The Girlfriend Experience (2009)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Sex, Lebenslügen und Video

Chelsea / Christine (Sasha Grey) ist eine hochbezahlte Prostituierte. Wahrscheinlich nennt sie sich eher eine Escort-Dienstleisterin. Denn sie verkauft nicht nur ihren Körper, sondern vor allem ein Gefühl – eben die Titel gebende „Girlfriend Experience“. Damit gemeint ist die perfekte Illusion, dass diese wunderschöne Frau die Freundin desjenigen ist, mit dem sie sich trifft und der für das Zusammensein mit ihr das stolze Honorar von $2.000 bezahlt. Und wirklich, wenn man es nicht besser wüsste, könnte man sie im Beisammensein mit ihren Kunden tatsächlich für deren Freundin halten. In Wahrheit ist sie mit dem smarten Personal Trainer Chris (Chris Santos) zusammen. Doch die Beziehung der beiden ist brüchig; als Chelsea von einem neuen Klienten auf magische Weise fasziniert ist, ist sie bereit, alles hinter sich zu lassen.

Steven Soderberghs neuer Film markiert in gewisser Weise eine Rückkehr zu den Wurzeln des Regisseurs. Wir erinnern uns: Mit einem Paukenschlag hatte der Filmemacher im Jahre 1989 mit seinem Film Sex, Lügen und Video / Sex, Lies and Videotapes auf etlichen Festivals für Furore gesorgt – der Beginn einer steilen Karriere für den damals absolut unbekannten Newcomer. Mit einer kleinen Abwandlung könnte der Titel seines Debüts auch als Überschrift für The Girlfriend Experience dienen: Es geht um „Sex, Lebenslügen und Video“. Doch während Soderberghs Erstling die Lügen und Neurosen schonungslos offen legte, stellt er sie hier lediglich aus, gibt sie dem Voyeurismus der Zuschauer preis und enthält sich jedes Kommentars.

Eine „strukturierte Improvisation“ nennt der Filmemacher sein neues Werk. Statt einer ausgearbeiteten Dramaturgie sind es lose verbundene Einzelszenen, unterbrochen von gelegentlich wiederkehrenden Episoden wie einem Interview, die den Film ausmachen. Ergänzt wird dies von quasi-dokumentarische Impressionen vom Leben an all den Orten, die vor allem die Reichen und Schönen in Manhattan aufsuchen, die edlen Restaurants, noblen Hotels, exklusiven Fitnessclubs und hippen Lofts.

Vor diesen Kulissen könnten sich die kleinen menschlichen Dramen, die Ängste, Begierden und Träume der Protagonisten deutlich und scharf konturiert abzeichnen, die Bühnenhaftigkeit von Plätzen wie diesen wäre geradezu ideal dafür. Doch das Gefühl für das, was die Menschen bewegt, die Empathie des Zuschauers, will sich nicht so recht einstellen. Die Mischform zwischen Drama und Dokumentation, die Soderbergh für sein filmisches Essay über Sex und Ökonomie in Zeiten der Krise gewählt hat, sie wird weder den Figuren noch der Stimmung wirklich gerecht und hinterlässt ein Gefühl der Indifferenz.

Was vor allem an der großen Beiläufigkeit liegt, mit der die Kamera Chelsea folgt. Quasi nebenbei erfahren wir von Chelseas Krise, von ihrer Bereitschaft, ihrem Leben eine neue Richtung zu geben, von ihrer Sehnsucht nach einer neuen Liebe. Oder ist es vielleicht doch nur Berechnung? Es lässt uns merkwürdig kalt, fast so, als trauten wir ihr, der quasi professionellen „Heuchlerin von Gefühlen“, keinerlei echte Emotionen zu.

Bedauerlich, denn der Film und sein Thema, die unzweifelhaft faszinierende Chelsea und ihre Kunden, besitzen durchaus einiges an Potenzial: Denn The Girlfriend Experience ist nicht nur eine Art Tagebuch einer hochbezahlten Escort-Dame, sondern auch ein Seismograph einiger Tage im Oktober 2008 in den USA, als die Nation sich mitten im Wahlkampf zwischen John McCain und Barack Obama befand. Zugleich bekam das Land zu dieser Zeit die ersten Auswirkungen der Finanzkrise zu spüren, die bis zum heutigen Tag die Nachrichten beherrscht. Nicht nur aus diesem Grund ist die Ökonomie in diesem Film allgegenwärtig, als Gesprächsthema, als Bedrohung, als Notwendigkeit, sich selbst auf dem Markt anzubieten, für sich Werbung zu machen, in den vielen Ratschlägen der Klienten Chelseas, die ihr Anlagetipps geben. Die Verknüpfung von Ökonomie und Sexualität, die Durchdringung des Privaten durch den Beruf, die Jagd nach Geld, Sex und Gefühlen – das sind die eigentlichen Themen des Films. Auch wenn The Girlfriend Experience dies – wie vieles andere auch – mehr andeutet als ausformuliert.

The Girlfriend Experience wirkt wie eine Vorstudie zu einem Film, der unter Umständen – manche Szenen deuten dies an – durchaus faszinieren könnte. Und es manchmal auch für einen kurzen Moment tut. In seiner seltsam fragmentarisch wirkenden Form braucht man allerdings sehr viel Geduld, um nach sehr viel Leerlauf jene Momente zu entdecken, in denen der Film wirklich bewegt.

Und so ist der Film vor allem aus zwei Gründen beachtenswert: Zum einen wegen seiner Hauptdarstellerin Sasha Grey, deren Coolness bereits in Jens Hoffmanns Dokumentation 9to5 – Days in Porn einiges ahnen und manches erwarten ließ. Kaum zu glauben, mit welcher Zielstrebigkeit die 21-jährige Kalifornierin an ihrer Karriere bastelt, die zwischen Pornofilmen der härtesten Gangart und ambitionierten Filmen aus dem Arthouse-Bereich pendelt, ohne Angst vor Grenzen und Schranken. Zwar gab es schon immer ambitionierte Darstellerinnen aus dem Bereich des „Adult Entertainment“, die auf eine zweite Karriere in Hollywood hofften, doch die meisten Versuche eines Wechsels scheiterten kläglich. Sasha Grey aber ist eine Frau, der man dies durchaus zutrauen kann. Zumal dann, wenn sie in einem Film (und damit sind nicht die Talente gemeint, die sie in ihren rund 8o vorherigen Filmen bewies) mehr zeigen darf, als nur die gleiche glatte und nahezu unbewegte Fassade, die sie in The Girlfriend Experience zum Besten gibt. Selbst in dieser sehr zurückgenommenen Performance fasziniert ihr Gesicht durch etwas, das man wohl Charisma nennen kann.

Der zweite beachtenswerte Umstand an diesem Film sind die ökonomischen Hintergründe von The Girlfriend Experience: Der Film, der in nur 16 Tagen gedreht wurde, ist der zweite Teil eines auf sechs Filme begrenzten Vertrags (der erste Film mit dem Titel Bubble aus dem Jahre 2005 war hierzulande nie in den Kinos zu sehen) des Regisseurs mit dem Multimedia-Unternehmer Mark Cuban, der bei der Auswertung der Filme alternative Wege der Distribution beschreiten will. Bei diesem neuen Modell kann der Zuschauer selbst entscheiden, ob er sich den Film im Kino oder zeitgleich auf einem Trägermedium oder über HDnet als Pay-Per-View-Ausstrahlung in den eigenen vier Wänden anschauen will. Mag sein, dass diese Herangehensweise eines Tages die Zukunft des Kinos darstellen wird. Was man von dem Film The Girlfriend Experience leider nicht behaupten kann.

Gegen Ende des Films wird einem plötzlich schmerzhaft bewusst, was an diesem Film fehlt: Wenn die aufpeitschenden Beats eines Straßenmusikers durch die Häuserschluchten Manhattans hallen, wird deutlich, dass es genau dieser vorantreibende Rhythmus, diese klar umrissene Struktur ist, die The Girlfriend Experience zu einer aufregenden Erfahrung machen würde.
 

The Girlfriend Experience (2009)

Chelsea / Christine (Sasha Grey) ist eine hochbezahlte Prostituierte. Wahrscheinlich nennt sie sich eher eine Escort-Dienstleisterin. Denn sie verkauft nicht nur ihren Körper, sondern vor allem ein Gefühl – eben die Titel gebende „Girlfriend Experience“.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen