Three Seasons

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Saigon Stories

Der harte, tägliche Kampf um ein meist bescheidenes Überleben, die Einsamkeit der Kreatur im urbanen Raum und die schwerlastige, traumatische Vergangenheit der vietnamesischen Gesellschaft bilden den Schwerpunkt dieses eindringlichen Films. Three Seasons / Ba Mùa von Tony Bui, auch bekannt unter dem Titel Saigon Stories, fokussiert eine kleine, intensive Weile lang einen bedeutenden Ausschnitt im Leben von fünf Menschen, die es aus ihrer gewaltigen Isolation heraus wagen, sozialen Barrieren zum Trotz hartnäckig ihre bescheidenen, ganz persönlichen Ziele zu verfolgen.
Als die junge Kien An (Ngoc Hiep Nguyen) ihre neue Stelle als Lotuspflückerin inklusive Schlafplatz antritt, wird rasch deutlich, dass es ihr nicht leicht fallen wird, den Anforderungen zu genügen und einen guten Platz unter den meist älteren, verschlossenen Frauen einzunehmen. Ein Tempel am Ufer des Teiches, der den völlig zurückgezogen dahinvegetierenden, an Lepra erkrankten Herrn Dao (Tran Manh Cuong) beherbergt und dessen Betreten streng verboten ist, erweckt bald ihr Interesse, und Kien An gelingt es tatsächlich, den verbitterten Dichter, dessen abgefaulte Hände keinen Stift mehr zu halten vermögen, aus der Reserve zu locken, der ihr von nun an seine Gedankenströme diktiert. Doch als seine Inspirationen versiegen, stößt der verzweifelte Dao die fürsorgliche Frau einfach wieder fort …

Der bereits ältere Hai (Duong Don) betreibt immer noch ein Fahrrad-Taxi in der vietnamesischen Metropole Ho-Chi-Minh-Stadt, die vor gut 30 Jahren noch den berühmt-berüchtigten Namen Saigon trug, und verbringt seine oft langen Wartezeiten auf Kundschaft mit dem Lesen von Büchern. Als er eines Tages die junge Prostituierte Lan (Zoë Bui) gerade noch vor einer unerfreulichen Auseinandersetzung rettet, heftet sich der Cyclo Driver unablässig an ihre Fersen und wird auch kurzfristig zu ihrem Stamm-Taxi, doch der kühlen Lan sind die Annäherungen des schlichten Mannes äußerst suspekt und sie hält ihn zunehmend schroffer auf Distanz …

Der US-Amerikaner James Hager (Harvey Keitel) sitzt Tag für Tag inmitten der Stadt auf einem Stuhl am Straßenrand und raucht, als warte er auf eine zeitlich variable Verabredung, an die er im Grunde nicht wirklich glaubt. Und tatsächlich ist er auf der Suche nach seiner Tochter, mit deren mittlerweile verstorbener Mutter er vor langer Zeit ein Verhältnis hatte, doch sein einziger Anhaltspunkt ist eine Fotografie der beiden, und Hager vertraut eher auf eine schicksalshafte Begegnung als auf systematische Nachforschungen …

Der kleine Woody (Nguyen Huu Duoc) ist eines jener schutzlosen Kinder, die auf städtischem, oft nächtlichem Territorium unterwegs sind, um durch kleine Geschäfte ein wenig Geld zu verdienen. Mit seinem mobilen Bauchladen durchstreift der Junge die Lokale der Metropole, um Zigaretten, Kaugummi sowie auch Uhren und Feuerzeuge anzubieten. Eines Nachts überredet ihn der sentimentale Amerikaner Hager in der schicksalshaften Bar Apocalypse Now dazu, ein Bier zu trinken, und als Woody erwacht, ist sein gesamter Bachladen gestohlen worden, eine existentielle Katastrophe für das Kind, das dafür von seinem Großvater des ärmlichen Zuhauses verwiesen wird und nun wiederum den Amerikaner überall sucht …

Kien An, Hai, Lan, Hager und Woody – sie alle vereint ein offensichtlich einsames Leben, der Wunsch nach Veränderungen sowie eine unerschütterliche Haltung angesichts der Härten ihres Daseins, das gerade dadurch davor bewahrt bleibt, in verzweifelte Verlorenheit abzugleiten. So lässt es Regisseur Tony Bui, der als Kleinkind mit seiner Familie aus Vietnam in die USA flüchtete, auch nicht zu, dass seine Figuren letztlich scheitern, als wolle er der Beharrlichkeit als fördernder Komponente geradezu ein wohlverdientes Denkmal setzen. Doch was für einen Augenblick als großes Glück erscheint, daran lässt der Filmemacher trotz seiner deutlich positven, unpathetischen Position keinen Zweifel, ist sicherlich keine verlässliche Konstante und hat durchaus auch einen Preis, kann aber dennoch bei Zeiten genug Kraft abstrahlen, um dauerhafte, sehr schöne und damit auch verlässliche Wandlungen herbeizuführen.

Three Seasons ist ein wunderbarer Film, der auf einigen internationalen Filmfestivals zu sehen war und mehrfach ausgezeichnet wurde, dessen Komplexität sich im ausdrucksvollen, grandiosen Spiel der Darsteller eher durch die starken Bilder als durch die ebenfalls ansprechend gestalteten Dialoge andeutet. Dass bei all der Melancholie und den potentiellen Wendungen der Dramaturgie, die die Hauptcharaktere in unterschiedlicher Intensität aufeinander treffen lässt, ein derart stimmiger, bewegender und doch unsentimentaler Film entsteht, ist schon ein beachtliches Filmkunststück, das dem Zuschauer zwar mitunter verweigert, was er gern sehen würde, aber gerade deshalb gewohnte Perspektiven auf angenehme Weise verschiebt und zudem vor allem am Ende einen Glücks-Hauch versprüht, der sich jenseits von großartigen Verklärungen eine Weile halten kann.

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Der harte, tägliche Kampf um ein meist bescheidenes Überleben, die Einsamkeit der Kreatur im urbanen Raum und die schwerlastige, traumatische Vergangenheit der vietnamesischen Gesellschaft bilden den Schwerpunkt dieses eindringlichen Films.
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