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Nimm deine Gabe an! Viele Jahrzehnte nach den Ereignissen aus Stephen Kings Romanklassiker „Shining“ und dessen Verfilmung durch Stanley Kubrick muss sich der traumatisierte Dan Torrance seinen seherischen Fähigkeiten stellen. Ist dabei Gänsehaut garantiert?

Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen (2019)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

King und Kubrick versöhnt

Mike Flanagan (Ouija: Ursprung des Bösen) hat sich einiges vorgenommen. Mit „Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen“ (ein Hoch auf ungelenke deutsche Verleihtitel!) will der im Schauergenre bereits mehrfach erprobte Regisseur nicht nur der Fortsetzung des Horrorromans Shining gerecht werden, sondern auch Stanley Kubricks gleichnamiger und längst zu einem Klassiker des Leinwandschreckens avancierter Verfilmung huldigen. Kompliziert ist dieses Unterfangen vor allem deshalb, weil sich Kubrick bei seiner Adaption große Freiheiten nahm und die Geschichte in Kings Augen verwässerte. Womöglich fühlte sich der US-Schriftsteller gerade dadurch angespornt, seinen Stoff im 2013 veröffentlichten Nachfolgewerk „Doctor Sleep“ weiterzuspinnen und seine thematischen Schwerpunkte wieder stärker in den Mittelpunkt der öffentlichen Wahrnehmung zu rücken.

Flanagans Verneigung vor der ikonischen Kubrick-Version beginnt schon in den ersten Sekunden, wenn die aus dem Auftakt des Vorgängerfilms bekannten unheilvollen Klänge ertönen und sich die Kamera aus der Vogelperspektive langsam einem im Wald geparkten Wohnwagen nähert. Nur wenig später entführt Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen den Zuschauer in das ominöse Overlook-Hotel, in dem der kleine, oft auf seinem Dreirad durch die Gänge brausende Danny Torrance (Roger Dale Floyd ersetzt Danny Lloyd aus Shining) grausige Dinge erleben musste. Gemeinsam mit seiner Mutter Wendy (Alex Essoe ersetzt Shelley Duvall) gelang es ihm, seinem verrückt gewordenen Vater Jack und dem von bösen Geistern beherrschten Gebäude zu entkommen. Irgendwo in Florida, weit weg von der verschneiten Einöde des gespenstischen Hauses, versuchen die beiden, Ruhe zu finden. Doch immer wieder wird der mit einer seherischen Gabe, dem sogenannten Shining, ausgestattete Danny von den Geschehnissen und besonders der unheimlichen Frau aus Zimmer 237 eingeholt. Auch wenn der verstörte Junge die Ängste in seinem Kopf in imaginäre Kisten sperren kann, belasten sie seine Psyche massiv.

So sehr, dass aus ihm 2011, mehr als drei Jahrzehnte später, ein trinkendes und aggressives Wrack geworden ist, das seinem alkoholkranken Vater immer mehr ähnelt. Dan (Ewan McGregor), wie er sich nun nennt, lässt nichts unversucht, um seine übernatürlichen Fähigkeiten zu verdrängen. Als er in eine Kleinstadt in New Hampshire kommt, läuft er dem hilfsbereiten Billy Freeman (Cliff Curtis) über den Weg, der seine Not erkennt, dem gebrochenen Mann ein Zimmer vermittelt und ihn in eine Selbsthilfegruppe integriert. Dort lernt Dan den Arzt Dr. John (Bruce Greenwood) kennen, über den er eine Anstellung in einem Hospiz erhält. Ein Ort, an dem er seine Shining-Gabe schon bald dazu nutzt, den sterbenden Menschen die Furcht vor dem Tod zu nehmen.

Rund acht Jahre später tritt die ebenfalls über telepathische Fähigkeiten verfügende Abra Stone (Kyliegh Curran) mit Dan in Kontakt, da das Mädchen auf eine vampirhafte Sekte aufmerksam geworden ist. Die Anführerin Rose the Hat (Rebecca Ferguson) und ihre Mitstreiter sind besessen von einem langen Leben, töten aus diesem Grund Kinder mit Shining-Veranlagung und saugen deren Kraft in Form eines Dampfes in sich auf. Dass Abra dem blutigen Treiben mit Dans Unterstützung ein Ende setzen will, schmeckt dem Hospiz-Angestellten zunächst gar nicht.

Die Synopsis mag länger sein als üblich, spiegelt allerdings den Aufbau des Films wider. Flanagan, der auch das Drehbuch schrieb, gestaltet die Exposition umfangreich, führt den Betrachter durch unterschiedliche Zeitetappen und bemüht sich, die Themen, die King in Doctor Sleep wichtig sind, zu vertiefen. Die Alkoholsucht und die Ausprägungen des Shinings bekommen mehr Raum als noch in Kubricks Film und bieten die Möglichkeit, den beiden Hauptfiguren ein interessantes Profil zu geben. Leider wird man das Gefühl nicht los, dass der Blick in die Psyche manchmal zu oberflächlich gerät. Obwohl Ewan McGregor und Kyliegh Curran brauchbare Darbietungen abliefern, kommt man den Protagonisten und ihrem inneren Kampf nicht immer nahe genug, um emotional mitgerissen zu werden. Das spezielle Band zwischen Dan und Abra hätte man eingehender sezieren können. Auch und gerade dann, als sie sich anschicken, zusammen gegen Rose und ihre Schergen vorzugehen.

Ins Holpern kommt Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen vor allem gegen Ende des Mittelteils, das einen schlampig vorbereiteten ersten Showdown bereithält. Während die Entscheidungen der Hauptfiguren etwas fahrig daherkommen, erscheint das Verhalten der Sektenmitglieder arg einfältig. Ein wenig seltsam ist überdies, wie abrupt einige Nebencharaktere aus der Handlung herausfallen und wie wenig Erschütterung diese Einschnitte bei Dan und Abra hervorrufen. Zu sehr konzentriert sich Flanagan bereits darauf, das große Finale einzuläuten, das Kings und Kubricks unterschiedliche Konzeptionen und Ideen mit einem gewaltigen Tusch vereint.

Gerade heutzutage, in einem Kinoumfeld, in dem Horrorstreifen häufig das Prinzip Holzhammer bemühen, ist die etwas subtilere Herangehensweise dieses Films erfrischend. Das immer wieder ertönende Pochen auf der Tonspur trägt ebenso zur beklemmenden Stimmung bei wie die suggestive Kameraarbeit von Michael Fimognari. Dass einem die Nackenhaare mehr als einmal zu Berge stehen, liegt aber auch an der Performance von Rebecca Ferguson, die das Sektenoberhaupt Rose mit einer beunruhigend-verführerischen Boshaftigkeit verkörpert. Fast jede Szene, in der die schwedische Mimin auftaucht, strahlt etwas ungemein Bedrohliches aus. Ohne sie würde Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen wohl nur halb so gut funktionieren.

Bei aller Freude über die vielen eingestreuten Verweise auf Kubricks Shining drängt sich durchaus die Frage auf, ob es die Rückgriffe immer gebraucht hätte. Schließlich klammern sich manche Reverenzen und Nachstellungen allzu sklavisch an das Vorbild und lassen keine besondere Eigenleistung erkennen. Dass die Darsteller von damals durch andere Schauspieler ersetzt wurden, sorgt zudem für kleine Irritationen. Wiederholt fühlt man sich zu Vergleichen mit dem Klassiker animiert, von dessen künstlerischer Meisterschaft Flanagans Angsttrip dann doch ein gutes Stück entfernt ist. Szenen aus Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen werden in 40 Jahren höchstwahrscheinlich nicht tief im kollektiven Gedächtnis verankert sein.

Stephen Kings Doctor Sleeps Erwachen (2019)

In „Doctor Sleep“ treffen wir auf den erwachsenen Danny Torrance, der das Trauma aus dem Overlook Hotel auch Jahrzehnte später mit sich herumschleppt. Seine Wut und sein Alkoholproblem machen ihn zu einem Spiegelbild seiner Vaters. Seine Shining-Kräfte kehren erst zurück, als er beginnt Sterbende in einem Hospiz zu pflegen. Dabei entsteht eine besondere Verbindung zu einem jungen Mädchen, das eine ganz ähnliche Gabe zu haben scheint wie er selbst.

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Meinungen

Florin Meyer · 22.11.2019

Ich war heute 22/11/19 in der 16.15 Vorstellung
von Dr. Sleep. Kurz vor Filmbeginn war auf einmal
die Lizenz für nur diese eine Vorstellung nicht
erneuert worden. Nur weil ich alleine im Film war
und man keine Lust hatte. Verlogen!