Song of my Mother

Eine Filmkritik von Falk Straub

Fremd im eigenen Land

Dass ein künstlerisches Werk aktueller nicht sein könne, ist eine (zu) häufig bemühte Feststellung, um dessen Stellenwert zu bemessen. Auf Erol Mintaş‘ zwei Jahre alte Familiengeschichte Song of My Mother trifft sie dennoch zu. Dem Konflikt zwischen Türken und Kurden und der kulturellen Zerrissenheit letzterer begegnet Mintaş mit leiser Poesie.
Das jüngste Buch des Schriftstellers Ali (Feyyaz Duman) ist Istanbuler Stadtgespräch. Allein vom Schreiben kann Ali nicht leben und so lehrt er tagsüber Türkisch an einer Schule, bevor er nach Dienstschluss den Nachwuchs in einem Kulturzentrum in seiner eigentlichen Muttersprache Kurdisch unterrichtet. Als sich Alis Mutter Nigar (Zubeyde Ronahi) ihre Wohnung im kurdisch geprägten Tarlabaşı-Bezirk nicht mehr leisten kann, zieht sie zu ihrem Sohn in ein zwar nagelneues, aber viel zu kleines Appartement in den trostlosen Betonwüsten der Vorstädte. Das alte Umfeld fehlt ihr. Täglich spricht die gebrechliche Frau davon, in ihr Heimatdorf zurückzukehren. Mit ihren Forderungen zehrt sie zunehmend an Alis Nerven. Gern lauschte Nigar etwa noch einmal der Stimme ihres liebsten Volksliedsängers, doch die Aufnahme ist beim Umzug verschüttgegangen. „Alles geht verloren“, beklagt sie sich bitterlich und meint damit freilich nicht nur die Musikkassette, sondern auch ihre eigene Kultur.

Beinahe wäre Erol Mintaş‘ Spielfilmdebüt in der Postproduktion stecken geblieben. Das nötige Geld für die Fertigstellung kratzte der Regisseur über Crowdfunding zusammen. Beim Filmfestival in Sarajevo gab es 2014 dafür gleich zwei Preise, den für den besten Film und den für den besten Hauptdarsteller. Feyyaz Duman spielt Ali mit sanfter Zurückhaltung. Die Liebe zu seiner Mutter bringt er in hauchzarten Gesten, kleinen Berührungen und Kosenamen zum Ausdruck. Mit seiner türkischen Freundin Zeynep (Nesrin Cavadzade) tut sich Ali da schon schwerer. Als sie ihm von ihrer Schwangerschaft berichtet, stößt Ali schließlich an seine Grenzen.

Song of My Mother ist ein leiser, poetischer Film. Seine politische Botschaft, die unter der langsam und unaufdringlich inszenierten Familiengeschichte stets mitschwingt, vermittelt Regisseur und Drehbuchautor Erol Mintaş zwischen den Zeilen. Dass sein Protagonist sowohl Türkisch als auch Kurdisch unterrichtet, fließend zwischen den Sprachen wechselt und in seiner Muttersprache schreibt, ist eine der vielen gelungenen Metaphern dieses Films. Sprache ist hier stets Heimat und die Sehnsucht nach dieser. Das titelgebende Lied, nach dem Nigar den ganzen Film über sucht, steht dafür ebenso sinnbildlich wie Alis Wechseln zwischen den Welten. Es ist eine Herkunft, unter der die Protagonisten auch leiden. Die Schikane der Behörden bekommt Ali mehrfach zu spüren.

Ganz zu Beginn erzählt er seinen Schülern eine Geschichte. Nicht in Istanbul, nein, 20 Jahre früher in seinem Heimatort Doğubeyazıt, im äußersten Osten der Türkei nahe der iranischen Grenze. Die Geschichte handelt von einer Krähe, die sich mit Pfauenfedern schmückt, weil sie den bunten Vögeln die Schönheit neidet. Doch ihre hässliche Stimme verrät die Krähe. Wer die Fabel kennt, die auf den Griechen Aesop zurückgeht, weiß, dass es kein gutes Ende für die Betrügerin nimmt. Die Moral ist simpel: Schmück dich nicht mit fremden Federn! In Alis Version, die er seinen Schülern unter liebevollem Körpereinsatz nahebringt, erhält die Geschichte einen ganz anderen Dreh. Hier sind die schönen Vögel vor allem stolz und eitel. In einer Nation, in der die Pfauen regieren und die Kultur der Krähen belächeln, scheint den Krähen häufig gar nichts anderes übrig zu bleiben, als sich als Pfau zu verkleiden.

Song of my Mother

Dass ein künstlerisches Werk aktueller nicht sein könne, ist eine (zu) häufig bemühte Feststellung, um dessen Stellenwert zu bemessen. Auf Erol Mintaş‘ zwei Jahre alte Familiengeschichte „Song of My Mother“ trifft sie dennoch zu. Dem Konflikt zwischen Türken und Kurden und der kulturellen Zerrissenheit letzterer begegnet Mintaş mit leiser Poesie.
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