The Woman (2011)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Mutter Natur beißt zurück

Es wäre als Anfang ein so klassischer Moment des amerikanischen Horrorfilms: Die Cleeks, eine gar nicht so kleine Familie, Vater, Mutter, Sohn und zwei Töchter, ist bei Freunden auf dem Gartenfest zu Gast. Die Kinder hängen jeweils bei ihren Altersgenossen herum, die Älteste lesend am Pool, der Vater ist Rechtsanwalt, ein Mann, dem die Leute im Ort vertrauen. Hier ist es selbstverständlich, dass man mit großen Autos fährt, der Weg zum nächsten Nachbarn ist weit, dazwischen reichlich Natur, die sich der Mensch Untertan machen kann und soll: Am Wochenende geht der Anwalt gerne schon frühmorgens auf die Jagd, auch allein.

So könnte es sein. Aber nichts ist hier so ideal. Schon auf der Grillfeier wirken die Kinder etwas eigenartig: Die große Tochter Peggy (Lauren Ashley Carter) reagiert auf die Annäherungen der männlichen Teenager allein mit einem Blick zu ihrem Vater hin, und der Sohn Brian (Zach Rand), ein wenig jünger als seine Schwester, sieht unbewegt dabei zu, wie ein kleines Mädchen bedrängt und gehänselt wird. Das Familienideal hat also Risse, bevor der Film überhaupt angefangen hat; und Lucky McKee lässt seinen The Woman auch nicht mit der Familie beginnen, sondern mit der titelgebenden Frau.

Den Titel nimmt sich dieser Film – nach einem Roman von Jack Ketchum – nämlich von Der Frau, einer Art weiblicher Kaspar Hauser: Wild in den Wäldern aufgewachsen, anscheinend (so sieht man sie es im Vorspann träumen, in einem Moment, der ihre Herkunft in fast schon mythologischen Gefilden verortet) von Wölfen versorgt und aufgezogen. Sie ist die erste Figur, die man sieht, und ihr gehört dieser Film, einer wörtlich sprach-losen, nur ihrer eigenen Selbsterhaltung dienenden Person. Vater Chris (Sean Bridgers) stößt zufällig bei einem Jagdausflug auf sie, nimmt sie gefangen und schließt sie in seinem Sturmkeller hinter dem Haus fest an, die Arme mit Stahlseilen zwischen zwei Holzpfosten fixiert.

Bei seiner Premiere auf dem Festival in Sundance hat The Woman zu heftigen Reaktionen geführt, übermäßige Gewaltszenen wurden dem Film vorgeworfen und eine unerträglich frauenfeindliche Grundhaltung. Den Film selbst freilich treffen diese Anwürfe nicht – brutal mag er zwar sein, aber doch eher für die Seele des Betrachters; richtig blutig wird es erst in den letzten fünfzehn Minuten. Und Frauenfeindlichkeit ist in The Woman Thema, nicht Haltung.

Es geht hier bis in den letzten, umstürzlerischen Moment hinein um eine (vernichtende und womöglich bösartige) Beschreibung der traditionellen Kernfamilie und um eine Auseinandersetzung mit ihren Strukturen und Werten – die Keimzelle der Gesellschaft, wie es so schön heißt, ist in McKees Film vor allem Keimzelle des sich selbst reproduzierenden Patriarchats. Die Notwendigkeit, die wilde Frau zu „zivilisieren“, wie Chris es nennt, ist darin nur ein weiterer Vorwand, einer Frau ihren Platz in der Gesellschaft zuzuweisen.

Er ist der nach außen hin freundlich-autoritäre Patriarch, der seine Macht oder eher noch: seine Position aber nach innen mit nahezu allen Mitteln festigt und sichert, aus dem Gefühl (oder innerlich: dem Wissen) heraus, dass eben diese die anzustrebende, die richtige Ordnung sei. Wie weit die Durchdringung der Cleeks geht, begreift man erst, wenn alle Familienmitglieder ihre Aufgaben bei Pflege und „Zivilisierung“ der Frau erhalten – und niemand protestiert.

McKee blättert nach und nach auf, was in dieser Familie vor sich geht, und macht dabei auch nur stückweise die Figur Chris sichtbarer; nur einmal, anfangs, lässt er sich dazu hinreißen, ihn durch eingespielte Musik beim Blick auf Die Frau als den Sexisten zu präsentieren, als der er sich erst nach und nach entpuppt.

Obwohl bis kurz vor Schluss die zwei Männer, Vater und Sohn, die Handlung dominieren, sind es zwei Frauen, auf die der Film seine besondere Aufmerksamkeit richtet. Das ist zuallererst Chris‘ Ehefrau Belle. Angela Bettis spielt sie mit (auch physisch geradezu sichtbarer) Zerbrechlichkeit, aber nie darauf reduziert – eine äußerst ambivalente Figur, deren Versagen und deren Kraft gleichermaßen erst ganz zum Schluss offenbar werden. McKee hatte mit Bettis bereits vor einiger Zeit schon einmal zusammengearbeitet, sie war die Hauptfigur in seinem nach dieser benannten Debütfilm May.

Die eigentliche Hauptfigur von The Woman ist natürlich Die Frau – sie ist das Zentrum der Handlung, ihr Bezugspunkt – und wirkt doch seltsam an den Rand gedrückt, da sie für die meiste Zeit des Films nur dann zu sehen ist, wenn andere sich unmittelbar mit ihr auseinandersetzen. Polyanna McIntosh gibt dieser Rolle eine atemberaubend intensive Präsenz, ohne wirklich zu sprechen – gutturale Laute sind alles, was sie sich entlocken lässt. Ihr Blick ist klar und furchtlos auf ihr Gegenüber gerichtet; in den Ketten der Gefangenschaft bewegt sie sich in suchenden, schwingenden Bewegungen, immer bereit, ein Gegenüber plötzlich zu fixieren.

Das Projekt der Zwangszivilisierung der Frau – eine völlig pervertierte Variante auf Pygmalion, wenn man so will – weist im amerikanischen Kontext noch einmal über die Geschlechterstrukturen hinaus, die der Film so offensichtlich und auch filmisch verhandelt (seine Bilder sind nach Geschlechtergrenzen sortiert, wie es die Mikrogemeinschaft Familie auch ist; immer wieder stehen Sohn und Vater im Vordergrund, die Frauen weiter hinten, oder die einen rechts, die anderen links). Es deutet zugleich auf das Ausüben von Zwang auf andere überhaupt hin: Natur, andere Kulturen – nicht zuletzt spielt der Film auch ganz am Rande auf die amerikanische Besiedlungsgeschichte an.

Und in alldem erlaubt er sich Momente schwarzer Komik. „This is not civilized behaviour!“ schimpft Chris – da hat Die Frau ihm gerade seinen Ringfinger samt Ehering abgebissen und letzteren wieder ausgespuckt. Da bricht sie schon, kaum dass sie gefesselt worden ist, mit der gesellschaftlichen Ordnung. Und auch wenn der Schluss auch in dieser Hinsicht ein wenig dick und blutig aufgetragen sein mag: Wenn ein bisschen Patriarchat dabei zum Einsturz kommt, freut man sich doch, wenn dies so gelungen aussieht wie in The Woman.
 

The Woman (2011)

Es wäre als Anfang ein so klassischer Moment des amerikanischen Horrorfilms: Die Cleeks, eine gar nicht so kleine Familie, Vater, Mutter, Sohn und zwei Töchter, ist bei Freunden auf dem Gartenfest zu Gast. Die Kinder hängen jeweils bei ihren Altersgenossen herum, die Älteste lesend am Pool, der Vater ist Rechtsanwalt, ein Mann, dem die Leute im Ort vertrauen.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen