Treppe Aufwärts (2015)

Eine Filmkritik von Harald Mühlbeyer

Das ganze Leben ist ein Spiel

Wenn man ganz unten ist, ist es keine große Mühe, eine Treppe nach oben zu finden. Insofern ist der Titel Treppe Aufwärts des Spielfilmdebüts von Mia Maariel Meyer sehr ironisch: Bis Hanno Koffler in der Rolle des Adam eine der Treppenstufen des Lebens hochkommt, muss er sich ganz schön abmühen. Und dann vielleicht auch noch feststellen, dass das nur die Stufe einer Rolltreppe war, die abwärts führt. Treppe Aufwärts ist ein Mehrgenerationen-Väterdrama im Milieu des Glücksspiels und der Spielsucht.

Adam ist Taxifahrer. Aus der Filmgeschichte weiß man, wie kaputt die sind. Adam fährt aber kaum Passagiere – er fährt vor allem zu Spielhöllen. In seinem Netbook hat er ein interessantes Programm, damit kann er was ausrechnen, seine smarte Armbanduhr programmieren und dann zum richtigen Zeitpunkt am Spielautomat den richtigen Knopf drücken: Geldsegen automatisiert. Sein Zuhause ist ein heruntergekommenes, halb verfallenes, aber großes Haus. Darin wohnt er mit seinem alten Vater zusammen, Woyzeck (Christian Wolff), halb dement und ein Zocker vor dem Herrn. Wenn man nicht aufpasst, vertelefoniert er beim Gewinnspiel-TV hunderte Euros. Seine liebste Erinnerung: Wie er einmal drei Kirschen bekam, beim Automaten, 10.000 Mark Gewinn bei 20 Pfennig Einsatz. Inzwischen hat er natürlich heftige Schulden.

Verkompliziert wird das Ganze, als Ben (Mattie Schmidt-Schaller) auftaucht. Der sechzehnjährige Sohn von Adam wohnt eigentlich bei seiner Mutter. Jetzt ist er abgehauen. Er hat geklaut. Und er ist nicht gekommen, weil er seinen Papa so lieb hat. Ben ist eine Nummer für sich. Jenseits der typisch pubertären Verschlossenheit versucht er, an Geld zu kommen. Eines seiner Opfer ist Bardo (Patrick Wolff): Der ihn natürlich erwischt, ihn aber als Freund aufnimmt, besser: als Ersatzsohn. Und hier irgendwo fangen die Probleme des Films an.

Bisher waren wir eingespannt in eine merkwürdige, aber auch faszinierende Familiensituation: Adam versucht, die Spielschulden seines Vaters zu berappen, indem er die Software von Spielautomaten austrickst; sein Sohn ist ebenfalls auf die kleinkriminelle Bahn geraten, vielleicht liegt es bei dieser Familie im Blut. Mit Bardo aber, dem zusätzlichen Spieler auf dem Brett, verengt sich der Film paradoxerweise wieder: Denn der ist, wie sich herausstellt, selbst ein Krimineller im Spielmanipulationsbetrieb. Womit sich der Film einigelt im thematischen Kreis des Glücksspiels – und zudem ein sehr merkwürdiges Betrugssystem etabliert: Bardo stellt eine App zur Umgehung der Glücksgeräte-Software zur Verfügung – und für diese App muss in bar an der Haustür bezahlt werden. Ein merkwürdig analoger Vorgang in dieser digitalen Betrugsmasche; und vermutlich vor allem deshalb auf diese Weise in den Film eingebaut, damit Ben etwas zu tun hat, als Geldeintreiber nämlich.

Nun sind freilich die Charaktere und ihre Darsteller durchaus interessant. Hanno Koffler als Adam versucht, sein Leben irgendwie zu verbessern bei all den miesen Voraussetzungen, die es ihm mitgegeben hat: Er tut, was er tun muss, und er tut das im Umgang mit seinem verlorenen Sohn auch den Umständen entsprechend recht liebevoll. Die mahlenden Kieferknochen aber verraten, wie es in ihm brodelt, welche Mühe es ihm macht, dieses Leben und dieses Lieben und dieses Sohn- und Vatersein. Sein Vater Woyzeck wird gespielt von Christian Wolff, jawohl, der Förster von Falkenau: Ein Mensch, der seine Momente von Klarheit mit der typischen simplen Taktik des Demenzerkrankten ausspielt, nämlich um das zu bekommen, was er gerade haben will. Ben mit den hektischen roten Flecken auf den Wangen ist immer auf dem Sprung, will immer weg, woanders sein, und kommt doch nie vom Fleck. Und Bardo ist ein dermaßen schmieriger Typ mit Glatze hinterm kurzgeschorenen Haar, ihm zuzusehen, wie er einen Narren frisst an Ben, das ist fast schon eine Freude. Sein Darsteller Patrick Wolff – Sohn von Christian – hat den Film auch produziert.

Man könnte das Thema um Glückspielbetrug, um Schulden, um Verantwortung und (fehlende) familiäre Loyalität als Kriminalstück, als Thriller inszenieren; dann würde das Zocken im Mittelpunkt stehen und über Bande auf die Figuren verweisen. Mia Maariel Meyer entscheidet sich für das Drama. Das bedeutet, dass sie vor allem auf die Figuren blickt, während das Glücksspiel eher metaphorischen Wert hat, um die Beziehungscharakteristiken und -konstellationen zu verdeutlichen. Das ist an sich natürlich ganz legitim – aber wenn der Film dadurch klein wird, verpufft die Wirkung. Hier haben wir Vaterfiguren und Glücksspiel. Mehr nicht. Selbst die Beziehung zur Kneipenwirtin, auf die Adam ein Auge geworfen hat, bekommt einen Knacks wegen eines Konflikts um den Spielautomaten in der Ecke. Gleichzeitig wird die Filmhandlung nicht konsequent geführt: Ben, der Sohn, muss die betrügerischen Automatenbescheißer abkassieren, kommt damit aber überhaupt nicht seinem Vater in die Quere, der ja auch ein betrügerischer Automatenbescheißer ist – ein mögliches Handlungsmoment, das ganz neue und auch tiefgehende Spannung verheißen würde. Ben gerät vielmehr in eine heftige Auseinandersetzung mit einem, der von Ken Duken gespielt wird, immerhin ein recht bekannter Name, ein recht bekanntes Gesicht – der aber vom Film weitgehend verschenkt wird und in den drei, vier Szenen, in denen er auftaucht, kaum wirklich Kontur gewinnen und der Handlung kaum einen eigenen Impuls geben kann.
 

Treppe Aufwärts (2015)

Wenn man ganz unten ist, ist es keine große Mühe, eine Treppe nach oben zu finden. Insofern ist der Titel „Treppe Aufwärts“ des Spielfilmdebüts von Mia Maariel Meyer sehr ironisch: Bis Hanno Koffler in der Rolle des Adam eine der Treppenstufen des Lebens hochkommt, muss er sich ganz schön abmühen. Und dann vielleicht auch noch feststellen, dass das nur die Stufe einer Rolltreppe war, die abwärts führt.

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