haus verlassen, fast schon so etwas wie eine gute Tat. Denn es bedeutet auch, dass Shideh aus ihrem Gefängnis aufbricht in eine andere, vielleicht bessere Zukunft. Denn dort, wo sie so lange ausgeharrt hart, gibt es für sie keine Perspektive. In gewisser Weise kann man Under the Shadow als Genrevariation der Filme des Festivallieblings Asghar Farhadi begreifen: Hier wie dort geht es um Frauen, denen es die Alltagssituation im Iran unmöglich gemacht hat, dort noch länger zu bleiben. Es geht um die Entscheidung, ob es überhaupt noch sinnvoll ist, im Gefängnis der vielfältigen Repressionen zu bleiben oder nicht vielleicht doch besser sein Glück anderswo zu suchen. Und das ist — sowohl bei Farhadi wie auch bei Babak Anvari oder Ana Lily Amirpour — stets auch ein Räsonieren über das Fremdsein in einer Gesellschaft, einem Land, das man eigentlich als Heimat begreift.

Wenn Shideh in einer Szene — vielleicht der eindrücklichsten unter vielen beeindruckenden — voller Panik nach der Attacke eines Geistes zusammen mit ihrer Tochter auf die Straße flieht und dort prompt von Revolutionswächtern verhaftet wird, da sie ihr Kopftuch vergessen hat, dann verdichten sich die Schrecken des Krieges, der Dämonen und eines autoritären Regimes zu solch einem absurden Gesamtbild, dass wir plötzlich merken, dass der wahre Horror nicht im Jenseitigen, in Dämonen und Geistern liegt, sondern in den Schreckgespenstern, die wir Menschen selbst heraufbeschworen haben.
 

Under the Shadow

Der Erste Golfkrieg, also die acht Jahre andauernde Auseinandersetzung (1980-1988) zwischen dem Iran und dem Irak, bildet den Hintergrund von Babak Anvaris Geistergeschichte „Under the Shadow“, die gleich aus mehreren Gründen ein Unikum darstellt. Zum einen, weil man den Iran trotz des großartigen „A Girl Walks Home Alone at Night“ von Ana Lily Amirpour immer noch nicht als guten Nährboden für Genrefilme begreift.

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Meinungen

Jan-Niklas · 18.04.2021

Das Ende habe ich anders interpretiert. Da die djinns noch die geliebten Gegenstände der Mutter und der Tochter haben, werden sie wohl weiter von den Dämonen verfolgt, zumindest sagte das die Nachbarin der Familie. Hätten die Dämonen einen Gegenstand der Person gäbe es kein entkommen...