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Die Filmemacherin Joanna Hogg hat einen autofiktionalen Film mit Tilda Swinton gedreht. Wie verhält es sich also, mit der Kunst und dem Leben?

The Souvenir (2019)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Konstruktionen des Lebens

Schwarzweißfotos von Sunderland sind am Anfang von Joanna Hoggs „The Souvenir“ zu sehen, dazu hört man Auszüge aus einem Interview. Es sind Fotos, die Regisseurin Joanne Hogg selbst in Sunderland gemacht hat, einer Stadt, die mit den schließenden Schiffswerften ein Beispiel für die katastrophalen Folgen von Thatchers Wirtschaftspolitik war. Aus dem Off hört man Auszüge aus einem Radio-Interview, eine junge Filmemacherin will einen Film über die Stadt machen und erzählt von ihrem Vorhaben. Es folgt ein Schnitt. Farbige Aufnahmen von einer Party, die Kleidung verweist eindeutig auf die frühen 1980er Jahre. Verschiedene junge Erwachsene – fast alle scheinen so bis Mitte 20 zu sein – sitzen auf einer Party zusammen, es wird viel geraucht, getrunken und noch mehr geredet. Julie (Honor Swinton Byrne) hört zu, steht am Rand, beobachtet und fotografiert. Die Kamera des Films beobachtet ein Gespräch von Anthony (Tom Burke) mit einer Frau, dann ist Julie zu sehen, die mit ihm redet.

Sie werden sich wieder treffen, bei Champagner über Julies Film und den Unterschied zwischen „real“ und „truthful“, wirklich und wahrhaftig, reden; er lädt sie ins Museum ein, zeigt ihr das Bild The Souvenir von Jean-Honoré Fragonard. Es ist eine langsame Verführung, der Julie nicht widerstehen kann und will. Doch diese Beziehung bringt sie ab von ihrem Kurs, immer mehr steht sie im Mittelpunkt. Bei einem Abendessen – nun keine Party mehr, sondern zwei Paare, die zusammen essen – wird weiterhin über Kunst und Filmemachen geredet, zugleich aber erfährt Julie etwas über Anthony, das sie nicht wusste. Aber Julie konfrontiert ihn nicht, sie wird ihn nur einmal konfrontieren und dann schnell zurückrudern. Stattdessen spielt sie mit bei seinen Lügengeschichten. 

Joanna Hogg hat mit The Souvenir einen Film gedreht, der den Anfang in ihren eigenen Erinnerungen nahm. Es gab kein Drehbuch, sondern mehr eine Kurzgeschichte und im Verlauf der Dreharbeiten hat sich der Film dann verändert. Daher ist er eine Abbildung ihrer Erinnerungen, er hat Leerstellen, manches wird sich so zugetragen haben, manches nicht. Doch es geht hier auch nicht um Fakten oder Authentizität, sondern im Rahmen dieses autofiktionalen Erzählens werden große Themen wie das Verhältnis von Kunst und Wirklichkeit, vor allem aber das Werden einer Filmemacherin verhandelt. Dabei wird er nicht zu einer egozentrischen Nabelschau, sondern er steckt voller kleiner Momente der Wahrheit. Das Nachdenken über Film bedeutet hier auch immer Nachdenken über das Leben. 

Dabei beeindruckt die Offenheit dieses Films: Immer wieder wird Julie in Gesprächen mit ihren Privilegien konfrontiert – aufgewachsen in einem finanziell gut situierten, bürgerlichen Umfeld begegnet sie der Einschätzung, dass ein Budget für sie keine Rolle spiele. Sie will unbedingt einen sozialrealistischen Film drehen, der in Sunderland spielt und den harten Alltag der Dockarbeiter aufgreift, und wird immer wieder gefragt, warum sie ihren Film nicht über etwas machen wolle, womit sie mehr Erfahrung hat. Hier vertraut Joanna Hogg darauf, dass auch ein Publikum außerhalb Großbritanniens versteht, worauf sie anspielt: In den 1980er Jahren ist die bürgerliche Klasse erschüttert, während des Films werden nicht nur die katastrophalen Folgen angesprochen, die die Schließung der Werften in Sunderland haben, sondern auch die Bombe der IRA, die explodierte. Julie hört die Erschütterung in ihrem Apartment. In ihrem Leben aber hat sie keine Folgen. 

Stattdessen hat sie diese Beziehung mit Anthony: Er bringt ihr Reizwäsche aus Frankreich mit, zieht bei ihr ein – und braucht doch ständig Geld. Sie reisen nach Venedig, in ihre Wohnung wird scheinbar eingebrochen. Sie bringt ihn zu seinem Dealer, wartet im Wagen auf ihn und glaubt doch, er würde nicht konsumieren, wenn sie dabei ist. 

Wie Erinnerungen bleibt auch der Film fragmentarisch, bisweilen fragt man sich, warum Julie bei Anthony bleibt, was sie bindet an diesen Mann, warum sie ihm immer wieder Geld gibt. Anthonys Charme bezirzt sie, er unterstützt sie auch, doch zugleich nutzt er sie aus. Doch er ist so anders als ihre Freunde von der Uni – und vielleicht ist es das, was sie fasziniert. Außerdem scheint sie nicht zu wissen, was sie eigentlich will. Sie ist gleichermaßen ehrgeizig wie apathisch, schüchtern und leidenschaftlich – und sie wird beeindruckend von Honor Swinton Byrne gespielt. Sie ist die Tochter von Tilda Swinton, die wiederum auch in dem Film ihre Mutter spielt. 

The Souvenir ist ein komplexer Film, grandios gespielt, dazu elegant und präzise fotografiert (Kamera: David Raedeker) und geschnitten (Schnitt: Helle le Fevre). Beispielsweise wiederholt sich ein Schnitt auf eine Landschaft, in der am unteren Bildrand einige Bäume und vor allem der Himmel zu sehen ist. Sie könnte von Julies Heimat stammen. Im Film aber gibt sie Raum zum Atmen, zum Verarbeiten, zum Nachdenken. Doch es gibt nicht nur diese statischen Tableaus, dazwischen flirrt eine Handkamera, bisweilen wechselt die Aufnahmetechnik innerhalb einer Sequenz und hinterfragt damit innerhalb der Bilder, wie das Leben inszeniert wird – oder wird es doch gelebt? 

Alles steht hier in Beziehung zueinander: die Kunst zum Leben und beides wiederum zu der sozialen Klasse und gesellschaftspolitischen Begebenheiten. Auch wenn alles ein Konstrukt ist, so lassen sich diese Faktoren nicht ausblenden. Dabei ist zudem stets klar, dass Einbildung eine große Rolle in allen Bereichen unseres Lebens spielt, dass in diesem Film eine Filmemacherin auf ihr jüngeres Selbst zurückblickt, dass sie sich ihren Erinnerungen annähert. Und dass das ein komplexer Prozess ist, zeigt nicht zuletzt die Ankündigung von The Souvenir, Part 2.

The Souvenir (2019)

„The Souvenir“ erzählt von der verhängnisvollen Beziehung einer jungen Filmstudentin zu einem charismatischen Mann, dessen Geheimnis ihren Blick auf die Welt verändert. 

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