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Entlang der Sahelzone entsteht ein gigantisches lebendes Bauwerk. Der Dokumentarfilmer Jared P. Scott hat sich gemeinsam mit der Musikerin und Aktivistin Inna Modja auf die Reise gemacht, das Projekt zu erkunden.

The Great Green Wall (2019)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Afrikanische Träume

Das im Titel erwähnte Bauwerk ist kein gewöhnliches. Hier errichtet niemand eine Mauer aus Steinen, Beton oder Stahl. Die Great Green Wall of the Sahara and the Sahel Initiative beziehungsweise die Grande muraille verte pour le Sahara et le Sahel, wie sie an ihren Entstehungsorten mit vollem Namen heißt, ist ein panafrikanisches Unterfangen bislang nie gesehenen Ausmaßes. Der Grüngürtel, der sich nach seiner Fertigstellung vom Senegal im Westen des Kontinents bis nach Dschibuti im Osten über knapp 8.000 Kilometer erstrecken soll, ist als Bollwerk gegen den Klimawandel und die fortschreitende Wüstenbildung gedacht. Jared P. Scotts neuer Dokumentarfilm ist eine Reise entlang dieses Mammutprojekts.

Scott packt mit Vorliebe politische Themen an. Die jüngsten drei Dokumentarfilme des US-Amerikaners handelten vom Klimawandel, von dessen Auswirkungen auf die Sicherheitspolitik und vom Niedergang des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Vor allem das letztgenannte, im Film Requiem for the American Dream (2015) behandelte Thema bescherte dem Regisseur, Autor und Produzenten großen Erfolg. Aus dem erhellenden bis erheiternden Ritt durch die Wirtschaftsgeschichte entstand auch ein Buch, das es auf die New-York-Times-Bestsellerliste schaffte. In seinem neuen Film geht Scott nun ganz ähnlich vor.

Requiem for the American Dream, bei dem Scott gemeinsam mit Peter D. Hutchison und Kelly Nyks Regie führte, lebt in erster Linie von seinem charismatischen Protagonisten, dem ehemaligen Linguistikprofessor und linken Intellektuellen Noam Chomsky. Dieser führt mit messerscharfen und ungemein klar und verständlich formulierten Analysen durch einen in höchstem Maße ansehnlichen und perfekt montierten Film. Dieses Erfolgsrezept versucht Scott nun zu kopieren, wenn er die Geschichte der Great Green Wall durch eine nicht minder charismatische Protagonistin, die Musikerin und Aktivistin Inna Modja, vermittelt.

Der Film steigt mit einer kurzen Vorgeschichte ein. Bereits Thomas Sankara, der fünfte Präsident von Obervolta (heute: Burkina Faso), wollte die Ausbreitung der Wüste durch Wiederaufforstung stoppen. Sankaras Ermordung setzte dem Vorhaben ein Ende. In der großen grünen Mauer, die die Afrikanische Union 2005 auf den Weg brachte, lebt es nun wieder auf und fort. Mit diesem Wissen im Gepäck begibt sich der Film gemeinsam mit Inna Modja auf eine Reise durch fünf Länder. An deren Ende soll auch ein neues Album der Musikerin stehen. Modja sammelt unterwegs nicht nur Stimmen ein, sondern schreibt Songs und geht mit vor Ort getroffenen Kolleg*innen ins Studio. Diese Reise ist nicht nur politisch, sie ist auch voll wundervoller Musik.

Und sie sieht fabelhaft aus. Die Bilder von Kameramann Tim Cragg haben Spielfilmqualität. Farbenprächtige Stadtansichten wechseln mit atemberaubenden Landschaftsaufnahmen aus der Luft und pulsierenden Livekonzerten, die Musikvideos entnommen sein könnten. Pilar Ricos Montage fügt die Einzelteile zu einem beeindruckenden Bilderfluss zusammen. Die schöne Optik kann jedoch nicht verbergen, dass es Scotts neuem Dokumentarfilm sowohl etwas an Fokus als auch an Tiefe fehlt.

Die titelgebende Mauer ist gleich in mehrfacher Hinsicht ein Schutzwall. Sie soll nicht nur die Folgen des Klimawandels abhalten, sondern dadurch auch junge Menschen in ihren Heimatländern halten. Lebensverhältnisse und Arbeitsplätzen sollen durch sie gesichert, Konflikte vermieden werden. Der afrikanische Traum, so formuliert es Modja an einer Stelle, müsse endlich wieder auf dem eignen Kontinent geträumt werden und dürfe nicht länger darin bestehen, Afrika in Richtung Europa zu verlassen.

Die im Film angerissenen Konfliktherde sind zahlreich: Verwüstung und Dürre, Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und Migration, patriarchale Gesellschaften und zu hohe Geburtenraten, gewaltsame Konflikte. Viele, aber nicht alle davon lassen sich auf den Klimawandel zurückführen. Inna Modja unterhält sich nicht nur mit an der grünen Mauer Beteiligten, sondern auch mit gescheiterten Geflüchteten, mit ehemaligen Kindersoldat*innen und mit Opfern der Terrorgruppe Boko Haram. Das ist emotional, aber leider auch ein wenig oberflächlich. Gemeinsam mit seiner Protagonistin ist der Film immer auf dem Sprung. Es bleibt kaum Zeit, Zusammenhänge aufzuzeigen oder kritisch nachzuhaken, etwa bei der Afrikanischen Union, welche Länder sich an die 2005 getroffenen Vereinbarungen halten.

Zu empfehlen ist The Great Green Wall trotzdem, besonders all jenen, die mit diesem vielfältigen Kontinent immer nur die gegen Ende auch im Film gezeigten Elendsbilder verbinden. Ein afrikanischer Traum, wie ihn Inna Modja träumt, ist zugleich greifbar nah und nur unter enormen Mühen zu erreichen. Thomas Sankara wusste das. „Wir müssen den Mut haben, die Zukunft zu erfinden“, lautete eines seiner Credos. Diese Zukunft hat längst begonnen. Und Inna Modja liefert den perfekten Soundtrack dazu.

The Great Green Wall (2019)

Eine „Mauer“ von 8.000 Kilometer Länge, die durch elf afrikanische Staaten führt, soll als ein Schutzwall wegen Dürre, die Ausbreitung der Wüste und gegen die Folgen des Klimawandels bilden. Der Filmemacher Jared P. Scott reist entlang dieser Mauer und zeigt, dass das ehrgeizige Projekt nicht trennt, sondern verbindet.

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