Sommer der Gaukler

Eine Filmkritik von Tim Slagman

Faszinierend, irritierend, vielfältig, beliebig – was für ein Theater!

Bei Marcus H. Rosenmüller, dem wesentlichen Protagonisten des neuen Heimatfilms, geht es diesmal ums Ganze. Um die Geschichte des Theaters, um die Filmgeschichte, um die Popkultur und das bayerische Landleben sowieso, und immer wieder darum: Wie viel Leben, wie viel Wahrheit steckt in der Kunst – und umgekehrt?
Nun ist Rosenmüller kein abstrakter Grübler, genauso wenig wie seine Hauptfigur Emanuel Schikaneder (Max von Thun). Eher lieben beide die Kunst ob ihrer Verführungskraft, der gleich zu Beginn auch Schikaneders Kollege Wallerschenk (Nicholas Ofczarek) zum Opfer fällt. Im Glauben, Schikaneders Leben sei in Gefahr, verspricht Wallerschenk ihm auch weiter seine Dienste auf der Bühne. Denn Schikaneder ist Chef einer fahrenden Theaterkompanie anno 1780, Wallerschenk neben Schikaneders Frau Eleonore (Lisa Maria Potthoff) sein wichtigster Mitdarsteller und – eigentlich bereit, alles hinzuschmeißen. Denn Mozart ist zur jüngsten Aufführung nicht erschienen, wieder nicht. Und so macht der Berg sich auf zum Propheten, die Kompanie ersucht in Salzburg vergeblich um eine Spielerlaubnis und strandet in einem Provinzkaff kurz vor der österreichischen Grenze.

Mit großer Souveränität verleiht Rosenmüller über weite Strecken des Films jeder einzelnen Szene ihre eigene Stimmung und verortet sie in einer je anderen Genretradition. Im klassischen Melodram etwa, wenn Wallerschenk in der einsamen Weite des Waldes Eleonore seine Liebe gesteht. Im Slapstick, wenn Schikaneder derselben Frau in der Enge des Gasthauszimmers zu entfliehen sucht, weil er das Geld der Kompanie längst aufgebraucht hat und kein neues Stück in Sicht ist. Im Musical, wenn die beim Ausbeuter Paccoli angestellten Bergleute sich zu revolutionärer Marschlinie formen und einem der ihren die Anführerschaft singend aufzwingen wollen. Dieser arme Kerl, ein Allgäuer namens Vester (Maxi Schafroth), hat nämlich versehentlich den verhassten Vorarbeiter umgehauen und sich obendrein noch in Paccolis Tocher verliebt. Als Schikaneder diese Geschichte zu Ohren kommt, fühlt er sich phänomenal inspiriert, zu einem „Weltentheater“ gar: Unglückliche Liebe, die Suche nach Gerechtigkeit, ein Außenseiter-Held, eine Prise Gewalt dazu: ganz großes Drama!

Doch genau wie dieser Stoff und seine Verwicklungen in der dann doch eher kleinen Dorfwelt den Schikaneder ins Straucheln bringen, verliert Rosenmüllers Film die Extraprise Originalität, die ihn zu Beginn ausgezeichnet hatte. Da bestanden noch die beiden Möglichkeiten, Vesters parallel erzählte Geschichte könne wahr sein oder Fiktion, erlebt oder ausgedacht und Rosenmüller tat gut daran, zu zeigen: Welchen Unterschied macht das schon? Was zunächst als stilistische Vielfalt beeindruckte, scheint später wie ein Bruch: Das zweite Singspiel im Film etwa irritierte eher, als dass es faszinierte.

Spätestens im dann doch wieder temporeichen Finale buchstabiert Rosenmüller seine Intention überdeutlich aus: Bauerntheater zu machen, das nichts von provinzieller Dumpfheit hat, und Hochkultur so zu inszenieren, dass sie die Herzen noch der Ungebildeteren öffnet, statt sie vor den Kopf zu stoßen. Den ganz großen Werken der ganz großen Meister ist dies gelungen – und neben Mozart, der hier ein herrlich unspektakulärer Hallodri im Sinne Shaffers und Formans ist, findet auch Shakespeare viel Platz im Film. Bei Max von Thun hingegen wird aus der realen Person Schikaneders, der das Libretto zur Zauberflöte verfasste und das „Theater an der Wien“ gründete, eine bis ins gestische Detail nachempfundene Hommage an Johnny Depps Piratenkapitän Jack Sparrow. Sommer der Gaukler ist zum Bersten voll von solchen Referenzen – und tatsächlich kommt der Film an einen Punkt, an dem diese Opulenz ihn in Stücke sprengt.

Sommer der Gaukler

Bei Marcus H. Rosenmüller, dem wesentlichen Protagonisten des neuen Heimatfilms, geht es diesmal ums Ganze. Um die Geschichte des Theaters, um die Filmgeschichte, um die Popkultur und das bayerische Landleben sowieso, und immer wieder darum: Wie viel Leben, wie viel Wahrheit steckt in der Kunst – und umgekehrt?
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Meinungen

Joppie · 03.01.2012

Sensationell!!! Was mein Vorgänger schreibt kann ich sowas von absolut nicht nachvollziehen. Was für ein Ideenreichtum, welch Originalität.

kreibich · 31.12.2011

einer der schlechtesten filme die ich je gesehen habe. kann jedem nur empfehlen nicht ins kino zu gehen um diesen schrott anzusehen. spart euch das geld anderes.

Felizitas von Schönborn · 24.12.2011

Maxi Schafroth - eine grossartige Entdeckung!

Schröck Hans · 20.12.2011

Komme gerade aus der Vorpremiere und bin schwer beeindruckt. Noch immer laufen die Bilder im Kopf weiter und dem Rosenmüller ist hier ohne Zweifel ein Kunstwerk gelungen. Was hier an genialer Schauspiel-Leidenschaft abgeliefert wurde, zeugt jedenfalls von perfekter Regie-Arbeit. Das Betriebsklima muß außergewöhnlich gut gewesen sein, die Ernsthaftigkeit, mit der hier Komödiantentum zelebriert wird, ist ein wahrer Genuß: hoffentlich wird dieser Film ein Riesenerfolg! Endlich wieder mal Unterhaltung aus Bayern mit Niveau. . .

Anette · 19.12.2011

großartig besetzt ,
einfach großartig tolle Bilder
einfach grandios

Johannes23 · 24.11.2011

Habe mich vor Wochen in eine Pressevorführung geschlichen und muss sagen: Ein wirklich ganz, ganz toller Film. Originell und opulent. Habe keine Ahnung, wann dieser Film gedreht wurde, war doch gerade erst "Sommer in Orange" vom Rosenmüller in den Kinos. Verstehe auch nicht ganz, warum beide Filme so ähnliche Titel haben. Aber egal, "Sommer der Gaukler" ist richtig grosses Kino und ungemein unterhaltsam und ein Max von Thun, der zugegeben an Jack Sparrow erinnert, aber herrlichen Spass macht. Doch besser gut geklaut (oder gute Hommagen) als schlechte Neuerfindungen von Charakteren.

Ollo · 17.11.2011

i gfrei mi scho narrisch