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Psycho Killer, qu’est-que c’est? Kirill Serebennikov tanzt einen betrunkenen, lauten, politischen Punkrock-Tanz im Leningrad der 1980er Jahre.

Leto (2018)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Freiheitstänze in verschlossenen Räumen

Zur Zeit sitzt Kirill Serebrennikov in Russland im Hausarrest. Sein Film „Leto“ spielt in seiner Abwesenheit in Cannes und es könnte kein besserer Kommentar zu Serebrennikovs Situation geben, als diesen Film über Musik, über Liebe, über das Rebellieren in einem Land, das all dies zu regulieren oder zu unterdrücken versucht. Und so tanzt „Leto“ hier an der Croisette sogar noch ein bisschen lauter, ein bisschen politischer seinen betrunkenen Punkrock-Tanz als eigentlich geplant.

Leto heißt Sommer und dieser Sommer im sowjetischen Leningrad der frühen 1980er Jahre hat fast alles, was einen Sommer ausmacht. Zumindest für die kleine Gruppe Punkmusiker und ihre Fans, die sich hier gefunden haben und die in ein paar Jahren einmal teilhaben werden an der Revolution, die den Kalten Krieg beenden wird. Doch jetzt sind sie noch kleine Fische, gefangen in einem klitzekleinen Aquarium, in dem man in einem staatlichen Rock-Club seine Musik zum Besten gibt. Es ist rockig, es ist punkig, aber nur mit Akustikgitarren, zensierten Texten und Aufpassern, die dafür sorgen, dass das Publikum ja nicht in Tanz und Tumult ausbricht. Star dieser Szene ist Mike (Roman Bilyk), Sänger der Gruppe Zoopark, eine Figur, die die Band Aquarium und ihren Frontmann Boris Borissowitsch Grebenschtschikow widerspiegelt. Mike ist ein alter Hase, fast schon ausgelutscht von der ewigen Zensur und doch kann er nicht anders. Punk ist eben eine Lebenseinstellung, nicht nur eine Musikrichtung. Zu Hause ist er dann aber doch zahmer. Er wohnt mit seiner Freundin Natascha (Irina Starshenbaum) und ihrem Sohn in einem kleinen Zimmer und sie verbringen ihre sonstige Zeit mit beschissenen Jobs und dem gemeinsamen Hören von Platten: Bowie, Dylan, T-Rex, Sex Pistols, Velvet Underground – sie alle sind vertreten in diesem Film. Als Vorbilder, als Sinnbilder, als Sehnsuchtsbilder dieser Jugend ohne Zukunft.

Im Sommer wird dann wenigstens am See Gitarre gespielt und nackt ums Feuer getanzt. Hier kommt eines Tages ein Neuer hinzu: Viktor (Teo Yoo), der auf dem gleichnamigen Künstler Wiktor Robertowitsch Zoi der Band Kino beruht. Der junge Mann ist eher von der stillen Sorte, aber ausgestattet mit Talent und einem eindeutigen Wissen darüber, wie seine Musik sein und klingen soll. Mike erkennt sein Talent und nimmt ihn unter seine Fittiche, hilft ihm beim Verfeinern seiner Songs, beim Aufnehmen eines ersten Albums und beim staatlichen Zensurbehördengang, ohne den Viktor nicht auftreten kann. Diese zarte Männerfreundschaft weitet sich auf die gesamte Gruppe und einen gesamten hedonistischen Sommer aus, der alle zusammenschweißt in einem anhaltenden Ritual aus Bier, Wodka, Musik und Sehnsucht. Es sind Freiheitstänze in geschlossenen Räumen zu Musikzeilen, die nur subtil darauf hinweisen dürfen, was sie eigentlich sagen wollen. Doch das ist egal, alle verstehen und fühlen es. Und auch Mike, Viktor und Natascha finden immer mehr zueinander.

Leto ist pure Melancholie in Punkmusik und schwarz-weißen Bildern. Doch diese Melancholie wird nie selbstmitleidig, wie beispielsweise in Dovlatov, und die Nabelschau dieser kleinen Gruppe wird nie maßlos. Serebrennikov balanciert seinen Film gut, er umschifft die Hürden aller Filme über hedonistische KünstlerInnen, die irgendwann in ihrem eigenen Saft baden gehen und sich vollends entleeren. Doch das ist hier nicht der Fall. Im Gegenteil: Unter der sanften Melancholie zeigt sich ein treffsicherer Scharfsinn, der ganz wie die Liedtexte der 1980er-Jahre-Punks nie eindeutig ausdrückt, was er sagen will und doch Bände spricht. Somit entsteht – vor allem in Hinblick darauf, wie eindeutig, laut und kritisch Serebrennikovs vorheriger Film Der Student war, der ihn (auch) in die jetzige missliche Lage gebracht hat – der Eindruck, dass der Künstler zwar einen Maulkorb hat, die Zensur hat es aber noch nie geschafft, Kunst in all seiner Meta-Sprachlichkeit zum Verstummen zu bringen.

Daher bricht auch Leto immer wieder aus seinen schwarz-weißen Bildern aus und fügt zwei Meta-Ebenen ein, die sich als genial herausstellen. Zum einen gibt es immer wieder Gesang. Egal ob Iggy Pops Passenger, Lou Reeds Perfect Day oder Psychokiller von den Sex Pistols – der ideologische Klassenfeind bricht mit seiner Kunst in den Film ein, gepaart mit wunderbaren Zeichnungen, bei denen eine Anlehnung an die MTV-Ästhetik der 1990er Jahre nicht abzustreiten ist. Hier wird es wundervoll albern, ein paar Momente voller Surrealem, jugendlicher Albernheit und Imagination, die den tristen Alltag in der Tram zu einem Medley machen. Doch diese wunderbar transzendierenden Momente werden zum anderen begleitet von einer Figur namens Skeptic (Alexander Kuznetsov), die kommentierend eingreift und diese Augenblicke immer wieder bricht, indem sie sie beendet und dem Zuschauer erklärt, dass all dies nicht wirklich passiert ist. Denn bei aller Liebe, Jugend und Sehnsucht, Serebrennikov ist doch weiterhin ein Realist, der auch hier wenigstens mit einem Bein auf dem Boden der sowjetischen Tatsachen stehen bleibt. Dieser Anker ist wichtig, er hält den Film davon ab, zu einer Realitätsflucht zu werden. Doch so ist er es nicht, im Gegenteil, hier sieht man Serebrennikovs Kritik, seinen Kommentar zum damaligen und zum jetzigen Russland am deutlichsten. Und wie dem Regisseur selbst, so liegt es auch den Figuren am Herzen, nicht einfach intellektuell und politisch abzutauchen, sondern an den Gegebenheiten teilzuhaben, egal wie schmerzhaft sie sind und wie sehr sie versuchen, sie zu verändern.

Leto (2018)

In seinem neuen Film erzählt der russische Theatermacher und Filmregisseur Kirill Serebrennikov (Der die Zeichen liest) von der Rock-Szene im Leningrad der frühen 1980er Jahre. Beeinflusst von Interpreten wie Led Zeppelin und David Bowie entwickelte sich hier rund um den Musiker Viktor Tsoi eine pulsierende Szene, die von der Staatsmacht misstrauisch beäugt wurde. Der Film konzentriert sich dabei auf die Dreiecksbeziehung zwischen Viktor, seinem Mentor Mike und dessen Frau Natascha.

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Meinungen

JE · 30.12.2018

Zoopark und Mike Naumenko spiegeln nicht die Band Aquarium und ihren Frontmann Boris Borissowitsch Grebenschtschikow wider, sondern einfach sich selbst.
Psychokiller ist ein Song von den Talking Heads.