Tropfen auf heiße Steine

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Was man so Liebe nennt

„Sirk hat gesagt, man kann nicht Filme über etwas machen, man kann Filme nur mit etwas machen, mit Menschen, mit Licht, mit Blumen, mit Spiegeln, mit Blut.“ (Rainer Werner Fassbinder über Douglas Sirk)
„Das reicht jetzt: Ins Schlafzimmer mit euch!“ brüllt Leopold – der schwule Haussadist – in François Ozons brillanter Fassbinder-Adaption Tropfen auf heiße Steine auf seine aktuellen Liebesopfer ein: Wenige Sekunden zuvor war das von Bernard Giraudeau als Karlheinz-Böhm-in-Martha-Verschnitt gespielte Beziehungsmonster selbst noch Teil einer grotesk arrangierten Choreographie zu Tony Holidays „Tanze Samba mit mir“ gewesen. Es sind genau diese Momente, in denen das Genie Ozons aufblitzt, der 1999 von vornherein keine reine RWF-Hommage, sondern eine geschickt arrangierte Bühnenstoff-Adaption jenes Frühwerks aus der Feder des damals 19-jährigen Fassbinders anvisierte, das erst im Nachlass gefunden worden war. Es geht dabei – bei Fassbinder wie bei Ozon – natürlich um die Liebe, um die unerfüllte, die widerwillige, die eisige wie die erneut entflammte, kurzum: um die (Un-)Möglichkeit einer Liebe im kühl-kapitalistischen Wertesystem der alten BRD, da an eine reale im 70er-Jahre-Spießerdekor der westdeutschen Provinz eh längst keiner mehr glaubt, weil sich alles nur noch um den schnöden Mammon und gegenseitiges Auf-, Ab- und Gegenrechnen dreht. Für pure Liebe oder echte Gefühle bleibt da natürlich keine Zeit mehr übrig.

Immerzu drängt die Zeit im Leben des Handlungsreisenden Leopold, der sich gerade erst den eigentlich mit Anna (fröhlich-forsch: Ludivine Sagnier) verlobten Franz (Malik Zidi) von der Straße aufgegabelt – und ihn prompt zum masochistischen Hausmädchen in der Krachledernen umdegradiert hatte: Der gemeinsame Sex ist fad, die Wohnung leblos-steril, aber picobello und durchdesignt wie in Die bitteren Tränen der Petra von Kant … Fassbinder-Anspielungen so weit das Auge des Zuschauers reicht … Franz heißt hier zwar nicht Biberkopf (wie der Protagonist in Berlin Alexanderplatz oder das zigfach eingesetzte Pseudonym Fassbinders, zum Beispiel als Cutter oder Rollenname), aber sein Spiel gleicht einer willenlosen Marionette, die ausbrechen will und dafür Heinz G. Konsaliks Roman Liebe ist stärker als der Tod liest und Heinrich Heine im düster-schwarz gefliesten Bad zitiert („Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so traurig bin“).

Als sich dann im vierten Akt auch noch die transsexuelle Véra (Anna Thomson) als verwirrte Elvira-/Erwin-Figur aus Fassbinders In einem Jahr mit 13 Monden in Ozons streng getaktete Vier-Personen-suchen-einen-Liebhaber-Groteske verirrt, ist das Chaos perfekt – und der Tod naht. Auch das ist ein klassisches Fassbinder-Setting, weshalb Ozon in seiner Bühnenstück-Umsetzung gut daran tat, die vom Autor vorgegebene Einheit von Raum, Ort und Zeit weitestgehend stringent zu wahren. Einzig der Vorspann zeigt bedrohlich-idyllische Postkarten-Motive des bundesrepublikanischen Aufbruchsgeistes (z.B. anhand der Stadtansichten von Köln, wo obendrein der homosexuelle Fassbinder zeitweise als Youngster zusammen mit Udo Kier um die Häuser zog).

„Meine Filme kreisen um das Problem, dass Leute überhaupt Beziehungen haben. Ob sie nun schwul sind oder normal oder lesbisch sind oder was weiß ich“, hatte Fassbinder seinen eigenen Impetus als manisch produktiver Filmemacher wie Beziehungsspezialist in puncto Film einst präzise umrissen. Ozon macht sich nun als Filmemacher in Tropfen auf heiße Steine Fassbinders berühmtes Zitat zu eigen, er transferiert es regelrecht von der ersten Einstellung an (Kamera: Jeanne Lapoirie) in wunderbar lupenreine, streng kadrierte Bilder, die den vier Protagonisten quasi die Luft zum Atmen – wie zum Liebemachen – regelrecht abschnürt. Das feinfühlig arrangierte, vieraktige Neo-Melodram zwischen Leopold und Franz, Anna und Franz, Leopold und Anna sowie Franz und Véra erinnert zudem beim erneuten Sehen vielfach auch an Fassbinders Chinesisches Roulette, seinem vielleicht kühnsten Beziehungsmuster-Film über Vertrauen und Missbrauch in Paarbeziehungen. Und natürlich auch an Faustrecht der Freiheit, einem der mit Abstand boshaftesten RWF-Filme, der obendrein im feinen Homosexuellen-Milieu Münchens spielt und das Verhältnis zwischen Materialität und Emotionalität bis zum bitteren Ende durchexerziert.

Insgesamt satirischer im Tonfall als bei Fassbinders Referenzwerken, aber nicht unbedingt optimistisch stimmender, ist Tropfen auf heiße Steine bisher in jedem Falle die beste Film-Adaption einer Fassbinder-Theatervorlage aller Zeiten, die das Label Arthaus nun in einer ebenso reduzierten Neuedition (ohne Bonusmaterial) auf DVD veröffentlicht: Ein wahnwitziges Psycho-Spiel mit schneidenden Dialogen, das filmisch besonders tief in die scheinbar sinnlose Matrix von Paarbeziehungen eintaucht. Ebenso unerbittlich wie faszinierend, ebenso eklektizistisch wie neurotisch: Devotes Ringelpiez mit Anfassen sozusagen, voller Brechtscher Verfremdungseffekte. Wo Hörigkeit anfängt und Liebe aufhört, verhandelt Ozon in jeder Szene wahrlich meisterhaft. In seiner Kammeroperette der Verführung gibt es keine Gewinner, lediglich sexuellen Machtmissbrauch – und lange Gesichter. Er konzentriert sich nämlich in erster Linie auf die Fettflecken innerhalb einer Beziehung („Vera, mein Schatz: Mein Gott bist du gealtert!“), auf das Lieben und Leiden von vier Menschen, die eigentlich nur das große Glück suchen – und doch nur frustriert im (Toten-)Bett landen. Und jetzt ab ins Schlafzimmer!

„Die Liebe ist ein seltsames Spiel / sie kommt und geht von einem zum andern. Sie nimmt uns alles / doch sie gibt auch viel zu viel. Die Liebe ist ein seltsames Spiel.“ (Connie Francis)

Tropfen auf heiße Steine

„Sirk hat gesagt, man kann nicht Filme über etwas machen, man kann Filme nur mit etwas machen, mit Menschen, mit Licht, mit Blumen, mit Spiegeln, mit Blut.“ (Rainer Werner Fassbinder über Douglas Sirk)
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