The Man of a Thousand Songs

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Tausend Songs und drei Seelen

Wer ist eigentlich Ron Hynes? Das ist nicht einfach zu beantworten. Zum einen, weil in Deutschland nur wenige Eingeweihte überhaupt schon etwas von dem legendären Singer/Songwriter aus Kanada gehört haben. Zum anderen ringt aber auch Ron Hynes selbst sichtlich mit sich, um diese Frage zu beantworten in William D. MacGillivrays Dokumentarfilm The Man of a Thousand Songs. „Der Mann der tausend Songs. Er ist ein Mann, der ganz groß hätte werden könne, es aber nicht wurde“ – wenn Ron Hynes gegen Ende des Films dieses Statement von sich gibt, glaubt man ihm diese Einschätzung sofort. Mit 16 hatte er seinen ersten Plattenvertrag, er war der erste Musiker aus Neufundland, der eine Platte mit eigenen Songs herausbrachte, er war 1978 Gründungsmitglied der Wonderful Grand Band, die eine eigene TV-Show hatte und mit Musik und Comedy erfolgreich durch ganz Kanada tourte. Er schrieb Folk-Klassiker wie Sonny’s Dream, der von unzähligen Musikern gecovert wurde. Heute ist der 1950 in St. Johns geborene Musiker eine lebende Legende – in Neufundland.
Der Regisseur MacGillivray entstammt derselben Gegend und Generation wie Hynes, was sicher ein Grund ist für das vertrauensvolle Verhältnis, das zwischen Filmemacher und Musiker im Film spürbar ist und das die Grundlage bildet für das bemerkenswerte dokumentarische Portrait, das The Man of a Thousand Songs ist. Denn Ron Hynes ist kein einfacher Mensch. Der charismatische Musiker hat ein großes Ego, ist innerlich zerrissen und präsentiert sich gern als Dreifaltigkeit: Ron, der ganz normale Typ; Ron Hynes, die Bühnenpersönlichkeit und „The Man“, welcher auf selbstzerstörerische Weise immer wieder das Ruder in Rons an Höhen und Tiefen reichem Leben übernimmt. Große Erfolge, viel Alkohol, gescheiterte Beziehungen, eine Kokainsucht, die ihn fast umbringt – Ron hat das gesamte Rockstar-Programm hinter sich und berichtet von den Untiefen seiner Karriere und seines Lebens. Dabei blickt er direkt in die Kamera und erzählt damit seine Geschichte nicht nur dem Regisseur, sondern zugleich auch jedem einzelnen Zuschauer, dem er direkt in die Augen zu blicken scheint. Immer wieder gleitet die Kamera von den Close-ups seines Gesichts ab ins Dunkle: Dieser Mann erzählt zwar in aller Offenheit und Direktheit, ist aber trotzdem nicht zu fassen. Ist es jetzt der unverstellte Mensch Ron, der da spricht, oder doch eher der Showman Ron Hynes, der zuweilen ziemlich theatralisch seine dunkle Seite beleuchtet?

Wirklich näher kommt man diesem Künstler nicht durch seine Aussagen, es sind eher seine Songtexte, in denen er sich mitteilt. Immer wieder werden in der Montage des Filmmaterials Performances seiner Songs eingestreut, die seine gesprochenen Worte spiegeln. Es entstehen so – gerade auch durch die Wirkung seiner Musik vor dem Hintergrund seiner Erzählungen – sehr intensive, emotionale Momente. MacGillivray arbeitet dramaturgisch nicht nur mit dem intimen Interview und Archivmaterial. Er hat Hynes auch bei Auftritten in Clubs und TV-Shows, auf der Bühne und Backstage, in seinem Apartment und in seinem Elternhaus begleitet. Aus den situativen Momenten dort erwächst durch die Montage Stück für Stück ein vielschichtiges Bild seiner Herkunft, seiner musikalischen Anfänge, seiner Karriere; nicht chronologisch abgearbeitet, sondern subtil verwoben, um dem Mysterium des Menschen Ron Hynes näher zu kommen. Um den Ron Hynes zu verstehen, der auf seinem Weg viele ihn liebende Menschen der musikalischen Laufbahn zuliebe geopfert hat; der Ex-Frau und Tochter hat, und eine weitere Tochter, die ihn im Fernsehen zum ersten Mal zu Gesicht bekam: Für sie hat er den Song Sorry Lori geschrieben.

Lediglich sein Neffe Joel äußert sich im Film über Ron und interagiert vor der Kamera mit seinem Onkel, mit dem ihm eine intensive Zeit verbindet. Er sagt: „Der Mann der Tausend Songs, das ist seine Sucht. Ich finde nur, dass er dieser Figur den falschen Titel gegeben hat. So vermeidet er das Problem, dass er eine Krankheit hat, um die er sich kümmern müsste.“ In seiner schillernden Komplexität macht es Ron weder seinen Weggefährten noch dem Zuschauer leicht, ihn zu lieben. Wie ein Getriebener kreist er um sein Ego und stößt damit andere Menschen vor den Kopf. Mit seinen Songs allerdings berührt er zutiefst. Die Gesichter der Zuschauer, auf denen die Kamera bei seinen Performances ruht, sprechen Bände.

The Man of a Thousand Songs

Wer ist eigentlich Ron Hynes? Das ist nicht einfach zu beantworten. Zum einen, weil in Deutschland nur wenige Eingeweihte überhaupt schon etwas von dem legendären Singer/Songwriter aus Kanada gehört haben. Zum anderen ringt aber auch Ron Hynes selbst sichtlich mit sich, um diese Frage zu beantworten in William D. MacGillivrays Dokumentarfilm „The Man of a Thousand Songs“.
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