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Selten kommt man nach einem Dokumentarfilm so erschüttert aus dem Kino wie nach Ziad Kalthoums „Taste of Cement“. Schade, dass es trotzdem nicht für den Deutschen Filmpreis gereicht hat.

Taste of Cement - Der Geschmack von Zement (2017)

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Aufbauen und Einreißen

Blau, Schwarz und Gelb dominieren „Taste of Cement“: das Blau des Himmels und des Meeres, das Schwarz der harten Schatten, das Gelb der Sonne, des Sandes, der Steine, des Staubs. Gleich zu Beginn fährt die Kamera langsam über die vernarbten Oberflächenstrukturen eines Steinbruchs, bis sie sich von den Texturen losreißt, aufsteigt und den weiten Blick auf die Küstenstadt Beirut freigibt.

Eine Großbaustelle lärmt im Vordergrund, versonnen beobachtet die Kamera den Alltag der Bauarbeiter dutzende Meter über dem Erdboden. Zwei riesige Wolkenkratzer entstehen hier am Stadtrand, zwischen einer Hauptverkehrsader und dem Strand. Wer immer hier später wohnt, wird einen erhabenen Ausblick genießen. Umso größer der Bruch, als nach einigen Minuten ein in großen arabischen Lettern beschriebener Banner die Leinwand füllt: „Ausgangssperre für alle syrischen Arbeiter nach 18 Uhr. Jede Zuwiderhandlung wird schwer bestraft.“

Erst jetzt wird klar, dass Regisseur Ziad Kalthoum in Taste of Cement nicht einfach irgendwelche Bauarbeiter portraitiert, sondern Geflüchtete, die im Libanon ihr Bleiberecht als Bauarbeiter erwerben. Kalthoum berichtet von ihnen gänzlich ohne übergeordnete Expertenmeinungen, auch der gelegentliche Kommentar aus dem Off fühlt sich eher der Poesie als der Informationsvermittlung verpflichtet. Überhaupt wird im Film wenig gesprochen. Obwohl formal zwischen Essay- und Dokumentarfilm schwankend, folgt Taste of Cement der Dramaturgie des klassischen Dramendreiecks.

Auf die ersten Eindrücke von der Baustelle, diesem vermeintlichen Plätzchen an der Sonne, folgt der Alltag der Bauarbeiter, die, wie sich bald herausstellt, direkt im unfertigen Rohbau hausen. Während sie essen oder ihr Nachtlager aufschlagen, plärren im Hintergrund unaufhörlich Nachrichten über die weltpolitische Lage und Terroranschläge aus den Fernsehern, Explosionen auf den Smartphone-Bildschirmen spiegeln sich in dutzenden Augäpfeln. Eines Nachts gewittert es gewaltig, die Donnerschläge klingen wie Bomben. Alle liegen wach, sind angespannt. So erzählt Kalthoum ohne viele Worte von Traumata, von der Isolation im Zentrum einer Gesellschaft. Wenn die Bauarbeiter das nächste Mal von ihrem Turm aus den Blick in die Ferne schweifen lassen, wirkt das nicht mehr zuversichtlich. Eher sehnsüchtig, wie die Blicke Gefangener.

Der Geschmack und der Geruch von Zement und Stahl scheinen irgendwann auch im dunklen Zuschauerraum der Leinwand zu entweichen. Der Baustellenlärm ist ohrenbetäubend, die kreischenden Sägen, das Hämmern verwirren die Sinne. Es klingt wie Kriegsgetöse und tatsächlich geht das Bohren, Schleifen, Knirschen über in Explosionen und Schüsse. Die schmerzhafte Kakophonie bildet den Übergang zum dritten und letzten Akt von Taste of Cement: auf den Aufbau folgt der Abriss. Die Kamera auf einen Panzer montiert, geht die Fahrt durch zerstörte Städten, Ruinen und Trümmer überall, Videospielperspektive. Feuer! Dann bricht die Nacht herein, alte Menschen und Kinder werden in vermeintliche Sicherheit gebracht. Die Kamera kriecht in Ruinen hinein, dokumentiert oftmals vergebliche Rettungsversuche. Es ist niederschmetternd, es wird einem kalt.

Die Metapher, die alles in diesem ewigen Kreislauf aus Aufbau und Zerstörung zueinander in Verbindung setzt, ist der Zement. „Hier gibt es keine Bomben“, sinniert der Sprecher aus dem Off, „aber noch immer bin ich von Zement umgeben.“ Ziad Kalthoum stellt Poesie und manchmal auch Pathos in Taste of Cement beinahe ausschließlich über brutalste Sinneseindrücke her, spart sich die Worte, wo er eindrückliche Bilder findet. Der frische Zement, wenn er zäh glitzernd zwischen die Stahlträger fließt, scheint nicht mehr nur formbare Masse, sondern auch ein verfluchter Sumpf zu sein.

Am Ende verlassen wir die Baustelle. Ein Lastwagen nimmt die Schnellstraße, Kalthoum hat die Kamera auf einen Zementmischer montiert. Und so rotiert Beirut in einem fort, ständig scheint der Stadt der Himmel auf den Kopf zu fallen. Poesie, auch filmische, löst selten wahre körperliche Schwindelgefühle aus.

Taste of Cement - Der Geschmack von Zement (2017)

Über eine Million Menschen flüchteten vor dem Krieg aus Syrien in den Libanon. Viele von ihnen arbeiten als Bauarbeiter und bauen in Beirut Wolkenkratzer, während jenseits der Grenze ihre Häuser in Trümmer gebombt werden. Nachts werden sie in dem Rohbau eingeschlossen; für Flüchtlinge gilt eine Ausgangssperre. Von der Heimat abgeschnitten, versammeln sie sich jeden Abend vor einem kleinen Fernseher, um Nachrichten aus Syrien zu erhalten.

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