The Loreley's Grasp - Die Bestie im Mädchenpensionat (Blu-ray)

Eine Filmkritik von Stefan Dabrock

Ossorios Bastelstunde

Zu den faszinierenden Eigenschaften der Kunstform Kino gehört es, dass man als Zuschauer Dinge zu sehen bekommt, die eigentlich gar nicht stattfinden. Scheinbar schießen Menschen aufeinander, Gebäude stürzen ein, Riesenmonster pflügen durch japanische Großstädte, Liebesbeziehungen bilden sich oder brechen auseinander, Sozialdramen nehmen ihren Lauf. Obwohl einem immer wieder etwas vorgemacht wird, entstehen durch den geschickten Einsatz filmischer Mittel große Emotionen. Basteln gehört untrennbar zum Kino, auch wenn es selten so wahnwitzig praktiziert wurde, wie bei Amando des Ossorios Horrorstück The Loreley’s Grasp – Die Bestie im Mädchenpensionat.
Darin sorgen sich die Bewohner eines kleinen Ortes im romantischen Rheintal um die Sicherheit, weil in ihrer Gegend eine Mordserie stattfindet. Schnell machen Gerüchte über ein blutrünstiges Monster die Runde. Auch Elke Ackermann (Silvia Tortosa), die im nahe gelegenen Mädchenpensionat als Lehrkraft arbeitet, bittet den Bürgermeister (Luis Induni), das Problem schnell zu lösen. Und so engagiert man den Jäger Sigurd (Tony Kendell), der sowohl das Pensionat bewachen als auch den Mörder dingfest machen soll. Im Laufe seiner zaghaften Ermittlungen stößt Sigurd auf eine mysteriöse Frau (Helga Liné), bei der es sich möglicherweise um Loreley handeln könnte. Sie soll während des Vollmonds angeblich die Gestalt einer Bestie annehmen, um ihren Opfern die Herzen herauszureißen. Nur so kann sie ihre unsterbliche, niemals alternde Existenz sichern. Während Sigurd diesem Verdacht nachgeht, geraten die unschuldigen Schülerinnen des Pensionats immer mehr in Gefahr.

Amando de Ossorio, der auch den atmosphärischen Genreklassiker Die Nacht der reitenden Leichen (La noche de terror ciego, Spanien 1967) geschaffen hat, entdeckt für seine Loreley-Interpretation den Spaß am Basteln. Wie ein wilder Fantast rast er durch Motive, Schauplätze, Mythen und Genrestandards, sodass ein ganz eigenes Wunderland voll magischer Momente entsteht.

Die kreative Freiheit setzt bei der Wahl der Drehorte ein. Für wenige Tage wurde ein Team an den Rhein geschickt, um ein paar Dorf- und Landschaftsaufnahmen zu machen, die zwischendurch daran erinnern, wo man sich befindet. Der Rest der Szenen entstand nicht nur in spanischen Studiosets, sondern auch in der Natur der Iberischen Halbinsel. Karge Buschlandschaften, hübsche Parkarrangements mit südländischen Bäumen und ein spanischer Fluss sowie ein See sollen die Illusion vom Rheintal erzeugen. Dabei wird alles so selbstverständlich präsentiert, als passte die Vegetation zum behaupteten Handlungsort. Ossorio konzentriert sich mit heiligem Ernst auf seinen wilden Mythenmix, dass man am Ende tatsächlich überzeugt ist, beim größten deutschen Fluss muss es sich um ein stehendes Gewässer handeln.

Passend zur Schauplatztüftelei konstruiert der spanische Regisseur in seinem Drehbuch eine Erzählung am Rande des Irrsinns. Loreley als betörende Sagengestalt ist bekannt, ihre Mutation zur herzrausreißenden Bestie lässt sich vielleicht noch als dichterische Interpretation ihrer erotischen Wirkung lesen, aber sie wurde zuvor weder als Tochter Wotans geschildert noch ist bekannt, dass sie mit dem Zwerg Alberich aus dem Nibelungenlied paktiert hätte. Der taucht zudem als muskelbepackter Hüne auf. Aus Loreleys Rolle als Hüterin des Nibelungenhorts, die Clemens Brentano in seinem Rheinmärchen 1846/47 beschrieb, wird eine deutlich stärkere Verzahnung mit dem sagenhaften Schatz und den mythischen Figuren in seinem Umfeld.

Dabei geht es weniger um eine vollkommen schlüssige Märchenerzählung, als vielmehr um die möglichst reichhaltige Präsentation zahlreicher Motive. So vertritt ein Forscher pseudowissenschaftliche Theorien zu Loreley und Jäger Sigurd muss sich zwischen Ehre sowie Unsterblichkeit entscheiden. Aus dem klassischen Kanon fantastischer Erzählungen wurde die Dorfgemeinschaft entlehnt, die immer wieder von einer finsteren Kreatur heimgesucht wird und das bedrohte Mädchenpensionat mit seinen attraktiven Frauen bedient die Anforderungen an das reißerische Kino der damaligen Zeit.

Ossorio gelingt das Kunststück, das Sammelsurium halbwegs zusammenzuhalten und mit der Fülle der unterschiedlichen Ideen eine geradezu monströse Atmosphäre zu erschaffen. Die hat wenig mit klassischer Spannung als vielmehr damit zu tun, dass die Welt auf surreale Weise aus dem Ruder gelaufen ist. Es ist einfach erschreckend, dass menschliche Körper ganz offensichtlich aus Gummi bestehen und Herzen mit blutiger Leichtigkeit entfernt werden können. Es ist erschreckend, wie der Rhein durch Deutschland und Spanien fließen kann, während er sich manchmal sogar in einen See verwandelt. Es ist erschreckend, welchen Einfluss Wotan und Loreley haben. Diese Elemente wirken nicht lächerlich, sondern sie sind Teil einer ganz eigenen, magischen Welt, in der die Dinge jenseits des Normalen das Regiment übernommen haben. Unter der Oberfläche des Verständlichen lauern unkontrollierbare Kräfte, die dem Menschen seine machtlose Existenz vor Augen führen.

The Loreley's Grasp - Die Bestie im Mädchenpensionat (Blu-ray)

Zu den faszinierenden Eigenschaften der Kunstform Kino gehört es, dass man als Zuschauer Dinge zu sehen bekommt, die eigentlich gar nicht stattfinden. Scheinbar schießen Menschen aufeinander, Gebäude stürzen ein, Riesenmonster pflügen durch japanische Großstädte, Liebesbeziehungen bilden sich oder brechen auseinander, Sozialdramen nehmen ihren Lauf.
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