Speed - Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (2011)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Sehnsucht nach Entschleunigung

Nach Feierabend sollte man keine Mails mehr checken. Dies ist eine Erkenntnis aus dem neuen Dokumentarfilm Speed — Auf der Suche nach der verlorenen Zeit von Grimme-Preisträger Florian Opitz (Der große Ausverkauf). Stellvertretend für seine gehetzten Mitmenschen versucht der 1973 geborene Regisseur zu ergründen, warum trotz immer neuer technischer Errungenschaften zur Zeitersparnis das Gefühl, keine Zeit zu haben, eher zunimmt. Seine augenzwinkernde Bestandsaufnahme fällt weniger tiefschürfend, als unterhaltsam aus. Opitz lässt sich von alternativen Lebensmodellen in den Schweizer Bergen, in Patagonien und Bhutan zu der Erkenntnis inspirieren, dass es Zeit wird, den Geschwindigkeitsrausch der modernen Gesellschaft nicht länger als unabänderlich zu begreifen.

Wegen des Gefühls, durch den eigenen Alltag getrieben zu werden, suchen viele Menschen Rat, wie Opitz in einem gut belegten Seminar für Zeitmanagement und im Gespräch mit einem Burnout-Therapeuten erfährt. Ein Zeitungsredakteur berichtet ihm von seinem anstrengenden, weil anachronistischen Versuch, ein halbes Jahr auf Handy und Internet zu verzichten. Ein Zeitforscher weist den Dokumentarfilmer auf den Zusammenhang von technischer Produktivität und finanziellem Gewinn hin. Immer schneller dreht Opitz das Karussell seiner im Off formulierten Kommentare und Schlussfolgerungen bis zum absurden Schleuderpunkt – der Mensch ist zu langsam, also muss er abgeschafft werden, so wie im automatisierten Börsenhandel bereits geschehen.

Die Interviews mit Fachleuten aus Wirtschaft, Journalismus und Wissenschaft bettet Opitz themengerecht in eine visuelle Präsentation, in der Zeitrafferaufnahmen die Hauptrolle spielen. Menschen und Autos wuseln, flitzen durch die Straßen, Maschinen vervielfältigen sich in Splitscreens, vom Verkehr umtobte Hochhausgruppen werden optisch so bearbeitet, dass sie wie Spielzeuglandschaften aussehen. Nach einer Weile wirkt die immer gleiche Machart der Bilder uninspiriert, aber ein gewisser Sättigungs- und Ermüdungseffekt mag durchaus beabsichtigt sein.

Denn nun sehnt man sich mit Opitz nach Alternativen und folgt ihm neugierig zu einem ausgestiegenen Investmentbanker und einer Bauernfamilie in die Schweizer Berge, sowie zum ehemaligen Textilunternehmer Douglas Tompkins nach Chile, der ein riesiges Naturreservat anlegt und langsam wachsende Bäume pflanzt. Im kleinen Himalayastaat Bhutan gipfelt diese Inspektion alternativer Lebensmodelle, die zum Teil bewundernd, zum Teil wie Kuriositäten präsentiert werden, in der Erörterung des Staatsziels Bruttonationalglück. Ein gutes Leben zu führen, wird dort explizit von der bloßen Geldvermehrung abgegrenzt.

Viele Gesprächspartner des Regisseurs erweisen sich als ausgesprochen humorvoll. Das macht ihre Ansichten und Erkenntnisse noch anregender und steigert die Empfänglichkeit für das eine oder andere philosophische Fundstück. Die assoziative, subjektive Vorgehensweise lässt es keineswegs zwingend erscheinen, wie der Autor bei der Kapitalismuskritik zu landen. Denn der Zeitdruck, von dem im Film die Rede ist, erscheint nur zum Teil als von außen diktiert. Zum anderen Teil ist er, wie einige Aussagen auch deutlich machen, ein individuelles Luxusproblem wegen der vielen Möglichkeiten, die Freizeit zu verbringen. Die Qual der Wahl wird durch das Angebot, ständig mit anderen per Internet kommunizieren zu können, nur noch verstärkt.

Dennoch thematisiert Opitz vielleicht ein Zeichen der Zeit, wenn er dafür plädiert, den gesellschaftlich erzeugten Effizienz- und Beschleunigungsdruck in Frage zu stellen und sich gedanklich mit Alternativen, selbst utopischen, zu beschäftigen. Kürzlich zeigte Carmen Losmanns Dokumentarfilm Work Hard — Play Hard, in welch groteskem Ausmaß Unternehmen versuchen, im wirtschaftlichen Wettbewerb aus Menschen die optimale Arbeitskraft herauszuholen. Und die jüngsten Berichte aus dem krisengeschüttelten Griechenland über arbeitslose Akademiker, die aufs Land ziehen, um Gemüse anzubauen, nähren die im Film gesäten Zweifel, dass permanentes Wirtschaftswachstum und urbane Lebensweise in ihrer bisherigen Form der einzige oder beste Weg einer Gesellschaft in die Zukunft bleiben müssen.
 

Speed - Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (2011)

Nach Feierabend sollte man keine Mails mehr checken. Dies ist eine Erkenntnis aus dem neuen Dokumentarfilm „Speed — Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ von Grimme-Preisträger Florian Opitz („Der große Ausverkauf“). Stellvertretend für seine gehetzten Mitmenschen versucht der 1973 geborene Regisseur zu ergründen, warum trotz immer neuer technischer Errungenschaften zur Zeitersparnis das Gefühl, keine Zeit zu haben, eher zunimmt. Seine augenzwinkernde Bestandsaufnahme fällt weniger tiefschürfend, als unterhaltsam aus.

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Meinungen

Ent Schleuniger · 01.10.2012

Sehr empfehlenswert um wieder an´s elementare denken zu kommen. Die Aussagen der Managerin von Boston Cons. hat im Kino für gelächter gesorgt. Jeder weiss das an diesem System was falsch ist, aber bisher macht jeder noch so weiter wie eingeflüstert ...
Hoffentlich helfen Filme und sonstige Kommunikation beim "erwachen" und aktive Umsetzung der individuellen Lebensgestaltungen, viel Erfolg!

noki · 28.09.2012

Ein enorm wichtiger Film!
Florian Opitz gelingt es, auf ungeheuer sympathische und persönliche Weise den Zuschauer mitzunehmen. Man kommt durch diesen Film nicht umhin, sein hektisches Leben zu überprüfen und auf die Suche nach kleinen Bremsen zu gehen.