Source Code

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Und täglich grüßt das Spiel mit der Realität

Die Erwartungen derer, die Duncan Jones preisgekrönten Erstling Moon (2009) gesehen haben, waren hoch gesteckt. Hat er sich damit doch als kreativer und technisch versierter Macher von intelligentem Science-Fiction empfohlen, der auch mit einem minimalen Budget hochklassige Arbeit abliefert. Dieser Ruf ist ihm schnell nach Hollywood vorausgeeilt. Beeindruckt darüber, was Hauptdarsteller Sam Rockwell in Moon unter Jones Regie an Schauspielkunst zeigen konnte, hat Jake Gyllenhaal ihn für Source Code als seinen Wunsch-Regisseur mit an Bord geholt und damit Duncan Jones die Möglichkeit eröffnet, mit diesem Film seine Hollywood-Taufe innerhalb von kürzester Zeit zu bestehen. Der Regisseur hat die Gelegenheit zur Talentprobe, die auf ein größeres Kino-Publikum zugeschnitten ist, durchaus zu nutzen gewusst.
Basierend auf einem Drehbuch von Ben Ripley besteht die dramaturgische Kunst hinter Source Code vor allem darin, wann welche und wie viele Informationen für den Zuschauer enthüllt werden. Sowohl Drehbuchautor als auch Regisseur haben diese Aufgabe in Story und Umsetzung des Films, der einen Großteil seines Reizes gerade auch aus seinen Plot-Twists bezieht, vorbildlich gemeistert.

Der Film hält den Zuschauer geschickt über lange Zeit auf dem Wissenstand seines Protagonisten Captain Colter Stevens (Jake Gyllenhaal). Dieser wird in seiner Wahrnehmung ganz schön hin und her geworfen, nachdem er zu Beginn verwirrt in einem Zug aufwacht. Er hat keine Ahnung, wie er dort hingekommen ist. Die Frau, die ihm gegenüber sitzt, scheint ihn gut zu kennen und nennt ihn Sean. Auch sein Spiegelbild entspricht nicht seinem Selbstbild, wohl aber dem Foto in seinem Pass, der ihn tatsächlich als Sean Fentress, von Beruf Lehrer, ausweist. Noch bevor er das Ganze irgendwie verarbeiten kann, fliegt plötzlich der ganze Zug in die Luft.

Stevens ist Teil einer militärischen Operation und wird mittels eines Computerprogramms namens „Source Code“ in die letzten Minuten des Lebens von Fentress hinein versetzt. Er hat nur acht Minuten, um seine Mission zu erfüllen, bevor die Bombe detoniert. Dabei kann und soll er nicht die Menschen im Zug retten, obwohl er gerade das vor allem wegen der Frau ihm gegenüber (Michelle Monaghan) gerne täte – doch das Attentat ist ja schon geschehen. Er soll vielmehr den Attentäter ausfindig machen, damit dessen nächster angedrohter Anschlag noch verhindert werden kann, bevor er passiert. Dafür wird Stevens immer wieder in dieselbe Situation versetzt, um mit seinem jeweils gesammeltem Vorwissen mehr und mehr herauszufinden zu können.

In Source Code trifft Und täglich grüßt das Murmeltier auf Déjà Vu – Wettlauf gegen die Zeit und moderner Science-Fiction atmet einen Hauch von Hitchcock. Die szenischen Variationen der Geschehnisse im Zug sind wie ein klassischer Mystery Thriller inszeniert. Die Filmmusik von Chris Bacon unterstützt diese Anmutung des klassischen Hollywood-Kinos. Während die Titelsequenz mit ihren Luftaufnahmen des fahrenden Zuges und der über Häuser und Straßen Chicagos schwebenden Kamera sehr viel Raum eröffnet, wird der Film im weiteren Verlauf eher zu einem Kammerspiel, das sich auf ganze drei Innenräume beschränkt: der Zugwagon, die futuristisch anmutende Zelle, in der Captain Stevens während der Operation isoliert ist und die militärische Kommandozentrale, aus der er seine Instruktionen erhält. Kaum ist Stevens gleich nach der Titelsequenz das erste Mal im Zug erwacht, nimmt Source Code den Zuschauer mit auf eine temporeiche Fahrt durch Gegenwart, Vergangenheit und parallele Realitäten. Er eröffnet filmische Spielräume der Möglichkeiten und begibt sich in das weite Feld der Mindfuck-Movies. Wenn man Filme wie Inception, Jacob’s Ladder (1991) oder Alejandro Amenábars Abre los ojos (1997) gesehen hat, erkennt man durchaus gerne verwendete Versatzstücke und Motive wieder.

Das schmälert den Unterhaltungswert aber kaum, denn Script, Inszenierung und Montage (Oscar-Preisträger Paul Hirsch) spielen ihre Karten allesamt gekonnt aus: Das wiederholte Miterleben der Ereignisse im Zug wirkt sogar beim fünften Mal noch frisch, da immer neue Blickwinkel auf die Menschen im Zug, ein jeweils erweitertes Vorwissen aufgrund dessen der Protagonist unterschiedlich agiert und ein variierter und sich steigernder Montage-Rhythmus die Aufmerksamkeit zu fesseln wissen. Zwischenzeitlich verlagert der Film zudem geschickt den Fokus weg vom Geschehen im Zug auf die Interaktion zwischen Stevens und seinen Instruktoren im Kommandozentrum. Hier werden der Story durch den undurchsichtigen Chef der Operation (leider nicht völlig überzeugend: Jeffrey Wright) und Goodwin (Vera Farmiga, die in ihrer Rolle eine erstaunliche Intensität entwickelt, obwohl sie nicht viel mehr Handlungsspielraum hat als vor einem Kontrollmonitor sitzend mit Stevens zu reden) geschickt neue Impulse und Motivationen eingeimpft. Dies verleiht dem Protagonisten mehr emotionale Tiefe und lässt gleichzeitig die Story bis zur allerletzten Wendung spannend bleiben. Die Macher von Source Code haben das Rad zwar nicht neu erfunden, wissen aber bis zum Schluss sauber die Spur zu halten, ohne dass allzu viele Zuschauer wegen der vielen Richtungswechsel abspringen werden. Eines ist in der Rezeption von Source Code sowieso vorprogrammiert: Die Diskussion über Nachvollziehbarkeit und Logik, die ein solider Mindfuck mit sich bringt.

Sicher ist auch, dass sowohl für Gyllenhaal wie auch für Jones das Kalkül hinter dem Projekt Source Code aufgehen wird: Der Schauspieler hat vielgestaltige Gelegenheit, sich nuancenreich und überzeugend in Szene zu setzen. Und der Regisseur beweist mit diesem Film all das, was nach dem Independent-Erfolg von Moon noch zu beweisen war, bevor er in den Genuss eines großen Budgets für eigene Filmpläne kommt: Er kann durchaus mehr als einen Schauspieler gleichzeitig und gut inszenieren, er kann auch anderer Leute Drehbücher stilsicher umsetzen und er weiß tatsächlich größere Budgets und Projekte zu handlen. Jones hat mit Source Code sauber abgeliefert – man kann dem Mann jetzt gerne und guten Gewissens ausreichend Geld für die Umsetzung seiner eigenen Filmprojekte anvertrauen.

Source Code

Die Erwartungen derer, die Duncan Jones preisgekrönten Erstling „Moon“ (2009) gesehen haben, waren hoch gesteckt. Hat er sich damit doch als kreativer und technisch versierter Macher von intelligentem Science-Fiction empfohlen, der auch mit einem minimalen Budget hochklassige Arbeit abliefert. Dieser Ruf ist ihm schnell nach Hollywood vorausgeeilt.
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Meinungen

Sven · 28.07.2011

Mir hat der Film extrem gut gefallen, auch wenn die Story am Anfang keinen Sinn ergibt.

Anja · 17.04.2011

Habe den Film in der Vorpremiere in Berlin gesehen. Ganz großes Kino. Hut ab vor Duncan Jones. Jake Gyllenhaal brilliant. Action, Zeitreise, bewegende Effekte, tief emotionale Momente - alles perfekt.
Der Filmrezension von Kirsten Kieninger stimme ich in vollem Umfang zu. Danke, dass Sie nicht die dramatischen Wendungen in der Handlung verraten haben!

Discostu · 22.11.2010

Und täglich grüßt das Minority Déjà Vu?