Tschetan, der Indianerjunge

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Das Spielfilmdebüt des Filmemachers und Schauspielers Hark Bohm von 1972 ist in einem kargen Westernszenario angesiedelt und erzählt die Geschichte einer Art Freundschaft. Tschetan, der Indianerjunge ist aber auch ein ebenso schlichter wie eindringlicher Stoff über die Geringschätzung, Feindseligkeit und Brutalität den Menschen indigener Völker gegenüber, bis hin zu ihrer Ermordung.
Der Schäfer Jacob Precht, genannt Alaska (so gelassen wie tiefgründig: Marquard Bohm), will mit seiner Herde auf einer günstig gelegenen Wiese in Montana überwintern. Dieser wortkarge, schwer aus der Ruhe zu bringende Charakter kommt als Einzelgänger flankiert von seinen bemerkenswert wachsamen Hunden Ajax und Hektor bestens zurecht. Dann erscheint der Farmer Ben Johnson (Willy Schultes), der sich mit seinen Söhnen Erick (Erich Dolz) und Edward (Eduard Hendorfer) in der fanatischen Mission begreift, die wenigen noch verbliebenen Native Americans der Gegend gewalttätig zu vertreiben oder zu töten, um den Fremden zu inspizieren. Nach einer scheinbar freundlichen Eröffnung hinterlässt Johnson die dringende Empfehlung an Alaska, sich recht bald wieder aus dem Staub zu machen, doch der Schäfer ist kein Mann, der sich so einfach von freiem Boden fortjagen lässt.

Als Ben Johnson mit seinen Söhnen den jungen Lakota Tschetan (so authentisch wie grandios: Dschingis Bowakow) als Viehdieb gefangen nimmt, um ihn zu hängen, entführt Alaska den Jungen kurzerhand im Morgengrauen und nimmt ihn mit zum Weideplatz, um ihn für sich arbeiten zu lassen. Doch Tschetan verweigert sich den Plänen des Schäfers, so gut ihm dies möglich ist, attackiert Alaska sogar mit der Machete und verletzt ihn dabei, worauf dieser allerdings bemerkenswert gelassen reagiert. Anfangs permanent vom engagierten Hirtenhund Hektor bewacht, mit dem er sich allmählich anfreundet, bleibt Tschetan zunehmend freiwillig bei Alaska und richtet mit ihm das Winterlager her. Es ereignet sich eine zarte Annäherung zwischen dem Jungen und dem Schäfer, der zu begreifen beginnt, welche tragische Geschichte der kleine zähe Lakota bereits erlebt hat, der sich so tapfer in der widrigen Welt behauptet. Doch bald wird es äußerst brenzlig für die beiden, denn die Johnsons sind nach wie vor hinter Tschetan her …

Tschetan, der Indianerjunge erhielt 1975 den Preis des Verbandes der deutschen Filmkritik und stellt mit seiner wortkargen, intensiven und immer wieder von leisem Humor durchzogenen Inszenierung ein berührendes Kleinod der deutschen Filmgeschichte dar, das vom hervorragenden Spiel Dschingis Bowakows und Marquard Bohms geprägt wird. Der Film, der mit dem Prädikat „Besonders wertvoll“ der Filmbewertungsstelle in Wiesbaden ausgezeichnet wurde, erschien seinerzeit auch als Fotoroman inklusive Poster in der berühmt-berüchtigten Jugendzeitschrift Bravo, und die Illustrierte Stern widmete ihm eine ausführliche Fotoreportage. Aus heutiger Sicht ist die Bezeichnung „Indianerjunge“ im Titel sicherlich so unangebracht wie antiquiert, was auf die inhaltlichen Qualitäten dieses deutschen Westerns in Bezug auf den respektablen Umgang mit seinen Figuren jedoch in keinster Weise zutrifft. Hark Bohm, der 1976 mit den beiden Akteuren auch Nordsee ist Mordsee gedreht hat, ist hier ein unprätentiöses, feinfühliges und reichhaltiges Debüt mit großzügigem Raum für die Entfaltung der Charaktere und ihre signifikanten Entwicklungen gelungen, die ganz charmant visualisiert werden.

Tschetan, der Indianerjunge

Das Spielfilmdebüt des Filmemachers und Schauspielers Hark Bohm von 1972 ist in einem kargen Westernszenario angesiedelt und erzählt die Geschichte einer Art Freundschaft.
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