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Die jüngsten Finanzkrisen, die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, das Erstarken populistischer Kräfte, der Brexit, Raubbau an der Natur und weitere Phänomene könnten als Symptome des umfassenden Versagens des Kapitalismus gedeutet werden.

System Error (2018)

Eine Filmkritik von Björn Helbig

Über die kollektive Schizophrenie unendlichen Wachstums

Angeblich hat es der Philosoph Karl Marx schon immer gesagt: Das kapitalistische System ist fehlerhaft und führt automatisch zum Kollaps. Ob dem deutschen Philosophen, Ökonom und einflussreichen Theoretiker des Kommunismus tatsächlich die prophetische Ehre gebührt, die jüngsten Ereignisse des 21. Jahrhunderts korrekt vorausgesehen zu haben, sei dahingestellt. Fest steht jedenfalls, dass Florian Opitz („Der große Ausverkauf“, „Speed – Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“) in seiner neuen Dokumentation „System Error“ einiges an Material zusammenträgt, das zutiefst beunruhigt.

Systemversagen auf verschiedenen Ebenen: Die Menschheit hat sich an den Abgrund manövriert. Spätestens seit Dennis Meadows und eine Gruppe anderer Zukunftsforscher 1972 in der vom Club Of Rome in Auftrag gegebenen Studie Die Grenzen des Wachstums zeigten, was uns bevorsteht, ist klar, dass es so nicht weitergehen darf. Zumindest nicht, wenn wir überleben wollen. Wenn die gegenwärtige Zunahme der Weltbevölkerung, die Umweltverschmutzung, die Nahrungsmittelproduktion und die Ausbeutung von natürlichen Rohstoffen so weiter gehen, werden die absoluten Wachstumsgrenzen auf der Erde im Laufe der nächsten hundert Jahre erreicht. Doch statt gegenzusteuern, geht alles weiter wie bisher. Statt den Ursachen auf den Grund zu gehen, werden Symptome bekämpft. Unsere Handlungen sind dabei größtenteils von den ungeplanten Nebenfolgen zurückliegender Entscheidungen bestimmt. Doch am Dogma beständigen Wachstums hat noch keine Katastrophe zu rütteln vermocht.

Woran liegt es? Und: Was können wir tun? Für Opitz ist die Antwort auf die erste Frage klar – System Error! Das System hat einen inhärenten Fehler. Für ihn hat uns die Steigerungslogik des Kapitalismus und die kollektive Wahnvorstellung, unendliches Wachstum sei möglich, in die aktuelle Lage gebracht. Seine Lösung ist folglich, Alternativen zur Wachstumsideologie zu finden. Und zwar schnell. Denn wenn man den Suggestionen seines Dokumentarfilms folgt, steht das Systemversagen unmittelbar bevor. Um den Zuschauer hiervon zu überzeugen, arbeitet Opitz meist mit Interview- bzw. Textpassagen. Während als Kapitalismusgegner vor allem der Wachstumskritiker Tim Jackson, Professor für Nachhaltige Entwicklung an der University of Surrey, der vor entspannter Szenerie seine Thesen zum  Untergang erläutert, und Karl Marx (1818-1883) in bedrohlicher Computerschrift zitiert werden, illustriert Opitz die Gegenposition meist mit Sequenzen, welche die Widersprüche des Kapitalismus aufzeigen: Man hört beispielsweise südamerikanische Großgrundbesitzer über die Vorzüge moderner Nahrungsmittelproduktion schwärmen, während gleichzeitig Bilder gigantischer gerodeter Flächen eine andere Sprache sprechen – We Feed the World lässt grüßen. Alle paar Minuten werden für die Landwirtschaft zig Fußballfelder Regenwald abgeholzt. Oder man sieht einen chinesischen Industriellen über den wirtschaftlichen Aufschwung seines Landes sprechen – während dessen Limousine auf einer versmogten Autobahn im Stau steht.

Es besteht von Beginn an wenig Zweifel daran, dass Opitz selbst Wachstumsskeptiker ist. Überzeugender wäre seine Kritik am Kapitalismus aber ausgefallen, wenn er versucht hätte, die Gegenseite stärker zu machen, als lediglich Stimmen für ihre Unzulänglichkeit zusammenzutragen. Warum soll denn kein unendliches Wachstum möglich sein? Wachstum bedeutet ja nicht, dass der Energieerhaltungssatz in irgendeiner Weise verletzt wird. Und wie verhält es sich mit immateriellem Wachstum? Zuweilen tendenziös wirkt seine Beweisführung auch durch die Auswahl der Gesprächspartner. Weitere Perspektiven auf das Thema hätten dem Film gutgetan. Und dadurch, dass Opitz augenscheinlich versucht, die Fürsprecher des Kapitalismus nicht im allerbesten Licht erscheinen zu lassen – indem er zum Beispiel immer ein wenig zu lang die Kamera laufen lässt und seine Gesprächspartner so unsicher erscheinen lässt. Außerdem ist fraglich, ob dem ohne Zweifel brisanten Stoff ein Gefallen damit getan ist, den alten Karl Marx als dessen Hauptfürsprecher zu wählen. Seine Thesen werden seit 200 Jahren kontrovers diskutiert und mehr schlecht als recht in der Realität erprobt. Klar dürfte jedenfalls sein, dass Marx keine einfachen Antworten zu bieten hat. Mit einzelnen, aus dem Zusammenhang gerissenen Sätzen zentralen Aussagen des Films zusätzliche Bedeutung verleihen zu wollen, wirkt ähnlich wenig überzeugend, wie die Idealisierung von Marx als jemandem, der genau die Art und Weise des Systemversagens vorhergesehen hat.

Diesen abschließenden Anmerkungen zum Trotz ist System Error aber vor allem ein anregender und sehr wichtiger Film. Die Frage, ob es nun unendliches Wachstum in einer endlichen Welt geben kann, beantwortet er zwar nicht, aber am Ende ist die Position des Films glasklar. Und es ist durchaus sehr inspirierend, sich auf dessen Grundlage und hoffentlich vieler weiterer Quellen mit dem Kapitalismus, Wachstum sowie den eigenen Überzeugungen auseinanderzusetzen und diese – gegebenenfalls – anzupassen.

System Error (2018)

Der Kapitalismus ist alive and well. Genau so, wie Karl Marx ihn damals vorhersagte. Jeder Bereich des menschlichen Lebens ist unterlaufen von diesem System und eine zwangsläufige Krise scheint unausweichlich. Florian Opitz versucht in seinem Dokumentarfilm „System Error“ gute Alternativen zu finden.

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