To the Wonder

Eine Filmkritik von Michael Spiegel

Das Malick-Paradox

Es gibt Filme, die machen einem die Arbeit als Filmkritikerin schwer – und das ist auch gut so. Denn ein Film soll Emotionen hervorrufen; nichts ist schlimmer, als aus dem Kino zu kommen und nichts zu empfinden. Das geschieht bei Terrence Malicks neuem Film To the Wonder auf jeden Fall schon mal nicht. Im Gegenteil, als der Abspann begann, wurde er in einem Konzert aus Buh-Rufen und gleichsam frenetischem Klatschen erstickt. Die Reaktionen auf den Film sind so unterschiedlich und gleichzeitig so stark, dass sich vor allem eines mit Sicherheit sagen lässt – es wird keinen Konsens geben, was diesen Film angeht. Die Rezension dieses Filmes gestaltet sich zudem deswegen als sehr schwierig, weil Malick eben auch stets ein (Film-)Politikum ist. Seine Fans lieben ihn abgöttisch, doch es gibt genauso leidenschaftliche Malick-Hasser. Und dass seine Filme inhaltlich so eindeutig christlich oder diffus religiös daherkommen, schürt die Flamme des Zwistes noch weiter.
Und genau auf dieser Ebene ist es auch, dass To the Wonder sich den Zuschauer entweder sofort einverleibt oder ausstößt. Es ist unmöglich, den Film nicht in einem Atemzug mit Malicks Opus The Tree of Life zu nennen, dazu sind sich die Filme zu ähnlich. Die erzählte Geschichte ist nur ein kleiner Nukleus, deren Inhalt auf eine A4-Seite passen würde: Neil (Ben Affleck) trifft Marina (Olga Kurylenko) in Paris. Sie folgt ihm in die USA, doch nach einer Weile scheitert ihre Beziehung. Marina geht wieder nach Paris, während sich Neil mit Jane (Rachel McAdams) tröstet. Doch dann kehrt Marina zurück, die beiden heiraten schließlich und es geht eine ganze Weile gut, bis sie sich fremd werden und die Ehe am Ende scheitert. Dazwischen brechen noch ein paar Szenen mit Javier Bardem als Priester die Liebesgeschichte auf. Dialoge gibt es kaum, die Figuren sprechen fast nie miteinander. Obwohl – Figuren sollte man sie nicht nennen, dazu sind sie nicht entwickelt und – mit Verlaub – auch nicht wichtig genug. Es sind mehr Geister, die da durch Malicks Welt schweben (in Marinas Fall eher hüpfen), die sich umkreisen, die in Feldern stehen und die Arme zum Himmel strecken. Die Menschen in Malicks Welt sind nur Vehikel für die Gedanken und der durchgehend präsenten, stets geflüsterten Erzählstimme, die über den Bildern schwebt. Philosophisch, tragisch, und immerzu fragend und zweifelnd sucht die Stimme nach Gott, nach Erkenntnis. Die Menschen sind „durstig“ nach ihm, so bezeichnet es der Priester einmal. Man muss den Worten glauben, sie nicht hinterfragen, sondern aufsaugen, sonst verwandeln sie sich in eine verwirrende Predigt, die sich wie ein überlanges Gedicht gleichsam im Kreis dreht. Mit seiner Rhetorik und seinen Klagen gerät dieser permanente Redefluss alsbald zur Groteske.

Gleiches gilt für die Bewegung der Körper im Film. Neil ist ein Stein, seine Miene stets die gleiche. Er ist immer etwas fernab, er umrundet seine Frauen, beglotzt sie mit ausdruckslosem Gesicht, wenn sie sich ihm zärtlich nähern. Marina tanzt und springt. Sie geht nicht, sie hüpft, tänzelt, trippelt; immer und überall – als schwebe sie in einer anderen Sphäre. Die Kamera, stets nah in diesen Körpern, ist faktisch die Fortführung der Ästhetik von The Tree of Life. Oft schaut sie von unten herauf, sie bewegt sich ruhig, aber permanent, als wäre sie auf der stetigen Suche nach etwas, als wäre sie ein Geist, ein heiliger vielleicht.

Hier nun kommt diese Rezension nicht umhin, sich einen Platz zu suchen in der Dichotomie der Malick-Gläubigen oder der Aus- bzw. Abgestoßenen, denn letztendlich geht es wohl nur darum: Glaubt man diesem Film oder nicht?

Ich bekenne: Ich glaube nicht, ich bleibe außerhalb und auch mit großen Mühen gelingt es mir nicht, in diesen Film einzudringen. Daraus resultiert ein Kinoerlebnis, welches To the Wonder zu nichts anderem als einem technisch gut gemachten The Tree of Life Reste-Essen macht, das leer zu sein scheint und auf dessen Hochglanzoberfläche sich Körper artifiziell und redundant bewegen, die Worte flüstern, welche philosophisch sein sollen, aber letztlich nur grotesk und ohne Sinn sind, die mir vorkommen wie eine Predigt ohne Inhalt. So absurd scheint mir der Film, dass ich mir vorstelle, wie Terrence Malick zuhause sitzt und darüber lacht, dass er einen Film gemacht hat, auf den sich die Kritiker hier stürzten und ihnen dann zwei Stunden Versatzstücke im Stile einer Hochglanz-Fernsehwerbung für Parfüm präsentierte, die nirgends Kohärenz besitzt und die nichts bedeutet.

Eine interessante kleine Schnittstelle kam hier in den Sinn zu Paul Thomas Andersons The Master, der andere gehypte Film des Festivals. Der Sohn des Kultpredigers sagt hier einmal „He is making it up as he goes along…“ Und so spiegelt sich hier im Kino wider, was in The Master das Filmthema ist: Glaubt man dem Werk, glaubt man dem Macher oder nicht?

(Festivalkritik Venedig 2012 von Beatrice Behn)

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Man mag sich schon ein wenig wundern. Noch immer ist The Tree of Life, ausgezeichnet und geehrt in Cannes 2011, bei vielen Kinogängern in den Köpfen – und dann macht Terrence Malick, dieser so eigenwillige Poet des US-Kinos, schon wieder einen Film. Das ist insofern bemerkenswert, weil sich der scheue Regisseur in den letzten Jahren nicht gerade mit einem großen Output hervorgetan hat. Denn seit 1969 hat Malick gerade mal bei sechs Filmen Regie geführt — und wird dennoch bereits zu Lebzeiten als Legende gehandelt. Badlands aus dem Jahre 1973 beispielsweise hat sich, da ist sich die internationale Kritik einig, im cineastischen Erbe tief verankert.

Mit To the Wonder, seiner siebten Regie-Arbeit, scheint Malick nun auf dem Gipfel der Möglichkeiten angekommen zu sein, wenn es darum geht, sich dieser überhaupt erstmal nur anzunähern oder diese gar für sich bewerten zu wollen. To the Wonder ist einer dieser Filme, die man schnell und leicht als Kitsch abtun kann. Der mit seinen feinen, abschweifenden Bildern spielt und der sich in seinen bedeutungsvollen (oder bedeutungsschwangeren?) Szenen auch immer mal wieder (zu) sehr gefällt. Der depressiv sei und sich zu ernst nimmt, wie man immer wieder auf Festivals oder von Trade-Shows vernimmt. Und der bereits bei vielen Kritikern weltweit heftige Abwehr-Reflexe hervorgerufen hat.

To the Wonder ist tatsächlich in allererster Linie Geschmacksache – ein Film, der geradezu dazu prädestiniert ist, ihn entweder tief zu verehren oder inbrünstig abzulehnen. Wer dieses Wagnis eingehen möchte: Eine Empfehlung dürfte es in jedem Fall sein, diesem bildgewaltigen, tiefgründigen und emotionalen Drama über die wichtigen Dinge des Lebens, die Liebe und den Glaube, besser nicht mit dem Kopf beikommen zu wollen – weil man sich dann gedanklich möglicherweise zu schnell abwenden wird oder sogar genervt reagiert. Vielleicht vergleichbar mit The Fountain von Darren Aronfsky gilt es To the Wonder stattdessen am besten in erster Linie emotional zu erfassen, sich in diese großartige Bilderflut gedankenlos hineinfallen zu lassen. Denn wer als Kinobesucher ausreichend Offenheit und die notwendige Bereitschaft mitbringt, sich diesem kraftvollen Film hinzugeben – der wird belohnt werden und sich bis ins Mark berühren lassen.

To the Wonder

Es gibt Filme, die machen einem die Arbeit als Filmkritikerin schwer – und das ist auch gut so. Denn ein Film soll Emotionen hervorrufen; nichts ist schlimmer, als aus dem Kino zu kommen und nichts zu empfinden. Das geschieht bei Terrence Malicks neuem Film „To the Wonder“ auf jeden Fall schon mal nicht. Im Gegenteil, als der Abspann begann, wurde er in einem Konzert aus Buh-Rufen und gleichsam frenetischem Klatschen erstickt.
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Meinungen

Martin Zopick · 10.10.2021

Hier hat uns der geniale Sonderling unter den Regisseuren Terence Malick ganz schön aufs Glatteis geführt. Manche reden von Verarsche. Der kryptische Titel kann bedeuten ‘Was das Wunder betrifft‘ oder ’Was zum Wundern‘. Beides ergibt so viel Sinn wie der ganze Film. Ben Affleck rennt durchs Bild und schaut stumm suchend um sich, bis er Olga Kurylenko herzen kann, wenig später treibt er das gleiche Spiel mit Rachel McAdams. Dann verlässt er wieder Rachel und heiratet Olga, samt Tochter, die aber irgendwie verschwindet. Hinzu kommt noch ein suchender Pater (Javier Bardem), der im Gefängnis die Kommunion verteilt und die Beichte abnimmt. Ein Kommentar aus dem Off schafft zusätzlich Verwirrung, weil der Zuschauer das Wort nicht immer mit dem Bild zu einer sinnvollen Schnittmenge bringen kann. Dazu läuft als akustische Folter ein musikalischer Gulasch ab, der Daumenschraubenfomat besitzt. Die Bilderfetzen sind für sich genommen bisweilen ja ganz schön anzuschauen, doch da sie einen Plot vermitteln sollen, können sie nicht bloß nur konstatieren, sondern müssten auch Beweggründe, eventuell Motive für die gezeigten Handlungen durch Dialoge z.B. angeboten werden. Die Darsteller fühlen sich ähnlich unwohl wie die Zuschauer und laufen ratlos durchs Bild, wie der Hamster auf der Rolle. Aus dem Off hören wir Sätze wie ‘Der Mensch revoltiert gegen Gott‘ oder ‘Man muss den Tatsachen ins Auge sehen.‘ Abgesehen davon, dass sie zu den Bildern passen wie der besagte Fisch zum Fahrrad, sind sie auch unerhört innovativ. Aber Bilder ohne Sinnzusammenhang sind wie die Tanne ohne Nadeln oder das Aquarium ohne Wasser. Man wartet auf den Abspann und ist erlöst, wenn er kommt, falls man überhaupt solange durchgehalten hat und nicht eingeschlafen ist, weil man sich so gewundert hat. K.V.

Heide Limpert · 24.03.2020

Herr Malick, warum gibt es diesen Film? Ist es eine Ode an die Vergänglichkeit der Liebe? Oder kann der Zuschauer hier die Unvereinbarkeit "Europa Rest der Welt" erkennen? Offenheit für ein ganz anderes Sehverhalten, einen ganz anderes Verhalten in die filmische Eintrittsebene, sind gefordert. Nicht die Sprache wird hier zum Stilmittel, zur Verständnisebene, die Bildes sind es: soghaft, traumwandlerisch, karg. Die Filmsequenzen sind anstrengend. Provozieren das Rausgehen aus dem Kino, aber auch das Verharren. Ganz wie die Protagonisten. Unschlüssig sind sie, die Hauptfiguren, vielleicht wie das Leben – eben melancholisch, wechsel- und schicksalhaft. Die Musik dient als Stütze, damit der Film nicht in sich zerbröselt; schwer und tragisch. Nun gut, tief in die arthouse-Kiste gegriffen. Ob es ein guter Griff war? Ja.

Detlef Kastens - dk.stens@t-online.de · 30.05.2013

Irre ich mich oder klingt das bei beiden Rezensenten ein bisschen nach Tarkovski? die Zielrichtung ist bei beiden Regisseuren nicht nur ähnlich, sondern was die so genannte Gottsuche angeht, gleich. Tree of Life hat mich sehr daran erinnert. Mit Verehrung und Ablehnung sieht es auch so aus. In jedem Fall ein zweifellos sehenswerter Film, denn eines scheint er den Zuschauern nicht zu sein: gleichgültig und ich bekenne, ein Verehrer Tarkovskis zu sein und auch einer, der Malick sehr schätzt, auch dann, wenn er nie ganz die Klasse, die Perfektion des Russen erreicht.
Und: alles Religiöse, vielleicht besser Spirituelle, ist Glaubenssache und hat nichts zu tun mit Analyse und Gewissheit. Deshalb ist Ihr Hinweis auch sinnvoll, sich dem Film einfach zu überlassen, dem Erlebnis hinzugeben.
Wer mag, wird auch analysieren, hinterher.
Oder fragt man bei einem sehr besonderen Essen zuerst danach, bei wieviel Grad gekocht wurde und wieviel Gramm der jeweiligen Zutaten hineingegeben wurden statt zu schmecken? ;-)