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Was weiß man noch über die Bombardierung des Kosovos? „The Load“ geht zurück in diese Zeit und hinterfragt als konsequenter Thriller, was man im Krieg tun würde.

The Load (2018)

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Der serbische Transporter

Vlada (Leon Lucev) ist kein Mann vieler Worte, aber er hat ein gutes Herz. Das mit den Worten merkt man schnell, das mit dem Herzen erst später. Vlada fährt einen Kühltransporter aus dem Kosovo nach Belgrad. Er fragt nicht danach, was in dem Transporter ist. Er weiß nur: Bis 21:00 Uhr muss er in Belgrad sein.

Mit diesem Auftrag beginnt The Load des serbischen Regisseurs Ognjen Glavonic. Er führt zurück in den Kosovo-Krieg. Es ist 1999, die Nato bombardiert Brücken und Städte in der Bundesrepublik Jugoslawien, die zu diesem Zeitpunkt noch das heutige Gebiet Serbien, Montenegros und den Kosovo umfasste. Vlada will das mit dem LKW fahren nur so lange machen, wie die Bombardierung anhält. Das ist eines der wenigen Details, die er über sich preisgibt, als er den jungen Paja (Pavle Čemerikić) mitnimmt. Er soll ihm den Weg nach Belgrad zeigen, denn durch das Nato-Bombardement ist die Brücke der Hauptstraße unpassierbar.  

Glavonic gelingt es, die beklemmende Stimmung jener Kriegszeit in entsättigten Bildern einzufangen. Er inszeniert The Load als Thriller, konzentriert sich ganz auf die Figur des Fahrers, der stoisch seine Fracht transportiert und auf dem gesamten Weg versucht, dies nicht zu hinterfragen. Nicht einmal, als Paja ihn fragt: „Macht es Dich nicht nervös, nicht zu wissen, was da hinten drin ist?“ Schulterzucken. Nicht mein Problem. Das Geheimnis um die Fracht ist der McGuffin, der die Spannung hält. 

Ab und zu hört Vlada aus dem Frachtraum ein rollendes Geräusch. Wenn es erklingt, ziehen sich die dichten schwarzen Augenbrauen in seinem furchigen Gesicht ein bisschen enger zusammen. Nachsehen, was da rollt, kann er jedoch nicht, denn die Türen des Transporters sind verschlossen. Als er, längst in Belgrad angekommen, herausfindet, was die Ursache ist — der Truck ist da von Militärs entladen worden und ihm zum Reinigen und für die nächste Tour abermals anvertraut — als er da entdeckt, was das Geräusch verursachte, muss er sich erst übergeben und fast dann den Entschluss, zu handeln. 

Es ist nicht nur Lucevs stoische Interpretation der Figur Vladas, die die Handlung hier zusammenhält. Es ist vor allem Glavonics Drehbuch. In kleinen Hinweisen gibt er immer mehr Preis, womit Vlada es eigentlich zu tun hat. Keine Information ist zu viel oder kommt zu früh. Auch die Kamera spielt dieses Spiel mit. Nur zwei Mal sieht man Gegenstände im Close-Up und die haben es dann auch in sich. 

Und da Vlada wie gesagt kein Mann großer Worte ist, sind die paar, die er spricht, umso stärker. Einen starken Moment hat der Film, wenn Vlada seinem Sohn die Geschichte des Großvaters erzählt. Sie handelt davon, wie dieser mit seinem Bruder gegen die Faschisten kämpfte. Der Bruder starb bei einer der größten Schlachten in der Gegend, seine Leiche konnte der Großvater nie finden. Als er 15 Jahre später an den Ort zurückkehrte, an dem er den Bruder das letzte Mal gesehen hatte, da fand er einen Walnussbaum vor und wusste, dass der Bruder dort gefallen war. „Er hatte immer Walnüsse in seiner Tasche“, erzählt Vlada.

Die Geschichte ist von einer Kurzgeschichte des montenegrinischen Schriftstellers Marko Vesovic inspiriert. Glavonic macht damit die zweite Ebene auf, die dieser Film erzählt. Es geht ihm nicht nur darum, nach 20 Jahren noch einmal auf die Kriegsverbrechen seines Heimatlandes aufmerksam zu machen. Das hat er bereits in seinem letzten Film Dubina Dva getan. Der Dokumentarfilm beschäftigte sich mit einem Massengrab, das 2001 nahe Belgrad entdeckt wurde. Glavonic wurde dafür in Serbien angefeindet, zu zeigen, dass auch Serben Täter in diesem Krieg waren, gefällt nicht jedem. Die Anfeindungen machen ihm nichts, sagt der 32 Jahre alte Regisseur bei der Premiere von The Load in Cannes. „Ich habe mit diesen Reaktionen gerechnet, das ist für mich in Ordnung, lass die Leute ruhig schreien. Filme sind ja nicht da, um sie sich zuhause hübsch ins Regal zu stellen.“ 

Mit The Load spannt er also ganz subtil einen weiteren Bogen. Der Film wirft die Fragen auf, was eine Generation der nächsten hinterlässt. Wie man sich positioniert, wenn es darauf ankommt. Ob man wegsieht und mitläuft oder sich gegen Unrecht stellt. Für die Entscheidung darüber braucht es nicht viele Worte, dafür braucht es ein gutes Herz.

The Load (2018)

Serbien im Jahre 1999, zur Zeit des Bombardements durch die NATO: Vlada erhält den Auftrag, einen Kühltransporter mit einer nicht näher bezeichneten Ladungaus dem Kosovo nach Belgrad zu bringen. Die Fahrt führt ihn durch unwirtliche und zerstörte Landstriche und konfrontiert ihn schließlich mit einem moralischen Dilemma.

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