Systemfehler - Wenn Inge tanzt (2013)

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

Peter Kraus und die Punks von der Schulbank

Ein attraktiver Hauptdarsteller, fetzige Musik, wohl dosierter Drogenrausch und ein Schuss erste große Liebe – das ist das Erfolgsrezept für einen erfolgreichen Jugendfilm. Systemfehler – Wenn Inge tanzt hat auf den ersten Blick alles richtig gemacht. Und auf den zweiten überraschenderweise auch.

Vielleicht hat es mit Produzent Andreas Klein und seinen Erfahrungen in der US-Filmindustrie zu tun, dass dieser deutsche Film ungewöhnlich frisch daher kommt. Es ließe sich natürlich ebenso argumentieren, Systemfehler – Wenn Inge tanzt sei „amerikanisch“. Der weibliche Underdog, der von den coolen Jungs für einen wichtigen Auftritt in ihre Punk-Rock-Band aufgenommen wird und dabei zu ungeahnter Schönheit erblüht – das erinnert in der Tat ziemlich an Hollywood.

Darüberhinaus wäre die Frage zu stellen, warum der Junge immer der Coole und das Mädchen immer die Streberin sein muss und warum letztere nicht einfach mal in all ihrer „Uncoolness“ sexy sein kann, anstatt sich zu verwandeln. Immerhin beschränkt sich Inges Metamorphose hier auf das Ausziehen der altbackenen Bluse und das Lösen des strengen Haarknotens. Aber amerikanisch hin oder her, Systemfehler – Wenn Inge tanzt macht so viel Spaß, dass es eigentlich vollkommen egal ist, wodurch sich die Drehbuchautoren Thomas Winkler, Rainer Ewerrien und David Ungureit sowie Regisseur Wolfgang Groos (Die Vampirschwestern) haben inspirieren lassen.

Schon die Musik des Vorspanns, die Hitsingle der fiktiven Gruppe Systemfehler mit dem Titel „Wenn Inge tanzt“ bringt das Kinopublikum in Stimmung für ein beschwingtes Kinoerlebnis. Echte Punk-Rocker werden wohl aus Wut ihr Popcorn gen Leinwand schmeißen, doch dafür hat das Musikproduzenten-Duo Nice (Markus Schlichterle und Christoph Koterzina) hier funktionale Mainstreammusik geschaffen, die – und so soll es ja auch sein – ein breites Publikum erreichen kann. Selbiges lässt sich auch über die Sänger sagen. Zwar haben sich die Caster hier Mühe gegeben, verschiedene Typen zusammenzustellen, doch unterm Strich wirken Max (Tim Oliver Schultz), Joscha (Konstantin von Jascheroff), Fabio (Tino Mewes) und Lukas (Thando Walbaum) für echte Rocker doch ein wenig zu glatt. Dafür werden sie – das steht fest – Mädchenherzen höher schlagen lassen und überzeugen ohne Weiteres als die „coolen Jungs“ der Schule, denen die Groupies zwischen Klassenzimmer und Pausenhof hinterher rennen.

Hauptdarsteller Tim Oliver Schultz hat die Aura eines Bill Kaulitz: ein bisschen metrosexuell, aber doch verwegen genug, um einem heterosexuellen Männlichkeitsideal zu entsprechen. Er meistert seine Rolle mit Bravour und selbst die leicht zurückgelehnte Körperhaltung passt zum Nachwuchsrocker. In einer Nebenrolle tritt Peter Kraus auf, grandios besetzt als alternder Schlagerstar mit einer fast krankhaften Faszination für das eigene Ableben. Mit einer gelungenen Portion Selbstironie trägt seine Figur Onkel Herb erheblich zur Komik des Films bei.

So beschwingt wie die Musik sind die auch die Dialoge, die sich erfreulicherweise nicht krampfhaft um die Coolness zeitgenössischer Slangbegriffe bemühen, um wie viele andere Filme in ihrem Scheitern unangenehm peinlich zu wirken. Wenn Max und Inge, die zu Beginn des Films noch verfeindet sind, sich ihre Wortgefechte liefern, erfreut das Zuschauer jeden Alters. Insgesamt erlaubt sich der Film eine gewisse Derbheit: „Besser ungefickt als Praktikant“ – da ist was Wahres dran. Ebenso gerade heraus gestalten sich die Liedtexte von Systemfehler: „Inge liebt die Tiere, doch ist nicht gut zu vögeln“. Indem der Film ganz offensichtlich nicht versucht, seinem jugendlichen Publikum auf die pädagogische Tour zu kommen, könnte er am Ende wahrhaftig die anvisierte Generation der 14 bis 20-jährigen begeistern.

Ganz banal ist die Geschichte dann aber auch nicht. Hauptfigur Max ist nicht nur ein Frauenschwarm, sondern auch ein verlorener Sohn. Mit seinen Eltern hat er gebrochen und die ungeklärte Situation lastet schwer auf ihm. Leider wird diesem Teil der Storyline zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt, so dass wir nie ganz verstehen, wie es eigentlich dazu gekommen ist, dass Max bei Onkel Herb anstatt auf Kuba bei seinen Eltern lebt. Schade ist außerdem, dass wir über Inge, die ja immerhin die titelgebende Figur des Films ist, kaum etwas erfahren. Im Gegensatz zu Max hat sie weniger einen Charakter als vielmehr eine Funktion für den männlichen Helden: Sie dient dazu, seine inneren Zweifel zu wecken. Sind Ruhm und Geld wirklich das oberste Ziel? Max’ kleine Sinnkrise ist vielleicht etwas zu konstruiert, der klassische Bruch kurz vor Schluss eine zu offensichtliche Strategie, dem ganzen Plot noch etwas Spannung abzuringen, aber wir freuen uns viel zu sehr auf den finalen Auftritt der Band, um uns darüber zu ärgern.

Mit seinem großen Spaßfaktor, der sich nicht nur aus dem Soundtrack, sondern auch aus den pfiffigen Dialogen ergibt, kann der Film über kleinere Schwächen souverän hinwegtäuschen. Ob Systemfehler – Wenn Inge tanzt auch den Nerv der Jugend trifft, bleibt abzuwarten, aber die Chancen stehen gut.
 

Systemfehler - Wenn Inge tanzt (2013)

Ein attraktiver Hauptdarsteller, fetzige Musik, wohl dosierter Drogenrausch und ein Schuss erste große Liebe – das ist das Erfolgsrezept für einen erfolgreichen Jugendfilm. „Systemfehler – Wenn Inge tanzt“ hat auf den ersten Blick alles richtig gemacht. Und auf den zweiten überraschenderweise auch.

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