Thank You For Calling

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Total verstrahlt

Die Mobiltelefonie ist aus unserem Lebensalltag nicht mehr wegzudenken — und das gilt erst recht, seitdem die Smartphones zu einem unverzichtbaren Begleiter in allen Lebenslagen geworden sind. Seit langem regt sich aber auch Widerstand gegen die Industrie der Mobilfunkunternehmen und Handyhersteller, und die Kritik zielt vor allem auf die gesundheitlichen Risiken der elektromagnetischen Felder und deren Auswirkungen, beispielsweise bei der Entstehung von Gendefekten und daraus resultierend Gehirntumoren. Der Journalist Klaus Scheidsteger hat sich mit seinem Dokumentarfilm Thank You For Calling auf Spurensuche begeben und fördert dabei eine Geschichte über Lobbyismus, knallharte wirtschaftliche Interessen und juristische Grabenkriege zutage, die bereits jetzt für regen Widerspruch gesorgt hat.
Als „too big to fail“ beschreibt George L. Carlo, einer der Kronzeugen von Scheidstegers Film, das Geschäft mit dem Mobilfunk. Weltweit setzen Handyhersteller, Mobilfunkanbieter und Dienstleister in nachgelagerten Bereichen rund 17 Billionen US-Dollar um – ein gigantisches Geschäft also mit scheinbar unbegrenzten Mitteln. Und die werden unter anderem, so beschreibt es der Filmemacher mit Hilfe seiner Testimonials, gerne auch dafür eingesetzt, unabhängige Wissenschaftler gezielt zu diskreditieren, deren Studien systematisch in Zweifel zu ziehen und so kritische Stimmen und Untersuchungsergebnisse unglaubwürdig zu machen. Und tatsächlich kann nahezu jeder der zahlreichen Wissenschaftler auf dementsprechende Erfahrungen zurückblicken; von Mobbing über den Entzug von Forschungsaufträgen bis hin zur Kaltstellung und Isolierung im universitären Zusammenhang reicht die Palette der beschriebenen Maßnahmen, denen sich die Forscher ausgesetzt sahen. Nun aber scheint ihre Stunde gekommen zu sein, denn viele von ihnen sind als unabhängige Experten vor den Superior Court in Washington D.C. geladen, wo der Richter Frederick H. Weisberg im Jahre 2014 über die Zulässigkeit einer seit langem anhängigen Sammelklage gegen die Mobilfunkindustrie entscheiden muss. Ein Prozess, der sich über viele Jahren hingezogen und der ganze Bataillone von Anwälten beschäftigt hatte.

Dieser Prozess und die lange und intensive Phase der Vorbereitung darauf bilden den roten Faden von Klaus Scheidstegers Film, der eher wie eine journalistische TV-Dokumentation erscheint. Nahezu chronologisch reiht der Film beginnend im Jahre 2005 Interview an Interview, talking head an talking head und rückt auch den Filmemacher selbst immer wieder sicht- und hörbar ins Bild. Mit vielen der Interviewten verbindet Scheidsteger offensichtlich eine längere Bekanntschaft oder Freundschaft, so dass kein Zweifel daran bestehen kann, wo die Sympathien des Regisseurs liegen, zumal Gegner der angeführten Wissenschaftler so gut wie nie zu Wort kommen. Es ist ein Kampf von vielen kleinen Davids gegen einen übermächtigen Goliath, der zudem seit Beginn seines Wirkens mit allen möglichen Tricks und Winkelzügen arbeitet.

Bereits aus dem Jahre 1994, also aus den Frühzeiten des Mobilfunks, stammt ein Scheidsteger zugespieltes Dokument, das sogenannte „War Game Memorandum“, in dem eine US-amerikanische Lobbying-Agentur im Auftrag von Motorola einen detaillierten Schlachtplan entwirft, wie mit unliebsamen Kritikern und Wissenschaftlern umzugehen sei, die auf die Gefahren des Geschäfts hinwiesen. Und tatsächlich entspricht vieles dort Beschriebene haargenau den Erfahrungen, die George L. Carlo und andere Forscher machen mussten – bis hinzu über die Medien ausgetragenen Schmutzkampagnen wie etwa der „Wiener Affäre“, während der Der Spiegel einem der an der „Reflexstudie“ beteiligten Wissenschaftler eine Affäre mit einer Laborantin unterstellte, die aus Liebe für ihn Untersuchungsergebnisse gefälscht habe – was sich im Nachhinein als unwahr herausstellen sollte.

Und es scheint fast so zu sein, dass die Strategien des „War Game Memo“ noch heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren haben. Wer mehr über den Film und dessen Hintergründe herausbekommen will, landet schnell auf einer Website vorgeblicher Mobilfunkgegner, die zugleich sehr bemüht darum sind, kritische Äußerungen über die Gefahren der Technologie systematisch zu diskreditieren und die deshalb auch den Film selbst schon unter Beschuss genommen haben. Der Kampf um die Wahrheit über die Gefährlichkeit der Funkwellen (von WLANs, die hier noch gar nicht erwähnt werden, mal ganz zu schweigen) hat gerade erst begonnen.

Thank You For Calling

Die Mobiltelefonie ist aus unserem Lebensalltag nicht mehr wegzudenken — und das gilt erst recht, seitdem die Smartphones zu einem unverzichtbaren Begleiter in allen Lebenslagen geworden sind. Seit langem regt sich aber auch Widerstand gegen die Industrie der Mobilfunkunternehmen und Handyhersteller, und die Kritik zielt vor allem auf die gesundheitlichen Risiken der elektromagnetischen Felder und deren Auswirkungen, beispielsweise bei der Entstehung von Gendefekten und daraus resultierend Gehirntumoren.
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Meinungen

Stephan Schall · 03.10.2016

Dieser Film lebt davon, die Zuschauer 85 Minuten lang völlig ungestört mit emotionalen Bildern und donnerndem Ton einzuwickeln. Wer kommt schon darauf, dass z.B. der im Film hoch gelobte Professor aus Griechenland von seiner Uni nur als Laborant geführt wird und wer weiß schon, dass eben dieser Mann bei der Anhörung in Washington D.C. glatt durchgefallen ist? Der Film zeigt ein Zerrbild der Wirklichkeit, er will Zuschauer manipulieren, sät Angst und Misstrauen, mindestens zwei der Akteure sind verdiente Ex-Lobbyisten der Tabakindustrie. Doch nur wer nichts weiß, muss alles glauben, was einem aufgetischt wird. Wen der Film beklommen nach hause entlässt sollte daher im www die kritischen Stimmen zu "Thank you for Calling" suchen und sich ein eigenes Urteil bilden, was der Film ist: Information oder Desinformation. Ich habe das getan und mich für Desinformation entschieden. Wer die Einwände gegen den Film kennt, kann meiner Meinung nach gar nicht anders.