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Wir alle suchen nach Freiheit und nach unserer Individualität. Und auf dieser Suche spielt Sexualität oft eine große Rolle. Adina Pintilies Film begibt sich mit ihren ProtagonistInnen in ein mutiges und umso tiefgründigeres Experiment, das alle transformiert. Auch uns als ZuschauerInnen.

Touch Me Not (2018)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Berühren(d)

Adina Pintilies Touch Me Not ist nicht einfach ein Film. Es ist eine Erfahrung. Und eine so intime und so tiefgründige, dass man das Kino entweder frühzeitig verlässt, weil man die Macht dieser Intimität nicht ertragen kann, oder man bleibt bis zum Ende auf die Gefahr hin, dass man das Werk und die Fragen, die es sich stellt, noch lange mit sich herumtragen wird und diese vielleicht sogar ganz fundamentale Änderungen nach sich ziehen. 

Touch Me Not ein besonderes Werk und das gleich aus mehreren Gründen. Zuerst ist da der Aufbau. Der Film ist ein Hybrid aus Film, Theater, Performance. Ein Teil der Erzählung rund um die drei Hauptfiguren Laura (Laura Benson), Tómas (Tómas Lamarquis) und Christian (Christian Bayerlein) ist fiktiv, die anderen Teile bestehen aus dem ehrlichen Zeigen und Ausloten der Leben  und Gefühle der SchauspielerInnen selbst, die hier die Figuren zu gleichen Teilen formen. So spielt Laura nicht Laura. Sie ist Laura, eine Frau in ihren 50ern, die ihre eigenen Fragestellungen, ihren eigenen Körper erforscht, wenn auch mitunter in einer fiktiven Handlung. Doch diese wird immer wieder von performativen oder rituellen Akten unterbrochen, die zusammen mit Menschen verübt werden, die sich darauf spezialisiert haben, anderen zu helfen, ihre Sexualität zu erforschen. Da ist Hanna (Hanna Hofmann), eine trans* Sexarbeiterin, die Laura mit Hilfe von Brahms und ihrer charmanten, offenen Art beibringt sich zu öffnen. Da ist Seani (Seani Love), der ihr mit somatischer Körpertherapie und rituellen Akten einen Weg zu ihrem Körper und ihren Ängsten eröffnet. Diesen Sessions wohnt man als Publikum bei. Sie sind intim, ehrlich und in ihrer Offenheit hebeln sie jegliches Schamgefühl aus und erlauben auch dem Publikum eine Öffnung zu finden, die eine Verbindung zum filmischen Geschehen, aber auch zu sich selbst herstellt. 

Ganz ähnlich funktionieren auch die Szenen zwischen Tómas und Christian. Auch hier stehen somatische Erfahrungen im Mittelpunkt. Tómas erforscht Christians Körper — ein Körper, den man so im Kino so gut wie nie zu sehen bekommt, geschweige denn nackt und mit solch einer entwaffnenden Offenheit. Christian hat Spinale Muskelatrophie. Sein Körper entspricht nicht der Norm. Christian ist körperlich beeinträchtigt, er selbst kann sich nicht bewegen. Allein sein Dasein in Touch Me Not ist, so traurig es ist, das zu sagen, eine Sensation. Doch dabei belässt er es nicht. Seine Offenheit erlaubt einen Zugang, der sonst den meisten verschlossen ist — weil sie nie auf die Idee kämen, sich für einen Körper (und einen Menschen) mit Beeinträchtigung zu interessieren. 

Adina Pintilie erlaubt hier nicht nur einen Einblick in Körper, die das Kino gern ausschließt oder entsexualisiert — eine ältere Frau mit Krampfadern, einen Mann mit Muskelschwund etc. -, sie arbeitet damit. Touch Me Not ist nicht interessiert an Voyeurismus oder dem Zur-Schau-Stellen. Nie entsteht das Gefühl, etwas Respektlosem, Ausbeutendem beizuwohnen. Der Film zeigt vielmehr etwas tief Menschliches, das sie entblößt. Nicht mit Angst, sondern aus Neugier heraus und aus dem Wunsch nach mehr Freiheit, mehr Erkenntnis. Es geht um Transformationen, um das Verkörpern des wahren Selbst und das macht auch vor der Regisseurin nicht halt. Auch sie teilt sich mit, auch sie ist im Film zu sehen. Immer wieder hält das Werk inne und Regisseurin und DarstellerInnen befragen sich selbst. Wie geht es ihnen? Ist das noch in Ordnung, was hier geschieht? Was für Erkenntnisse kann man ziehen? Es ist vor allem diese Ebene der Introspektion, die dem Werk, seinen Figuren und dem Publikum eine tiefe Seelenprüfung erlaubt und gleichzeitig immer wieder sicher stellt, dass alle Beteiligten immer noch einwilligen in diese wunderbar seelen-nackte Experiment. 

Und es trifft den Kern vieler von uns in einer Zeit, die hyperkomplex und gleichsam so seltsam entkörperlicht ist. Wir alle wollen berühren und berührt werden, doch die Hemmschwellen, die Ängste, sie sind groß. Die gemeinsame Suche, auf die Touch Me Not sein Publikum einlädt, ist daher umso fundamentaler und gleichsam eine philosophische wie eine körperliche. 

Umso bewundernswerter also die Arbeit, die alle Beteiligten hier hineinstecken, die Offenheit, mit der sie nicht nur ihre Körper, sondern vor allem ihre Seelen entblößen, und dies nicht nur auf visueller Ebene. Hier ist vor allem berührend, in welcher klaren und ehrlichen Kommunikation sie miteinander stehen. Selbst Sätze, die schwer fallen, die in ihrer Ehrlichkeit vielleicht brutal erscheinen, werden ausgesprochen. Und nich nur das: In einer Zeit von Hasskommentaren und Sofort-Abwertungen ist das Erstaunliche, ja fast schon revolutionäre, dass sie dankend angenommen werden. 

All dies gießt Pintilie in helle, oftmals relativ leere Bilder, die viel mit Weiß und Weißraum spielen, ganz so, als wollten sie nicht ablenken vom eigentlichen Geschehen und genügend Raum geben für all die Dinge, die hier geschehen und erforscht werden. 

Touch Me Not ist ein Selbstfindungstrip. Als Film ist er aber auch ein mutiges, experimentelles Werk, das Themen, Menschen, Körper und Emotionen ins Kino bringt, die man sonst niemals sieht. Allein deswegen ist er es schon, wert gesehen zu werden. Und wer weiß, vielleicht ist da ja noch mehr. 

Touch Me Not (2018)

„Touch Me Not” begleitet die emotionale Reise dreier Menschen auf der Suche nach Intimität und dem Wunsch nach einem Ausbruch aus ihrer Einsamkeit.

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