The Loneliest Planet

Eine Filmkritik von Martin Gobbin

Gefangen im Spinnennetz

Manchmal reicht ein Moment, um einen Keil zwischen zwei unzertrennlich scheinende Menschen zu treiben. Ein Moment der unfreiwilligen Offenbarung, in dem die Beteiligten innerhalb von Sekunden Wahrheiten über sich und den Partner erfahren, die das Vertrauen ineinander zerstören. In Julia Loktevs ebenso leisem wie starkem Beziehungsdrama The Loneliest Planet läuft alles auf diesen einen zentralen Moment zu – doch damit endet der Film nicht etwa, sondern beginnt eigentlich erst so richtig. Denn dort setzt die Beobachtung des angerichteten Schadens und der dürftigen Reparaturversuche ein.
Was genau passiert, soll hier nicht verraten werden. Nur so viel: Es ist ein Reflex, eine vollkommen natürliche Handlung, die die zwischenmenschliche Kluft aufreißt. Ein Ausdruck des biologisch determinierten, unbedingten Überlebenswillens des Menschen. Doch so vorsatzlos und unwillkürlich diese Handlung auch sein mag – sie entlarvt tief verankerte Rollenmuster heterosexueller Beziehungen als Illusionen und rüttelt damit am Selbstverständnis des Paares.

Nica (Hani Furstenberg) und Alex (Gael Garcia Bernal) sind ein sehr sympathisches amerikanisches Paar aus dem linksalternativen Milieu: Sie ein fröhlicher Rotschopf – er ein sanfter Latino. Zwischen ihnen herrscht liebevolle Harmonie und intensive Nähe. Die Beiden rollen sorglos durch’s Gras, halten Händchen und füßeln verspielt im Zelt. Ihre gemeinsame Leidenschaft ist das Reisen. Durch das georgische Gebirge lassen sie sich jedoch nicht vom „Lonely-Planet“-Reiseführer leiten, sondern vom Einheimischen Dato (Bidzina Gujabidze), einem kantigen rauen Typen, der westlichen Vorurteilen über Osteuropäer exakt entspricht.

Dass über all der Unbeschwertheit des jungen Paars ein Damoklesschwert hängt, ist von Anfang an zu spüren. Zu glücklich sehen die Beiden aus, wenn sie mit Kindern spielen, in der Disko eng aneinander geschmiegt tanzen oder erwartungsvoll in die Backpacking-Tour starten. Zu idyllisch wirkt die grüne Hügellandschaft, durch die sie wandern und vor der sie – im wohl schönsten Bild des Films – Kopfstand üben. Zu vergnügt kichert Nica, wenn sie das Kinderlied „Señor Don Gato“ singt oder Dato erfolglos beizubringen versucht, dass „bitch“ und „beach“ sich in der Aussprache unterscheiden.

Und plötzlich zielt ein Gewehr auf Alex‘ Kopf, ohne dass er wüsste, warum. Ein Junge beschimpft ihn und Nica – und weil die Beiden nichts verstehen, gibt es auch für den Zuschauer keine Untertitel. Hilflos und aus der Kommunikation ausgeschlossen, bekommen Nica und Alex das Misstrauen der Einheimischen gegenüber Fremden zu spüren. Diese Extremsituation ist dann auch der Auslöser für jenen Moment, der ihre Beziehung ins Ungleichgewicht stürzt.

Der Rest des Films besteht zu großen Teilen aus langen Einstellungen, in denen die Kamera den Hauptfiguren beim Wandern, Grübeln und Zweifeln zusieht oder ihre leeren, abwesenden Blicke studiert. Auch wenn The Loneliest Planet dieses Arthouse-Klischee etwas überstrapaziert, ist das spannender als es klingt. Denn allein schon die Anordnung der Figuren im Raum verrät viel über ihren Gefühlszustand, den die Schauspieler wunderbar subtil vermitteln. Laufen Nica und Alex zu Beginn des Films noch nebeneinander, so wird daraus nach der Zäsur ein Hintereinander, bei dem mitunter riesige Lücken zwischen den Beiden aufklaffen. Wenn wir die Wanderer in sehr weiten Totalen sehen, wirken sie verloren in der Landschaft – und auf einmal erscheint das intensive Rot von Nicas Haaren wie ein Fremdkörper, ja wie ein Störfaktor inmitten der grünen Natur.

Loktev geht es vor allem um das Scheitern einer vermeintlich stabilen Beziehung am Scheitern der Kommunikation. Nica und Alex sabotieren unbewusst die langsame Wiederannäherung, indem sie ihre seelischen Verletzungen überspielen, statt miteinander darüber zu reden. Zwar nehmen beide immer wieder Anlauf – er will sie berühren, sie etwas sagen – aber letztlich bleibt es bei Versuchen und vertanen Chancen, das was unausgesprochen bleibt zu klären. Und weil sie nicht zu einem offenen Umgang mit ihren Problemen finden, dringt das Unterdrückte letztlich (während einer atmosphärisch dichten Lagerfeuerszene) in passiv-aggressiven Revanche-Handlungen an die Oberfläche, bis die Schuldgefühle auf beiden Seiten zu völligem Schweigen führen.

The Loneliest Planet weist mit seiner kurzen, aber folgenreichen Wende über den konkreten Fall von Nica und Alex hinaus auf soziale Konventionen zwischen den Geschlechtern hin. Wenn sich das Kino-Publikum während der zentralen Szene über den Mann empört wegen einer Handlung, die wohl keine vergleichbare Reaktion hervorgerufen hätte, wenn die Frau sie unternommen hätte, dann zeigt das, wie wenig sich die gesetzlich vorangetriebene Gleichstellung bisher im Normengeflecht des Alltagshandelns durchgesetzt hat.

Das Besondere ist, dass der Film weiter geht als bis zur zutreffenden, aber durch ständigen Gebrauch banalisierten Feststellung der Benachteiligung von Frauen. Loktev legt im Gender-Diskurs noch wenig beachtete „reverse-sexism“-Mechanismen offen, wenn die gesellschaftlichen Rollenvorstellungen Alex qua Geschlecht weniger Egoismus zugestehen als Nica. Die „Frauen-und-Kinder-zuerst“-Mentalität nimmt dem Mann Rechte und schreibt der Frau einen höheren Wert zu. Das Perfide an diesem Schutzdenken ist aber, dass es Frauen zwar einerseits bevorzugt, ihnen damit aber andererseits auch jegliche Souveränität abspricht.

Das schützende Netz erweist sich als klebriges Spinnennetz, das Mann und Frau mit geschlechterspezifischen Erwartungen gleichermaßen gefangen nimmt. Doch gefressen wird in diesem Fall – wie in Spinnennetzen üblich – der Mann.

The Loneliest Planet

Manchmal reicht ein Moment, um einen Keil zwischen zwei unzertrennlich scheinende Menschen zu treiben. Ein Moment der unfreiwilligen Offenbarung, in dem die Beteiligten innerhalb von Sekunden Wahrheiten über sich und den Partner erfahren, die das Vertrauen ineinander zerstören. In Julia Loktevs ebenso leisem wie starkem Beziehungsdrama „The Loneliest Planet“ läuft alles auf diesen einen zentralen Moment zu – doch damit endet der Film nicht etwa, sondern beginnt eigentlich erst so richtig.
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