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Valentina Primavera hat die Scheidung ihrer Mutter ins Zentrum ihres Regiedebüts gerückt. Ein Dokumentarfilm, der zeigt, wie tief das Patriarchat in unserer Gesellschaft verankert ist und warum es so schwer ist, sich von ihm zu lösen.

Una Primavera (2018)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Macht der Gewohnheit

Dass auch aufgeklärte Gesellschaften ein Problem mit häuslicher Gewalt haben, sickert zum Glück immer stärker ins öffentliche Bewusstsein. Wie selbstverständlich die Täter vielerorts akzeptiert und deren Opfer ignoriert oder stigmatisiert werden, zeigt Valentina Primavera am Beispiel ihrer Mutter. Das Resultat ist ein erschreckender Familienfilm.

Mit 58 Jahren hat Fiorella Primavera genug von den Beleidigungen, Demütigungen und Schlägen ihres Mannes Bruno. 40 Jahre Ehe und drei Kinder hat sie ihm geschenkt. Sie haben gemeinsam ein Haus gebaut und abbezahlt. Es liegt wunderschön in der Nähe der Mittelstadt Roseto degli Abruzzi, aber auch so abgeschieden, dass niemand hören kann, was hinter verschlossenen Türen vor sich geht.

Im November 2016 liegt Fiorella auf dem Boden einer Berliner Wohnung. Sie hat ihre Sachen gepackt und ist zu ihrer jüngsten Tochter nach Deutschland gefahren. Valentina nimmt die späte Emanzipation ihrer Mutter und die Filmkamera in die Hand. Während des schwierigen Abnabelungsprozesses sitzt sie stets irgendwo auf dem Beifahrersitz eines Autos oder in einer Zimmerecke und hält unerbittlich drauf. Das Ergebnis ist nicht immer kinotauglich, aber intensiv. Was sie dabei vor ihre Linse bekommt, sollte jeden klar denkenden Menschen aufrütteln.

Fiorella fällt der Neubeginn schwer. Den zweiten oder dritten Frühling, der in ihrem Nachnamen und im Filmtitel anklingt, weht alsbald die Sehnsucht nach der gewohnten Umgebung davon. Weil ihr per Gerichtsurteil ein Stockwerk des gemeinsamen Hauses zusteht, zieht sie nach etwas mehr als einem halben Jahr zurück dorthin. Am Ende der Dreharbeiten ist sie wieder mit ihrem Ex-Mann zusammen. Sie hat es von der eigenen Mutter und von ihrer Schwiegermutter nie anders gelernt. Und obwohl sie sich dessen bewusst ist, kann sie es nicht ändern. Jeder, der nicht in einer Bilderbuchfamilie großgeworden ist, kann das nachvollziehen.

Fiorellas Kinder sollten es eigentlich besser wissen. Doch welche Macht die Gewohnheit hat, zeigt sich im familiären Umfeld. Fiorellas Sohn bleibt bis zuletzt nicht greifbar. Nicht einmal ihre älteste Tochter Chiara, selbst Mutter dreier Kinder, tritt entschieden als Advokatin auf. Bei den Männern erntet Bruno sogar Bewunderung dafür, dass er die schwere Zeit ganz allein durchgestanden und sich während der Scheidung so anständig benommen habe. Die Blicke der anwesenden Frauen sprechen Bände. Den Mund macht keine auf.

Ganz allmählich kristallisiert sich in den Gesprächen eine ungesunde Mischung aus Patriarchat, Religion und antiquierten Werten heraus: Die Familie ist heilig – um jeden Preis. Wenn die Ehe zerbricht, hat die Frau etwas falsch gemacht. Und ein Mann müsse ein Löwe sein, schließlich wolle keiner mit einem Schaf zusammenleben, zitiert ein Onkel ganz ungeniert und reichlich frei Mussolini. Ein Überbleibsel des Faschismus mitten in der Gesellschaft. In Italien scheinbar kein Problem, was viel über dessen unzureichend aufgearbeitete Vergangenheit verrät.

Die Regisseurin selbst hält sich als Filmende zurück. Nur einmal platzt ihr im Gespräch mit ihrem Vater der Kragen, als dieser allen Ernstes positiv hervorhebt, dass Fiorella noch am Leben sei. Es hätte ja auch schlimmer kommen können. Häusliche Gewalt ende nicht selten auf dem Friedhof. Eine Pressemeldung, die mitten in die Dreharbeiten fällt, bestätigt das. Ein Mann in einem Nachbarort hat gleich zwei Frauen ermordet. Das stillt die Sensationsgier. Für die dahintersteckende, systemisch verankerte Misogynie sensibilisiert dieser Fall die Familie nicht. Valentina Primaveras Film hingegen sensibilisiert dafür, dass häusliche Gewalt nicht nur die Betroffenen, sondern uns alle angeht.

Una Primavera (2018)

Fiorella Primavera hat genug. Nach dem jüngsten Aussetzer ihres Ehemannes will sie sich aus ihrer 40-jährigen Ehe endgültig befreien und reicht die Scheidung ein. Ein Leben voller Beleidigungen, Demütigungen und Gewalt soll der Vergangenheit angehören. Bei ihrer Tochter Valentina findet sie Zuflucht in Berlin, weit weg von ihrem Haus im ländlichen Italien. Valentina will ihre Mutter auf dem Weg der Selbstbestimmung mit einer Kamera begleiten. Gemeinsam fahren sie zurück in den Heimatort, wo Fiorella ihre Zukunft regeln will. Eine aufwühlende Reise, die sie nicht nur mit ihrem Ex-Mann, sondern mit den patriarchalen Strukturen ihrer gesamten Umgebung und mit sich selbst konfrontiert.

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