Top of the Lake (Staffel 1)

Eine Filmkritik von Martin Beck

Neuseeland von unten

Jane Campion kehrt zurück in ihre Heimat Neuseeland, das erste Mal seit 20 Jahren, seit Das Piano. Wie so viele andere arrivierte Filmemacher hat auch sie das Fernsehformat für sich entdeckt und bekommt nun sechs mal 50 Minuten Zeit für eine weitschweifende Kriminalgeschichte, die viel mehr als die Suche nach dem Schuldigen möchte. Top of the Lake ist das umfassende Portrait einer kleinen Gemeinschaft, deren dunkle Seiten einen deutlichen Kontrast zur wunderschönen Natur bilden. Als Panorama eine traumhafte Postkartenidylle, und als Themen dann Inzucht, Missbrauch, kaputte Seelen, Sex und Mord.

Der Ort der Handlung ist Laketop, ein Kaff in Süd-Neuseeland, wo eines Tages ein zwölfjähriges Mädchen verschwindet. Sie ist schwanger und die Tochter des örtlichen Drogenbosses, der anscheinend jedes zweite Kind dort zu verantworten hat. Der Fall wird einer jungen Polizistin übertragen, die selbst in Laketop aufgewachsen ist und nun wieder zurückkehrt. Zusammen mit ihrer eigenen dunklen Vergangenheit, die zu solch einer Geschichte natürlich dazugehört und für einen guten Teil der dramaturgischen Tiefe verantwortlich ist. Bei Top of the Lake geht es nicht um DEN Schuldigen, sondern die Entwirrung eines Jahrezehnte überdauernden Schuldgeflechts.

Trotz der räumlichen Begrenzung erzählt die Serie eine komplexe, tiefgründige Geschichte, die zwar kaum „typische“ Krimispannung vermittelt, aber dennoch ungemein fesseln kann. Jane Campion hat zusammen mit Gerard Lee ein Drehbuch geschrieben, das die Zeit der Miniserie gut nützt und selbst klischeeträchtigen Figuren, wie z.B. der Polizistin mit problematischer Vergangenheit oder dem charismatischen, immerzu widersprüchlichen Gangsterboss, ein glaubwürdiges Eigenleben entlockt. Der entscheidende Kniff dabei ist die weibliche Sichtweise des Geschehens, die der männlich dominierten Umgebung neue Blickwinkel entlockt und gleichzeitig ja auch genügend Wissen mitbringt, um nicht als ahnungslose Außenseiterin dazustehen.

Als „originell“ sollte man Top of the Lake zwar nicht bezeichnen, dazu erinnert zu viel z.B. an Twin Peaks oder The Killing, doch wie so oft macht auch hier der Ton die Musik. Jane Campion (plus Co-Regisseur Garth Davis, der die Hälfte der Folgen inszeniert hat) zeigt erneut ihr Gespür für Figuren, die womöglich Indie-Klischees verkörpern, sich aber nicht wie Indie-Klischees verhalten. Hauptdarstellerin Elisabeth Moss z.B. vermittelt die Polizistinnen-Rolle mit unglaublicher Wärme und eindringlicher Nähe, sie wirkt vollkommen glaubwürdig und kann sich sofort in die Dorfgemeinschaft integrieren. Das Gleiche gilt auch für Peter Mullan als Drogenboss, der natürlich die üblichen Eigenschaften einer solchen Rolle verkörpert, aber dabei eben eigenständig, charismatisch, fern einer Karikatur bleibt.

Jane Campion ist das, was man gemeinhin als actor’s director bezeichnet, und pflegt darüber hinaus einen Inszenierungsstil, der das Offensichtliche z.B. über eine distanzierte Kamera oder einen leicht versetzten Schnitt gerne vermeidet. Dramatik nicht als Autobahn, sondern als holpriger Waldweg, der dann auch die erneute Zusammenarbeit mit Holly Hunter nicht allumfassend abfeiert, sondern ihr „nur“ eine (größere) Nebenrolle als enigmatische Chefin eines Camps für gebrochene Frauen zuweist. Die meisten Figuren in Top of the Lake haben eine tragische Geschichte, die entweder für verlorene Zeit steht oder die Wiederholung bekannter Muster. Schroffe, traurige Charaktere, Gewalt und Missbrauch als ewige Begleiter. Für skurrile Ausbrüche gibt es hier nur wenig Raum, die Serie durchzieht eine ganz eigene Form der Melancholie, unterfüttert mit Sex und Gewalt.

Top of the Lake ist sicher nicht ganz einfach und gegen Ende auch nicht immer ganz plausibel. Trotzdem, eine der besten Serien des Jahres.
 

Top of the Lake (Staffel 1)

Jane Campion kehrt zurück in ihre Heimat Neuseeland, das erste Mal seit 20 Jahren, seit „Das Piano“. Wie so viele andere arrivierte Filmemacher hat auch sie das Fernsehformat für sich entdeckt und bekommt nun sechs mal 50 Minuten Zeit für eine weitschweifende Kriminalgeschichte, die viel mehr als die Suche nach dem Schuldigen möchte.

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