Starlet (2012)

Eine Filmkritik von Silvia Bahl

Die Spuren der kleinen Geschichten

Mit sonnendurchfluteten Bildern erzählt Sean Baker in fast schon neorealistischer Manier von den Schattenseiten der kalifornischen Traumfabrik, sein Fokus liegt dabei auf Schönheit und Schrecken des Alltäglichen. Es ist vor allem die Geschichte einer unwahrscheinlichen Freundschaft zwischen zwei Frauen, die das Alter trennt, aber die Verletzbarkeit verbindet, anhand derer er seinen sensiblen und angenehm undramatischen Film über die Randexistenzen des Glamours entfaltet.

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In der Hauptrolle überzeugt in ihrem Debüt Dree Hemingway, Urenkelin des berühmten amerikanischen Romanciers, durch ihr natürliches Spiel und die Fähigkeit ihrer Figur, die man auf den ersten Blick als oberflächlich betrachten könnte, eine Mehrdimensionalität zu verleihen. Jane, die junge Frau, die sie verkörpert, ist eine Drifterin – wir lernen sie kennen als eine den Tag verschlafende, unmotivierte und unzufriedene Schönheit, die sich das Apartment mit dem Pärchen Melissa (Stella Maeve) und Mickey (James Ransone) teilt. Die drei verbringen ihre Tage mit Kiffen und Konsole-Spielen, notorisch pleite und in der Hoffnung einmal im Film-Business groß rauszukommen, was der titelgebende Name ihres Chihuahuas unterstreicht — das einzige Wesen, zu dem Jane eine liebevolle Beziehung führt.

Die Dinge geraten in Bewegung als sie bei einem Garagen-Flohmarkt eine alte Thermoskanne ersteht, in der sich der unfassbare Inhalt von gerollten und gebündelten Geldscheinen im Wert von 10 000 Dollar befindet. Jane ist sich unschlüssig darüber, was sie damit tun soll, auch wenn es in ihrer Situation eigentlich naheliegend wäre, den Fund einfach zu behalten, doch die ehemalige Besitzerin ist eine biestige, sehr alte Frau, die in ihrer Verschrobenheit fast schon in ein David Lynch-Universum passen würde. Jane fühlt sich auf eine merkwürdige Art von ihr angezogen und beschließt, sich ihr erst einmal unverbindlich zu nähern, ohne die eigenen Motive zu enthüllen, um dann zu entscheiden, ob sie es verdient hat, das Geld zurückzubekommen.

Anfangs ist die verwitwete Dame, die sich am liebsten um ihren Garten kümmert, wenig begeistert von der schrillen jungen Frau, die sich mehr und mehr in ihr Leben drängt, aber aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz entsteht zwischen beiden eine Beziehung, in der sich offenbart, dass sie mehr gemeinsam haben, als sie dachten.

Ein wesentlicher Fakt, den Baker uns erst nach über 40 Minuten Filmzeit enthüllt, ist der Beruf, mit dem Jane ihr alltägliches Geld verdient: sie arbeitet, zusammen mit ihrer Mitbewohnerin, als Darstellerin in Porno-Filmen. Die Beiläufigkeit, mit der wir schließlich davon erfahren, wirkt tief – sie stellt bewusst die komplette Wahrnehmung der Hauptfigur durch den Zuschauer in Frage. Dachte man zu Anfang noch Jane würde aus finanzieller Not Blut spenden, lässt sich die Szene plötzlich als angeordneter HIV-Test lesen.

Bakers Intention, das alltägliche Leben in dieser Branche, die für viele die Endstation auf dem Weg nach Hollywood bleibt, zu porträtieren, entstand bei seiner Arbeit an einer scripted-reality MTV-Show, in der er, um die junge männliche Zielgruppe zu bedienen, hauptsächlich Porno-Darstellerinnen castete. Im näheren Umgang mit ihnen zeigte er sich erstaunt über das sehr gewöhnliche Leben, das diese führten, gleichzeitig erzählt sein Film auch von der schmerzlichen Einsamkeit, die sich trotz Solidarität unter den Darstellern in dieser Branche oft ergibt. Der Schauplatz, San Fernando Valley (ein Vorort von L.A.), ist schon seit den 1970ern das Zentrum der amerikanischen Pornoindustrie, wöchentlich entstehen dort rund 200 Erotikfilme.

Doch dies ist nicht der Haupt-Twist des Films — für die Beziehung zwischen Jane und der alten Sadie spielt er keine ausschlaggebende Rolle. Zwar deutet sich an, dass die verloren wirkende junge Frau auf der Suche nach einer alternativen Mutterfigur ist, doch Baker entwirft ihre Verbindung zwar gefühlvoll, aber nie sentimental. Den Respekt, welchen er allen Figuren entgegenbringt, zeigt sich darin, dass er auch Nebencharaktere nie auf einen bloßen Plot-Device reduziert, sondern ihnen Raum gibt, ebenso wie er ihre Arbeit in der Pornoindustrie von dem alltäglichen Dasein trennt oder zumindest zeigt, dass sie natürlich aus viel mehr Relationen bestehen. So gelingt Baker eine Poetik der kleinen Geschichten, die gesellschaftskritische Themen unaufdringlich in ihnen reflektiert und dem Zuschauer ihre Vielschichtigkeit gelungen vor Augen führt.
 

Starlet (2012)

Mit sonnendurchfluteten Bildern erzählt Sean Baker in fast schon neorealistischer Manier von den Schattenseiten der kalifornischen Traumfabrik, sein Fokus liegt dabei auf Schönheit und Schrecken des Alltäglichen. Es ist vor allem die Geschichte einer unwahrscheinlichen Freundschaft zwischen zwei Frauen, die das Alter trennt, aber die Verletzbarkeit verbindet, anhand derer er seinen sensiblen und angenehm undramatischen Film über die Randexistenzen des Glamours entfaltet.

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