The Pretty One

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Ich bin sie – und sie ist tot

Nach Zoe Kazans Auftritt als Titelfigur in der Fantasy-Dramödie Ruby Sparks dürfte sich jeder Mensch mit Geschmack in die talentierte Enkelin des Hollywood-Regisseurs Elia Kazan verliebt haben. Dieser Verzauberung kann man sich nun auch in The Pretty One von Writer-Director Jenée LaMarque hingeben – denn in LaMarques Langfilmdebüt zeigt Kazan abermals, dass sie das Tragikomische beherrscht und die Anteilnahme des Zuschauers (an einem ziemlich irrwitzigen Geschehen) zu erwecken vermag. In ihrer Rolle, die anfangs eine Doppelrolle ist, überzeugt die junge Schauspielerin in überspitzt-stereotypen Momenten ebenso wie in ernsthaften und romantisch-lustigen Passagen.
Laurel und Audrey (beide verkörpert von Kazan) sind eineiige Zwillinge – und dennoch grundverschieden. Während die verhuschte Laurel die alten Klamotten der verstorbenen Mutter aufträgt und immer noch in der Provinz beim verschrobenen Copy-Künstler-Vater (John Carroll Lynch) und dessen Freundin (Shae D’lyn) lebt, wohnt Audrey im schnieken L.A. und ist dort erfolgreich im Immobiliengeschäft tätig. Überdies hat Audrey die hippere Frisur, die vorteilhaftere Garderobe, die höheren Schuhe und das stärkere Selbstbewusstsein. Bei der gemeinsamen Geburtstagsfeier im Elternhaus kann die angereiste Audrey ihre Schwester dazu bewegen, zu ihr in die Stadt zu ziehen. Doch ehe es zum endgültigen Aufbruch kommt, geschieht ein tödlicher Unfall. Eine vorangegangene Umstyling-Aktion führt zu einer Verwechslung – weshalb die überlebende Laurel für Audrey gehalten wird und sich bald in deren Doppelhaus und Alltag wiederfindet. Sie lernt Audreys Liebhaber Charles (Ron Livingston) kennen – und den netten Basel (Jake Johnson), der die Nachbarwohnung gemietet hat.

Sofern man bereit ist, die Glaubwürdigkeitsdefizite der Handlung hinzunehmen, kann man an der zwischen Komik, Tragik und (alternativer) Romantik kühn schwankenden Tonart von The Pretty One fraglos Gefallen finden. Während der Einstieg recht plakativ geraten ist, zeichnen sich spätere Momente durch deutlich mehr Tiefgründigkeit aus: Der Besuch der eigenen Beerdigung wird etwa zum desillusionierenden Erlebnis – und in den Gesprächen mit der Familie und den angeblichen Freunden wird manch hässliche Wahrheit offenbart. Der (vermeintliche) eigene Tod führt hier gewissermaßen ein „coming of age“ herbei, welches wiederum von der Trauer um einen wichtigen, geliebten Menschen umflort ist.

Die Situationen, die sich in Audreys Wahlheimatstadt L.A. aus der Verwechslung ergeben, entsprechen überwiegend dem Standardrepertoire einer „comedy of errors“. Ein eigenes Profil gewinnt LaMarques Werk indes im RomCom-Fach: Zwar ist der Topf-findet-Deckel-Erzählstrang im Ganzen gesehen reine Subgenre-Routine – in vielen kleinen Details zeigt sich hier aber eine schöne Schrulligkeit, die den Film hervorstechen lässt. Dazu trägt neben der wunderbaren Kazan auch Jake Johnson (bekannt und beliebt als Nick aus der Comedyserie New Girl) bei, indem er in seine Szenen einen einnehmenden Charme und ein sympathisch-unaufdringliches Hipstertum einbringt. So ist Johnsons Rolle nicht nur eine dramaturgisch notwendige Love-Interest-Figur, der einzig und allein die Aufgabe zufällt, möglichst attraktiv zu wirken – sondern ein interessanter Charakter mit individuellen Zügen. Das (Zusammen-)Spiel von Kazan und Johnson macht aus The Pretty One einen erfrischend-unterhaltsamen Film mit einem angenehmen Indie-Vibe.

The Pretty One

Die Zwillinge Laurel und Audrey sehen sich äußerlich zum verwechseln ähnlich. Innerlich jedoch sind sie zwei Menschen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Audrey ist selbstbewusst, unabhängig und steht mit beiden Beinen im Leben. Laurel aber wäre glücklich, wenn sie nur eine dieser Eigenschaften besitzen würde. Als Audrey nach einem Autounfall stirbt, nimmt Laurel Audreys Identität an und lernt erst jetzt, was es heißt, sich selbst zu lieben.
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