Tom Sawyer

Eine Filmkritik von Lida Bach

Flussfahrt mit Huck

„Das ist nichts für die Kinder“, unterbricht streng Tante Polly. „Die wissen noch nichts von der Schlechtigkeit dieser Welt.“ Auch wenn aus der gesitteten älteren Dame, die Mark Twain in seinem Klassiker Tom Sawyer beschrieb, eine beherzte Frau (Heike Makatsch) wird, widerspricht ihr Hermine Huntgeburth dezent. „Manchmal wissen Kinder mehr als sie sollten“, erwidert Indianer Joe (Benno Fürmann), der die düster-bedrohliche Nemesis Tom Sawyers (Louis Hofmann) ist und der Schurke des draufgängerischen Kinderfilms um die unsterblichen Romanhelden Tom Sawyer und Huckleberry Finn.
Die Suppe, die Tante Polly ihrem unverfrorenen Neffen Tom und dessen vorbildlichem Halbbruder Sid (Andreas Warmbrunn) auftischt, ist „etwas wässrig“. Das Kinderabenteuer jedoch, das die kleinen Alltagswagnisse und lebensentscheidenden Gewissenskonflikte Toms und seines besten Freundes Huck Finn (Leon Seidel) mit einer beachtlichen Portion Originaltreue und dem dazu erforderlichen Mut erzählt, ist längst nicht so wässerig wie manche Buchausgaben „bereinigt“ und damit verstümmelt sind. Eine Mutprobe, wie sie die Freunde im fiktiven St. Petersburg am Mississippi-Ufer bestehen müssen bei nächtlichen Friedhofbesuchen, Piratenfloßfahrten, Höhlenerkundungen oder einfachem – laut Tom aber sehr schwierigem – Anstreichen von Gartenzäunen, könnte für die jüngsten Zuschauer auch die ein oder andere Gruselszene beinhalten. Der Lohn dafür ist ambitionierte und lebendige Kinounterhaltung, die ihr Publikum ernst nimmt.

Wenn Tom und Huck mitansehen müssen, wie Joe auf dem Friedhof kaltblütig Doc Robinson (Sylvester Groth) ersticht und die Schuld an dem Mord dem stadtbekannten Trunkenbold Muff Potter (Joachim Krol) einredet, mag die Wirkung der Szenen vor der übergroßen Leinwand für manche der jüngeren Zuschauer zu viel sein. Doch es fällt auf, dass es hauptsächlich die Erwachsenen sind, denen dies zu grausig scheint. Die Ausdrücke „Nigger“ und „Halbblut“ fallen, ein Marktverkäufer sagt Joe: „Das ist nur für Weiße. Deine Haut ist rot.“ Und Muff Potter wird die Schlinge zum Lynchen um den Hals gelegt. Toms Klassenkameradin und Flamme Becky (Magali Greif) ist „schwaches Geschlecht“, Tante Polly pflegt keine gewaltfreie Erziehung und Halbwaise Huck haust in einer Tonne.

„Auf dem Friedhof sind alle gleich“, weiß Joe, der wie viele dunkle Figuren in Kinderfilmen die Wahrheiten ausspricht, welche die übrigen Figuren verschweigen. Solange der freche Titelcharakter von Tom Sawyer und sein gerissener Gefährte sich dort nicht dauerhaft, sondern nur zum Warzen-Wegzaubern aufhalten, müssen sie mit der Ungerechtigkeit und Brutalität der Realität umgehen. Toms wundersame Auferstehung von den Toten (oder besser: Totgeglaubten) wird umjubelt, während Hucks Verschwinden nicht mal bemerkt wurde: „Keiner weint um mich“, sagt der abgerissene Streuner. Doch als sich ihre Wege einmal trennen, kommen Tom die Tränen. Indianer Joe ist in seiner Ruchlosigkeit von einer nachvollziehbaren Verbitterung getrieben. Dieses Verständnis gegenüber den Beweggründen der Figuren und dass Sascha Arangos Drehbuch den modernen Stil des Buchs nicht durch die Verniedlichung und Belehrungen ersetzt, auf die Twain bewusst verzichtet, spricht für die Qualität der gewitzten Literaturadaption.

Dass Indianer im Mississippi-Delta des Jahres 1876 wohl selten „Zisch ab!“ sagten und Richtertöchter nicht „beschissen“, sind verzeihliche Schwächen angesichts des gelungenen Kompromisses für den Konflikt zwischen Kindgerechtheit und Werktreue. Die Verfilmung der Fortsetzung Huck Finn ist mit Huntgeburth als Regisseurin und dem erprobten Ensemble bereits im Gang. Tom Sawyer lässt hoffen, dass dessen Satire und Gesellschaftskritik zu ihrem Recht kommen, wenn das Abenteuer weitergeht. Manchmal wissen Kinder mehr als sie sollten. Und verstehen weit mehr, als Erwachsene glauben.

Tom Sawyer

„Das ist nichts für die Kinder“, unterbricht streng Tante Polly. „Die wissen noch nichts von der Schlechtigkeit dieser Welt.“ Auch wenn aus der gesitteten älteren Dame, die Mark Twain in „Tom Sawyer“ beschrieb, eine beherzte Frau (Heike Makatsch) wird, widerspricht ihr Hermine Huntgeburth dezent.
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Meinungen

Peter König · 01.05.2021

Wer das Buch gelesen (und verstanden) hat, wendet sich schon nach kurzer Zeit von diesem Machwerk ab.

Maresch · 02.06.2012

Schrecklich!! Bitte nicht unter 12 Jahren sehen!!!! Mein Sohn (8) hatte tagelang Angst beim einschlafen!!!!!

Frank Meißen · 31.03.2012

Dass dieser Film FSK 6 Jahre erhalten hat ist einfach nur ein Unverschämtheit. Auch wir mussten mit unserer Tochter (immerhin 8 Jahre) das Kino verlassen.
Hier erkennt man, wie groß der kommerzielle Druck ist, die Filme für möglichst junge Besucher freizugeben.

Sabine Schmitt · 13.03.2012

Ich war gestern mit meinem Sohn (8) und seiner Schulklasse in diesem Film. Ich musste ebenfalls mit meinem Sohn das Kino vorzeitig verlassen, solche Angst hatte er. Er konnte nicht einschlafen, er hatte Alpträume und selbst das Öffnen des Schrankes machte ihm Angst.

Wer diesen Film ab 6 Jahren freigegeben hat, hat offenbar wenig Ahnung Kindern. Mein Sohn hat bisher keinen Mord o.ä. gesehen. Auch das Leichenausgraben auf dem Friedhof, das Erstechen des Doktors, Bau eines Galgens,... das war einfach zu viel.

Dieser Film ist vielleicht für Kinder ab 12 Jahren empfehlenswert, nicht aber ab 6 Jahren für eine 3. Grundschulklasse.

Ich bin gespannt, wie das Fazit der 2. Klasse ausfällt. Auf jeden Fall sind die Eltern mit der Aufarbeitung sicherlich tagelang beschäftigt.

Diesen Film für die 6. Schulkinowochen vorzuschlagen, ging eindeutig zu weit.

Nicole Brand · 09.01.2012

Zu Timari: unsere Kinder leben in einer anderen Welt, da stimme ich zu. Aber muss man ( Frau ) deshalb die Brutalität der heutigen Zeit in Filmen, Internet, etc. akzeptieren und die Kinder dabei unterstützen???? Die Welt ist heute grausam, also lass ich es auch zu, dass die Kinder mir dieser Grausamkeit konfrontiert werden, egal, wie alt sie sind. Was für ein krankes denken...mein Sohn und viele seiner Freunde lieben Filme, aus der Vergangenheit und ich muss sagen, ich bin stolz auf meinen Sohn, dass er ganz klar gezeigt hat, dass ihm der Film zu heftig ist. Da weiß ich wenigstens, dass er noch normal tickt...Es kommt immer darauf an, was die Eltern vorleben und zulassen, dementsprechend werden auch die Kinder handeln und leben.Der Film ist toll, ja, ABER NUR für Erwachsene. Und Rassismus, Mord und Lügen...das kann man auch mit den Kindern in guten Büchern an-und besprechen.Da braucht es keine schrecklichen Bilder im Film dafür.
Zu Koch: ich bin froh, dass es wenigstens einen Menschen in diesen Kommentaren gibt, der meine Meinung vertritt. 2 von 10, das ist mehr als erschreckend!

Nicole Brand · 08.01.2012

Bin mit meinem Sohn (6 Jahre )im Film gewesen, er hatte solche Angst, dass wir nach 35 Min. das Kino verlassen haben. Ich war selbst erschrocken, wie brutal manche Szenen gezeigt wurden, und das in einem Film ab 6 Jahren. Die Altersgrenze ist definitiv zu niedrig, dass sollte unbedingt geändert werden. Die Welt ist eh schon grausam genug, da müssen Kinder nicht noch im Film damit konfrontiert werden. Alles wird immer brutaler und dadurch Menschen immer abgebrühter. Kein Wunder, dass das Gewaltpotenzial immer höher wird.
Ich würde mich freuen, wenn eine Altersgrenze des Filmes nochmals überdacht wird.

Nicole

Timara · 06.01.2012

zu @Traurig.

Liebe Traurig!
Bitte denke daran, dass unsere Kids heute eine andere Generation sind, als die der 60er/70er. Mit Western, Winetou, Phantomas Enterprice kannst du heute bei den Kids nicht mehr punkten!
Oder magst Du auch gerne Musikanntenstadel nurweil das vielleicht deine Eltern gerne mögen?
Nichts gegen alte Zeiten - auch wir schauten uns das gerne an
Aber diese Zeiten sind vorbei! Und die Jugend hat ihr Recht auf ihre eigene Filme!

Der Film ist super! Nicht alles, was modern ist gut! Aber der Film echt TOP!
Und das Thema Rassismus so aktuell wie noch nie!
Und mit Mord und Lügen werden Kinder heutzutage viel früher in Kontakt gebracht wie nie zuvor!

Koch · 27.12.2011

spektakulär, dass dieser film für sechsjährige freigegeben ist. das geht gar nicht. ich ärgere mich, dass ich mich an dieser empfehlung orientiert habe. unser sohn ist acht und ich werde einige zeit damit zu tun haben, diesen film mit ihm aufzuarbeiten. ich bin erstaunt, dass andere kinder offensichtlich ihren spass daran haben, sich einen mord anzuschauen, der ausgeübt wurde, weil der mörder permanent wegen seiner hautfarbe ungerecht behandelt wurde. viel thema für jugendliche zum thema rassismus, aber nichts für junge, sensible seelchen.

Michael Spalek · 21.11.2011

Ein hervorragender Film. Von Anfang bis Ende eine schöne Mischung aus Spaß und Spannung. Der ganze Kinosaal - jung und alt - war jedenfalls hellauf begeistert.

Carla Noschke · 21.11.2011

Ich war gestern mit meinen beiden Söhnen im Kino (8 und 10) und wir waren total begeistert. Vor allem auch von Sid, dem Bruder - und wie er die Rede in der Kirche hält - meine Jungs haben so gelacht.

Freddy Strecker · 17.11.2011

ein Wahnsinnsfilm habe ihn von der ersten bis zur letzten Sekunde geliebt. Es gibt meines Erachtens keine Verfilmung des Romans von twain, die an diese auch nur annähernd heranreicht. Und ich habe alle gesehen. der untern zitierte Vierteiler ist aus heutiger Sicht kaum mehr ansehbar. Da verklärt die Erinnerung doch so einiges...scheint mir. Das Thema von TS ist nach wie vor spannend für die Kinder, dader Film von nahezu allen Grundthemen handelt, die Kinder überhaupt beschäftigen: Freundschaft, Grenzüberschreitung, erste Liebe etc. Würde gerne die Macher kennen lernen und kann jedem den Film nur wärmstens empfehlen

@Anna · 20.10.2011

Wir haben hier rund 1800 Kinos usw. auf der Seite. Wenn Du mir sagst, welches Kino Du meinst, kann ich Dir weiterhelfen. Grüsse, Mike

Anna · 20.10.2011

Wie fiel kostet der Film?

Traurig · 08.10.2011

Kann doch nicht wahr sein. Wir versuchen es mal wieder mit einer Neuverfilmung... Warum auch nicht? Vielleicht kann man ja Kleinigkeiten verbessern?
Sieht eher nicht so aus.

Tom Sawyer ist sicher eines der größten Abenteuer aller Zeiten. Aber dieser Versuch einer Verfilmung wird wohl niemals an die für mich beinahe perfekte Version, den ZDF-4-Teiler von 1968. Mein Bruder und ich haben den wohl so um 2000 herum in einer Wiederholung gesehen als wir so etwa 7,8 Jahre alt waren. Großartig. So Spannend aber auch so träumerisch schwelgend... Meine Kinder werden, wenn sie alt genug sind, jene Version zu sehen bekommen. Roland Demongeot und Marc Di Napoli werden für mich immer die wahren Tom Sawyer und Huck Finn bleiben.

Solange niemand vorhat das ganze besser zu machen, sollten sie es bleiben lassen.
Der Trailer zumindest lässt trauriges erahnen.