Stray Dog

Eine Filmkritik von Patrick Wellinski

Born to be wild

Ein Harley-Fahrer, dessen ganzes Leben die Tiefen und Verfehlungen der amerikanischen Gesellschaftspolitik der letzten 50 Jahre aufzeigt: Stray Dog ist Debra Graniks Versuch einer Standortbestimmung der amerikanischen Gegenwart.
Dass gerade sie dafür ein ganz besonderes Gespür hat, das demonstrierte sie bereits mit ihrem oscarnominierten White-Trash-Drama Winter’s Bone. Die Kälte der Sonne des Heartlands, die kahlen Bäume, die heruntergekommenen Trailerparks und maulfaulen Bewohner, wirken wie Vorboten einer Stimmung, die sie jetzt in ihrem Dokumentarfilmdebüt festgehalten hat.

Stray Dog spielt in Minnesota, dem North Star State, Heimat von Ron Hall. Ron ist ein Rocker, ein Harley-Fan und ein Vietnam-Veteran. Außerdem ist er ein liebevoller Ehemann, der versucht, für seine mexikanische Frau spanisch zu lernen und dabei ist er auch ein ehrlicher und netter Vater und Großvater. Ein Mensch, der eigentlich alles richtig macht, aber dessen Alltag von einer Traurigkeit und einem Schmerz durchzogen ist, der bei Ron nur selten nach außen tritt. Aber wir erkennen schnell, dass in ihm ein Kampf wütet, der ihn auf ewig quälen wird.

Ron leidet am Postkriegstrauma. Nachts schreit er. Einem Psychiater erzählt er, wie er, viel zu jung, eine Einheit in Vietnam anführen musste. Wie er Unmenschliches sah und tat, wie er Kameraden sterben sah, für die er nichts mehr machen konnte. Es sind kleine Informationshappen, die Granik uns da entgegenwirft, da sie sich weniger dafür interessiert, was war, sondern dafür, was ist. Deshalb beobachtet sie Ron, wie er regelmäßig Hinterbliebenen einen Besuch abstattet, wie er bei Begräbnissen und Veteranenveranstaltungen dabei ist und so versucht, seinem Dasein einen Sinn zu verleihen.

Besonders interessant ist der Moment, wenn Ron seine Stiefsöhne, mexikanische Teenager aus Mexico City, in die Staaten holt. Unter den Trailerparkbewohnern, die Dosenbier trinkend ihre Gewehre polieren, wirken die beiden Stadtjungs fremd und völlig hilflos. „Das wird schon“, sagt Ron, der allen eine Engelsgeduld entgegen bringt. Doch irgendetwas in diesen Bildern zeigt, dass auch Ron es nicht jedem recht machen kann. Auch wenn er das als seine große Mission sieht.

Am Ende bleibt uns die warmherzige Erkenntis, dass Ron „Stray Dog“ Hall eine durch und durch ehrliche Haut ist. Ein guter Mann und damit irgendwie auch ein guter Amerikaner. Die viel wichtigere Frage, die sich da aber stellt, lautet: War Amerika auch gut zu ihm?

Stray Dog

Ein Harley-Fahrer, dessen ganzes Leben die Tiefen und Verfehlungen der amerikanischen Gesellschaftspolitik der letzten 50 Jahre aufzeigt: „Stray Dog“ ist Debra Graniks Versuch einer Standortbestimmung der amerikanischen Gegenwart.
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