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Der schüchterne Buchhalter Casey ist für alle immer nur der Prügelknabe — bis er in den Dojo des ebenso mysteriösen wie charismatischen Sensei stolpert und sich zu wehren lernt. Allerdings verbirgt der mehr als nur ein Geheimnis vor seinem neuen Schüler.

The Art of Self-Defense (2019)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Im Fight Club der fragilen Männlichkeit

Casey (Jesse Eisenberg) ist wohl so ziemlich der unmännlichste Typ, den man sich vorstellen kann — zumindest dann, wenn man die klassischen Kriterien von Männlichkeit ungefragt auf ihn anwendet. Der nerdige Buchhalter lebt allein mit seinem Dackel, hat kaum Freunde und erst recht keine/n Partner*in, wird von seinen Kollegen im Büro geschnitten und führt ein recht tristes Dasein, das ausgerechnet dann eine Wendung erfährt, als er von einer marodierenden Biker-Bande brutal und ohne jeden Grund zusammengeschlagen wird. Spätestens in diesem Moment dämmert es ihm, dass es so nicht weitergehen kann. Doch was kann einer wie er schon tun?

Durch einen Zufall gerät er in einen Dojo, in dem Sensei (Alessandro Nivola) seine Schützlinge in der Kunst des Karate unterweist — und als Casey das sieht, ist ihm klar, dass er endlich lernen muss, sich gegen all die Unbill zu wehren, die ihm Tag für Tag widerfährt. Also nimmt er Unterricht und erstaunlicherweise stellt er sich dabei gar nicht so ungeschickt an — seine Fortschritte freilich dürften wohl vor allem vor dem geschulten Auge des Karate-Meisters stattfinden, denn so richtig beeindruckend ist das alles nicht. Dennoch: Casey, der sich dem strengen Regiment und den strikten Regeln seines Lehrmeisters unterwirft, tankt neues Selbstbewusstsein, lernt sogar Deutsch (mit dem Argument, dies sei neben Russisch die Sprache, die am härtesten und männlichsten klinge), tauscht nach dessen merkwürdigen Ableben seinen Dackel gegen einen (natürlich deutschen) Schäferhund und verschafft sich auch im Büro Respekt, nachdem er erstmal den ungeliebten Chef mit einem Schlag in die Kehle zu Boden streckt. Außerdem ist da noch die Karate-Schülerin Anna (Imogen Poots), die es bereits bis zum braunen Gürtel gebracht hat und die sein Interesse weckt. Und schließlich erfährt er von einer „Nachtklasse“, in der Sensei einem ausgewählten Kreis von Schülern noch Techniken beibringt, derer man sich erst als würdig erweisen muss.

Alles gut also? Nicht ganz. Denn Sensei entpuppt sich als ein Mann, der sehr genaue und auch sehr abgedrehte Vorstellungen von der Welt hat. Und Casey selbst wird zwar auf den ersten Blick zu einem „richtigen Kerl“ aufgebaut, doch in Wirklichkeit bleibt er immer noch der selbe verhuschte Typ, der nun eben einfach nur manchmal übers Ziel hinausschießt, der lustige Dinge auf Deutsch sagte, was aus seinem Mund überhaupt nicht tough und männlich klingt und der sich immer mehr in die merkwürdige Parallelwelt des Dojo verstrickt, bis er merkt, dass er in einem Art Fight Club gelandet ist, der vor nichts zurückschreckt.

Riley Stearns hat seinen Film, der seine Premiere beim SXSW-Festival feierte, als dark comedy angelegt, als eine Art Indie-Pendant zu David Finchers Maskulinitätsstudie Fight Club. Eigentlich erzählt der Film die klassische Story von einem, der über neue Perspektiven entdeckt, dass er auch ein anderer sein kann, der aus einer Begegnung mit einer ihm fremden Welt Mut und Selbstvertrauen schöpft und sich am Ende seinem zuvor unabwendbaren Schicksal entgegenstellt.

Doch ganz so einfach ist es in diesem Fall nicht. Zugleich nämlich will der Film eben genau das hinterfragen, was seinem Protagonisten als Ideal vorschwebt. Was ist Männlichkeit? Und ist es wirklich so erstrebenswert, diese auf so fraglichen Wegen zu erreichen, indem man Menschen niederschlägt, statt sich mit ihnen auseinanderzusetzen? Und wie weit ist man bereit zu gehen, um endlich mal irgendwo dazu zu gehören.

All das könnte ebenso erkenntnisreich wie lustig sein (was es teilweise auch ist). Doch zugleich stellt sich ab der Hälfte des Films auch das Gefühl ein, dass Stearns nicht so richtig weiß, von was er eigentlich genau erzählen will. Die zahlreichen plot twists und Wendungen, die dem Film eine gewisse Unvorhersehbarkeit geben, wollen sich nicht richtig zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenfügen. Die zunehmende Ambivalenz der Charaktere, die sich nicht nur bei Casey und Sensei, sondern auch bei den anderen Schülern und Anna herauskristallisiert, verschiebt den Fokus des Films von der Komödie immer mehr in Richtung Drama — und sogar ein wenig hin zu einem Thriller, um dann kurz danach ebenso doch wieder einen Gag und eine lustige Wendung einzubauen.

Das ist zwar durchaus unterhaltsam, was auch an der großen Ernsthaftigkeit liegt, mit der die Charaktere in ihrem Kampf ums eigene Ego agieren, doch insgesamt fügen sich die Puzzleteile und guten Ansätze, über die The Art of Self-Defense verfügt, nicht zu einem stimmigen Ganzen zusammen.

The Art of Self-Defense (2019)

Nachdem er auf der Straße angegriffen wurde, schreibt sich ein Mann in einem Dojo ein, um dort die Kunst der Selbstverteidigung zu erlernen. Doch mit diesem Schritt betritt er eine seltsame und furchteinflössende Welt.

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