The Brussels Business

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Licht in der Lobby

Brüssel hat zwar nur halb so viele Einwohner wie Bielefeld, ist aber nach Washington D.C. die zweitgrößte Lobbying-Zentrale der Welt. Kein Wunder, denn schließlich ist die kleine belgische Stadt das politische Zentrum Europas. Hier sitzen hinter Hochglanz-Fassaden die Institutionen der Europäischen Union. Hier entstehen schätzungsweise 80 % der Gesetze, die das tägliche Leben der Bürger in ganz Europa bestimmen. Doch welche Leute sind eigentlich verantwortlich für die Gesetzgebung und wer zieht hinter den Fassaden die Fäden?
„Who runs the European Union?“ – so fragt der österreichisch-belgische Dokumentarfilm The Brussels Business gleich im Titelzusatz, um dann einzutauchen in das Innere der EU-Polit-Maschinerie. An den Schalthebeln der Gesetzgebung sitzen die EU-Institutionen, doch um sie herum drängeln sich über 2500 Lobby-Organisationen. Mehr als 15000 Lobbyisten verschiedenster Couleur tummeln sich in Brüssel, um Einfluss zu nehmen auf Entscheidungen und Gesetzesentwürfe der EU.

Die beiden Filmemacher hinter The Brussels Business haben sich detailliert mit der Lobby-Szene in Brüssel und der internationalen Geschichte der Lobby-Arbeit auseinandergesetzt. Der Belgier Matthieu Lietaert ist von Hause aus Politikwissenschaftler mit dem Spezialgebiet „European Governance“, der Österreicher Friedrich Moser hat sich tief in das Thema Lobbyismus in der EU hinein recherchiert und stieß auf einen irrwitzigen Kern der Thematik: „Wenn wir vom größten Lobby-Erfolg erzählen wollten, den es in Brüssel je gegeben hat, dann wäre das die EU an sich! Die EU an sich ist ein Lobby-Projekt der Großkonzerne, mit dem die so erfolgreich gewesen sind, dass sie die Art und Weise, wie die EU gestaltet wurde, sehr stark beeinflussen konnten. Und bis heute können.“

Und so liefert The Brussels Business wesentlich mehr als nur einen Einblick in die aktuelle Lobby-Arbeit, die in Brüssel zum Tagesgeschäft von Leuten wie z.B. Pascal Kerneis gehört. Der Franzose ist Geschäftsführer der Lobby-Gruppe „European Services Forum“, gleitet im dicken Auto durch Brüssel und jettet um die Welt, um für seine Klienten (die zusammen eine Wirtschaftskraft von 50% des BIP der Europäischen Union auf sich vereinen) Druck für internationale Deregulierung und Liberalisierung zu machen. Kerneis ist ein sympathischer Kerl, der sich ehrlich darüber echauffieren kann, dass „networking“ als „dirty word“ gebrandmarkt wird. Er steht zu seiner Arbeit, in seinem Selbstverständnis tut er nichts anderes, als Institutionen mit Informationen zu versorgen, damit sie richtig entscheiden können.

Wenn allerdings nicht ersichtlich ist, wer zu welchem Zweck Einfluss nimmt, dann wird Lobbyismus zum zwielichtigen Geschäft. Hier setzt der Haupterzählstrang an, den der Film im Stile eines Doku-Thrillers verfolgt. Die Protagonisten sind in diesem Fall Olivier Hoedeman und Erik Wesselius, zwei NGO-Aktivisten und Vorkämpfer der ersten Stunde für Transparenz im EU-Lobbying. Was sie berichten, lässt die Gründungsgeschichte der EU in ganz anderem Licht erscheinen: Nicht Politiker wie Kohl und Mitterand als Vordenker der europäischen Einigung in den 80er Jahren, sondern führende Industrie-Konzerne, die sich öffentlich als ERT (European Round Table for Industrialists) zusammengefunden haben und dabei verdeckt Druck in Richtung Binnenmarkt ausgeübt haben. Mit Keith Richardson erläutert auch der ehemalige Geschäftsführer des ERT vor der Kamera die Rolle, welche die Lobby-Großmacht bei der europäischen Einigung gespielt hat. Mit Maria Green Cowles kommt eine unabhängige Politikwissenschaftlerin zu Wort, die Zugang zu den Archiven des ERT hatte, und auch führende Repräsentanten der EU sind vor der Kamera vertreten.

Was The Brussels Business an Fakten und Informationen präsentiert, ist erstaunlich. Der Film ist um ein umfassendes Bild bemüht, enthält sich eines wertenden Kommentars, lässt die Protagonisten vor der Kamera für sich selbst sprechen und aus dem off die Zusammenhänge erklären. Dass der handwerklich auf hohem Niveau (in perfekter HD-Optik) gemachte Film auch noch die Konventionen des modernen dokumentarischen Polit-Thrillers perfekt bedienen will, ist dabei fast des Guten zu viel: der Soundtrack suggeriert mit entsprechender Musikuntermalung einen Spannungsteppich; das in schwarz-weiß gehaltene Reenactment von Szenen im Stil von Man on Wire wirkt hier (da es sich eigentlich nur um das Finden und Lesen von Akten, um Fotokopieren und Faxen handelt) etwas überambitioniert. Letztendlich funktioniert der Film weniger als spannender Polit-Thriller, denn ein richtiger Sog will sich nicht entwickeln, dazu ist die Thematik dann doch zu spröde und komplex. The Brussels Business ist vielmehr ein äußerst informatives, visuell ansprechendes, umfassendes Lehrstück in Sachen Lobbyismus – ein sehenswerter Augenöffner für die Realitäten europäischer Politik.

The Brussels Business

Brüssel hat zwar nur halb so viele Einwohner wie Bielefeld, ist aber nach Washington D.C. die zweitgrößte Lobbying-Zentrale der Welt. Kein Wunder, denn schließlich ist die kleine belgische Stadt das politische Zentrum Europas. Hier sitzen hinter Hochglanz-Fassaden die Institutionen der Europäischen Union. Hier entstehen schätzungsweise 80 % der Gesetze, die das tägliche Leben der Bürger in ganz Europa bestimmen. Doch welche Leute sind eigentlich verantwortlich für die Gesetzgebung und wer zieht hinter den Fassaden die Fäden?
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Matt · 28.08.2012

Offiziell wird der Film nicht anlaufen. Es gibt keinen Filmverleih. Wir zeigen ihn am 7.9. in Berlin im ACUDKino.

AudioNaUT · 25.03.2012

Weiß jemand wann der Film in Deutschland anläuft ?