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Eine öffentliche Bibliothek gewährt allen Interessierten freien Zugang zu Bildung und Information. In Cincinnati, Ohio wird die Einrichtung auch gerne von Menschen genutzt, die auf der Straße leben. Als Obdachlose in einer bitterkalten Nacht das Gebäude besetzen, überschreiten sie aber eine Grenze.

Ein ganz gewöhnlicher Held (2018)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Eine Zuflucht vor der Kälte

Vor der städtischen Bibliothek von Cincinnati, Ohio warten am Morgen ein paar Besucher ungeduldig auf die Öffnung der Türen. Für den leitenden Bibliotheksangestellten Stuart (Emilio Estevez) gehört dieser Anblick zum gewohnten Alltag. Er kennt Jackson (Michael K. Williams) und viele andere jener regelmäßigen Besucher persönlich, die nicht in erster Linie wegen der Bücher kommen. Die Bibliothek bietet während ihrer Öffnungszeiten auch Obdachlosen ein Refugium, in dem sie sich waschen, aufwärmen, das Internet benutzen und natürlich auch das eine oder andere Buch aus dem Regal nehmen können. Eine arktische Kältewelle hat die Stadt im Griff und so beschließen die Obdachlosen eines Abends, in einem Lesesaal verbotenerweise ihr Nachtlager aufzuschlagen.

Stuart und seine Mitarbeiterin Myra (Jena Malone) halten die Stellung im Kreise der Hausbesetzer. Stuart veranlasst sogar, die Türen von innen mit Bücherregalen zu verbarrikadieren. Draußen macht das Gerücht einer Geiselnahme die Runde. Weil er als Vermittler viel Erfahrung hat, wird der Kriminalpolizist Bill Ramstead (Alec Baldwin) an den Ort des Geschehens gerufen, obwohl er sich ein paar Tage freigenommen hatte, um seinen drogenabhängigen Sohn zu suchen. Ramstead will mit Stuart verhandeln, während der Staatsanwalt und Bürgermeisterkandidat Josh Davis (Christian Slater) unnachgiebig die Räumung des Hauses fordert.

Der Regisseur Emilio Estevez (Bobby) fungiert bei diesem Drama auch als Drehbuchautor und Hauptdarsteller. Mit der parabelhaften Geschichte richtet er einen flammenden Appell an die amerikanische Gesellschaft, sich wieder auf Werte wie Gleichberechtigung, Hilfsbereitschaft und Solidarität mit den Ausgegrenzten zu besinnen. In Cincinnati, und nicht nur dort, tut sich ein Graben auf zwischen Bürgern, die ein Heim und ein Einkommen haben, und der wachsenden Zahl jener, die in die Drogenabhängigkeit rutschen oder aus anderen Gründen auf der Straße landen. Die Bibliothek ist sozusagen ein Zufluchtsort für die Demokratie, sie bietet auch den vom Kapitalismus ausgegrenzten Menschen gesellschaftliche Teilhabe, nämlich den Zugang zu Bildung und Information.

Die Geschichte regt dazu an, über die Gestaltung des öffentlichen Raums und den Zustand der Zivilgesellschaft nachzudenken. Dass die Lage dramatisch ist, erleben Stuart und seine Mitarbeiter längst im Alltag. Unter den Obdachlosen gibt es Menschen, die stören, die andere Besucher belästigen, bei denen sich geistige Krankheiten bemerkbar machen. Stuart ist ein Vermittler, er befriedet, schlichtet Streit, aber weil er kürzlich jemanden vor die Tür setzte, soll er nun seine Arbeit verlieren. Dabei bot ihm die Bibliothek einst selbst Zuflucht und ließ ihn die Welt der Literatur lieben lernen. Stuart übt seinen Beruf ausgesprochen gerne aus. Eine hübsche Montage zitiert die anspruchsvollen bis kuriosen Fragen, mit denen wissbegierige Besucher*innen an das Personal herantreten. In einer Bibliothek werden Antworten auf alles erwartet, aber ihre Angestellten sind überfordert, wenn sie richten sollen, was die Politik versäumt hat.

Estevez begreift die Lage als so dramatisch, dass er den Vergleich mit John Steinbecks Roman Die Früchte des Zorns bemüht. 1939 erschienen, schildert das Buch das Elend der während der Wirtschaftskrise verarmten und vertriebenen Farmer aus dem Mittleren Westen, die nach Kalifornien ziehen und dort nicht das gelobte Land vorfinden. Stuart gibt telefonisch aus dem besetzten Raum einer Fernsehreporterin (Gabrielle Union) ein Interview und zitiert aus dem Buch. Sie erkennt die Quelle nicht und hält Stuart aufgrund seiner poetischen Worte für derangiert. Obwohl sie anhand zugespielter Videoaufnahmen erkennen könnte, dass die Lage im Lesesaal friedlich ist, besteht sie auf dem Verdacht der Geiselnahme, weil sie an medialer Aufmerksamkeit und persönlichem Ruhm interessiert ist. Dieser Seitenhieb auf die Quotenfixierung vieler amerikanischer Nachrichtensendungen sitzt.

Unter den Obdachlosen im Raum befinden sich Kriegsveteranen, psychisch Kranke, Leute, die im Gefängnis landeten, weil sie sich zum Schlafen hinlegten, wo sie nicht willkommen waren. Die parabelhafte Konstruktion zieht sich bis zum Schluss durch und verleiht dem Drama Ähnlichkeit mit einem Bühnenstück. Ein schizophrener Bibliotheksbesetzer ist davon überzeugt, dass sein Blick andere Menschen tötet, aber Stuart gelingt es mit einer einfachen Geste, dem Mann buchstäblich die Augen zu öffnen. Nicht ganz so prägnant geraten die Passagen, in denen der Krisenstab um Rampstead und Davis über das Vorgehen berät. Alec Baldwin dient dem Drama offenbar mit seinem Namen als Zugpferd, aber seine Rolle wird mit der Zeit blasser. Ähnlich ergeht es dem Staatsanwalt, der harte Sprüche klopft und ansonsten über weite Strecken nur dumm aus der Wäsche schaut.

Estevez hingegen überzeugt als nachdenklicher, eher unscheinbarer Bibliothekar, der in der aktuellen Notlage nicht gleich eine feste Einstellung ausformen und artikulieren kann. Die Zeit der Ungewissheit im besetzten Raum zieht sich hin und dieser Leerlauf erhält eine gewisse pathetische Aufladung. Trotz solcher mangelnden Perfektion und einer Tendenz zum moralisch-emotionalen Überschwang besitzt das Drama mit seiner politischen Botschaft eine Eigenschaft, die es positiv von der filmischen Massenware abhebt.

Ein ganz gewöhnlicher Held (2018)

Weil die Schutzeinrichtungen während einer brutalen Kaltfront belegt sind, sucht eine Gruppe Obdachloser Zuflucht in der öffentlichen Bibliothek im Zentrum von Cincinnati und weigert sich, den Ort auch nach der Schließung zu verlassen. Was zunächst als friedliches Sit-in und Akt des zivilen Ungehorsams beginnt, eskaliert schließlich aufgrund des Eingreifens der Polizei, eines Krisenmanagers der Behörden und eines Staatsanwaltes mit politischen Ambitionen.

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Meinungen

Larry Lapinsky · 20.02.2020

Während filmstarts.de leider mal wieder gar keine Kritik brachte, schrieb der NDR, der Film sei ein pathetisches Rührstück. Das kann ich NICHT unterschreiben und bin dankbar für die deutlich differenziertere Kritik hier. Zugegebenermaßen schwingt am Ende wirklich viel Pathos mit, Estevez spielt seinen "Helden" allerdings wirklich sehr nüchtern, was ich toll und auch passend fand. Der deutsche Titel ist trotzdem wieder mal - leider - Käse, denn der englische Titel "The Public" ist viel kürzer, prägnanter, treffender und dennoch vieldeutiger: Wie Bianka Pieringer treffend bemerkte: "Die Geschichte regt dazu an, über die Gestaltung des öffentlichen Raums und den Zustand der Zivilgesellschaft nachzudenken" - genau DAS drückt der Titel aus!

Filmdiva · 19.12.2019

Great film for all friends of libraries.

leo feld · 11.06.2019

Zu gewollt...