Log Line

Was bleibt vom Krieg, wenn man wieder zu Hause sitzt? Infolge der Terroranschläge des 11. September 2001 verpflichteten sich viele US-Amerikaner für Kriegseinsätze in Afghanistan oder im Irak. In „Stress“ porträtiert Florian Baron fünf Jungveteranen aus Pittsburgh, die heute psychische Wracks sind.

Stress (2018)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Sein Leben ver(sch)wenden

„Man sieht wirklich schlimme Dinge: Ein Kind, das einen Selbstmordanschlag verübt…“ – „Man weiß nie, wann es einen trifft. Es ist wirklich laut. Dann kommt die Druckwelle…“ – „Ich kann nichts mehr für andere Leute empfinden…“ Was die fünf Porträtierten Jungveteranen der US-Armee in Florian Barons „Stress“ im O-Ton aus dem Off von sich geben, ist streckenweise kaum auszuhalten. Was sie auf erschreckende Weise eint, ist das seltsam bohrende Gefühl, nicht mehr dazuzugehören.

Was ursprünglich als Abenteuer („Es war cool.“), mit ausgeprägten Sinn für Patriotismus infolge der Terroranschläge des 11. September 2001 oder schlichtweg der eigenen Familiengeschichte zuliebe geplant war, entpuppte sich in der oft brandgefährlichen Kriegspraxis vor Ort für jeden der fünf Ex-Soldat*innen als desaströser Trugschluss.

„Ich fühlte mich wie ein Zombie“, stellt Joe Boots, einer der einprägsamsten Protagonisten in Florian Barons ebenso sehenswerter wie experimentell gestalteter (Bildgestaltung: Johannes Waltermann / Montage: Clemens Walter) Dokumentarfilmstudie zum Thema Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), einmal konsterniert fest. Ihn hatte der im mittelfränkischen Röthenbach aufgewachsene Absolvent der Filmuniversität Babelsberg bereits in seinem gleichnamigen Kurzfilm (Joe Boots) als eindrucksvollen Protagonisten besetzt, für den Florian Baron 2018 unter anderem den renommierten Menschenrechts-Filmpreis in Nürnberg gewann.

Kein Wunder also, dass dem Gros jener Jungveteranen, die zu Beginn ihrer Einsätze meist erst die Volljährigkeit erreicht hatten, ein (Wieder-)Einstieg im heimischen „Stars-and-Stripes“-Kosmos mehr als schwerfällt. Erst recht, wenn man nach irgendwann unendlich scheinenden Monaten wieder das erste Mal zu Hause ankommt, seine Partnerin oder den eigenen Nachwuchs trifft, der längst weiß, „dass der Papa einen Knall hat“.

Denn was ist das im Grunde plötzlich für ein bizarrer Ort geworden angesichts der wabernden Kriegstraumata, die jeder von ihnen scheinbar für immer in sich tragen wird? Manche wären lieber als offensichtlich versehrte Kriegsteilnehmer zurückkehrt: Dann würde wenigstens niemand mehr groß nachfragen oder einem vielleicht sogar noch auf die Schultern klopfen und ihm „für seinen Dienst danken“. Im Gegenzug dürfen die Veteranen von Seiten der US-Armee auf keinerlei nachhaltige Unterstützung hoffen. Schließlich wurde es dort, egal ob im Zweiten Weltkrieg oder später in Korea und auch in Vietnam noch nie gerne gesehen, „wenn man nach persönlicher Hilfe fragt.“ Wenn es nicht stark blutet, kann es nicht so schlimm sein, lautet einer der innerhalb der Truppe kreisenden Zynismen.

Was den nicht selten schwer traumatisierten Kriegsheimkehrern bleibt, ist das innere Ausgebranntsein, das sich regelmäßig mit massiver Autoaggression, Alkohol- oder Drogensucht auf fatale Weise paart, so dass in den USA durchschnittlich 22 US-Veteranen Selbstmord begehen: pro Tag wohlgemerkt. Manche geben ihre Babys zu den Großeltern und machen sich kurzerhand aus dem Staub, andere schlagen ihre eigenen Familienmitglieder K.O., obwohl einen diese in der Früh doch nur aufwecken wollten…

Das sprichwörtliche „Land of the Free“ ist für die in eindrucksvoller Extremzeitlupe begleiteten Protagonist*innen Joe Boots, Mike Guffey, Torrie McLaughlin und Justin Tassone (1986-2016) innerlich längst abgebrannt, auch wenn vor ihrem Wohnzimmerfenster die Sonne scheint oder die Nachbarn wie in David Lynchs Blue Velvet (1986) mit Tier, Kind und Kegel gerade mit dem Gartenschlauch selbstvergessen herumhantieren: Hauptsache es spritzt.

Zusammen mit imposanten Kameradronenflügen, starken Symbolbildern der Ex-Stahlindustriestadt Pittsburgh und vor allem im Einklang mit dem preisgekrönten Score von Jana Irmert (DOK.fest München 2019) ist Florian Baron (Radio Taxi, 2010; The Final Call, 2012) mit Stress ein enorm soghafter Dokumentarfilm gelungen, der zugleich auch als Podcast, Installations- oder „Oral-History“-Projekt vorzüglich funktionieren würde. In einem gleichfalls artifiziellen wie packenden Dokumentarfilmsetting wird das geschilderte (Nicht-mehr-weiter-)Leben jener gezeichneten Veteranen schließlich jederzeit greifbar. Auf die nächsten Dokumentarfilmprojekte des 1984 geborenen Filmemachers darf man dementsprechend gespannt sein.

Stress (2018)

9/11-Trauma, Ideologie der gewalttätigen Genugtuung, Militärdienst als patriotische Familientradition, die „Unfairness“ heutiger Kriegsführung – fünf junge Veteranen des Afghanistankriegs setzen aus dem Off zunächst ein Fundament bekannter Bauart. Joe, Torrie, Mike, James und Justin aus Pittsburgh wenden uns nur langsam ihr Gesicht zu. Körperlich unversehrt, aber mit innerem Schmerz, sind sie nach ihrer Rückkehr zu Unverstandenen geworden. Ihre brutale Erfahrung spricht eine Sprache, die das Umfeld zu Hause nicht versteht.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Sandra · 13.02.2020

Gerade dieser Realismus ohne Betroffenheitslarifari macht STRESS zu einer einzigartigen Dokuerfahrung.