The Girl from the Song

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Ein Spielfilmdebüt auf dem Burning Man Festival

Das jährlich in der Black Rock Wüste von Nevada zelebrierte Burning Man Festival hat sich zu einem begehrten Event entwickelt, das mittlerweile rund 70.000 Besucher anzieht, die dort gleichzeitig Akteure und Publikum sind. Diese einzigartige Veranstaltung um illustre Formen von Kunst und Selbstdarstellung bildet nun auch eine kuriose Kulisse des Jugend-Dramas The Girl from the Song, das einen jungen Musiker dorthin pilgern lässt, um seine geflüchtete Freundin aufzuspüren. Die während des Festivals mit Unterstützung zahlreicher Teilnehmer_innen gedrehten Impressionen sind zweifellos die stärksten Bilder dieser Coming-of-Age-Geschichte, die das Spielfilmdebüt des spanischen Regisseurs Ibai Abad darstellt.
An dem Londoner College, das der schüchterne, verträumte Eric (Lewis Rainer) besucht, ist er sichtbar einer der braven, unscheinbaren Jungs, klimpert gern auf seiner Gitarre und hängt ansonsten mit seinem Freund Jason (Rory Nolan) herum. Insgeheim schreibt Eric Songs und hat eine kräftig-krasse Gesangsstimme, die er allerdings kaum vor Publikum trainiert. So dämmert er an einem Sommerabend im Collegegarten herum, als die aparte, äußerst lebhafte Jo (Joséphine Berry) ihm von einem Baum aus nicht vor, sondern gleich derart auf die Nase fällt, dass diese schmerzhaft bricht. Ist Eric zunächst von dieser Bekanntschaft so gar nicht begeistert, lässt er sich bald von der dynamischen Schönheit aus der Reserve locken: Nach einem öffentlichen Auftritt vor einer beeindruckten Zuhörerschaft gewinnt Eric Selbstvertrauen und auch die zugeneigte Aufmerksamkeit von Jo, so dass sich eine stürmische Affäre entspinnt.

Nun wird bis hierher eine niedliche kleine Anbahnungsgeschichte jugendlicher Liebe erzählt, wie es sie in den unterschiedlichsten Konstellationen massenweise anzuschauen gibt. In The Girl from the Song trifft der stille, tiefgründige, aufrichtige und talentierte Junge auf das hübsche, erotische, wilde und freiheitsliebende Supergirl, und was für ihn offensichtlich die große Liebe bedeutet, ist für sie anscheinend eine unverbindliche Liaison. Denn eines Tages, kurz nachdem ihr früherer Liebster Alex (Charlie MacGechan) in London auftaucht, verschwindet Jo abschiedslos und hinterlässt allein die Ahnung, dass sie gemeinsam mit Freunden zum Burning Man Festival in der Wüste von Nevada unterwegs ist. Dabei hatte doch Eric gerade einen eigenen Song für sie geschrieben, den sie sich nicht einmal mehr angehört hat.

Nun wandelt sich die recht konventionell erzählte, vorhersehbare Geschichte in ein krud-komisches Roadmovie, als der verletzte Eric seine teure Gitarre verkauft und nach Nevada fliegt, um Jo zu finden und zurückzuerobern. Beinahe wäre bereits am Flughafen in Reno und später erneut vor den unsichtbaren Toren des Festivals Endstation für ihn gewesen, hätte sich nicht der schräge Taxifahrer Caronte (Sion Tudor Owen) um Eric gekümmert, der hier die verzerrte Rolle einer guten Fee einnimmt. Auch sonst fliegen dem naiven, vor Liebeskummer verzweifelten Songwriter die Metaphern, Phantastereien und psychedelisch anmutenden Gestalten nur so um die Augen und Ohren, denn das Burning Man Festival ist nun einmal eine drastische Erfahrung, die allemal geeignet ist, einen jungen Geist zu betören …

Als Kontrast zum zweiten Teil des Films auf dem Festival erscheint der recht gefällige Auftakt von The Girl from the Song weitaus schlüssiger, und die daraus entstehende Entwicklung eröffnet eine durchaus vielschichtige Perspektive auf unterschiedliche Haltungen zu (jugendlicher) Liebe, Erotik, Bindung und Freundschaft, der es tatsächlich gelingt, die aktuellen Zeitströmungen zu berühren. Dass sich dies auf dem ganz speziellen Territorium des extravaganten Burning Man Festival ereignet, potenziert diesen süßen Moloch an explodierenden Impressionen und Emotionen, in dem sich die offen gezeichneten Filmfiguren tummeln. So liegt die markante Qualität des Films, der offenbar auf autobiographischen Erfahrungen des Regisseurs basiert, in der speziellen Location und ihren überaus illustren Gestaltern und Gästen, deren Anblick allein schon eine Sichtung wert ist. Der Mut der Filmemacher_innen, ohne üppige Finanzen schlichtweg direkt auf dem Festival zu drehen, hat großartige und bezaubernde Bilder als Plädoyer für eine ungezähmte Kreativität entstehen lassen.

Die Aufforderung, das Leben bei Zeiten ausführlich und ausgefallen zu zelebrieren, transportieren allein die langen Einstellungen vom Burning Man Festival. Für Eric gerät die wohl gleichzeitig schlimmste und schönste Zeit seines Lebens zu einer transformativen Erfahrung und Lektion, ohne dass moralische Bewertungen seine Entscheidungen überschatten. In dieser Weise passt auch die offene Botschaft dieses Coming-of-Age-Dramas, das eine gute alte Geschichte in einer modernen Variante eindrucks- und stimmungsvoll präsentiert. Manchmal bedarf es wohl einer bestimmten, durchaus auch schmerzvollen Begegnung, um Kreativität zu entfalten. Ob jeder wirklich gute Song auch ein heftiges oder gar mehrere solcher Erlebnisse dahinter erfordert, mögen die Musiker beantworten.

The Girl from the Song

Das jährlich in der Black Rock Wüste von Nevada zelebrierte „Burning Man Festival“ hat sich zu einem begehrten Event entwickelt, das mittlerweile rund 70.000 Besucher anzieht, die dort gleichzeitig Akteure und Publikum sind. Diese einzigartige Veranstaltung um illustre Formen von Kunst und Selbstdarstellung bildet nun auch eine kuriose Kulisse des Jugend-Dramas „The Girl from the Song“, das einen jungen Musiker dorthin pilgern lässt, um seine geflüchtete Freundin aufzuspüren.
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