Solaris (1972)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Die Abgründe der menschlichen Wahrnehmung

Dass der berühmte polnische Science Fiction Autor Stanisław Lem (1921-2006) nicht nur Schriftsteller, sondern vor allem Philosoph war, ist der gedanklichen Komplexität auch seiner fiktiven Werke deutlich anzumerken. Sein utopischer Roman Solaris von 1961 gilt längst als Klassiker des Genres, der vom sowjetischen Regisseur Andrej Tarkowskij verfilmt wurde und 1972 in Cannes im Rennen um die Goldene Palme antrat, wo er schließlich den FIPRESCI Preis sowie den Großen Preis der Jury gewann. Auch wenn das gleichnamige Remake von Steven Sonderbergh aus dem Jahre 2002 mit George Clooney in der Hauptrolle, das im Wettbewerb der Berlinale antrat, durchaus erfolgreich war, transportiert Solaris von Andrej Tarkowskij bei weitem deutlicher die Vielschichtigkeit der bewegenden Geschichte um Wahrnehmung, Erkenntnis und Wahrheit.

Als sich die Berichte von der Raumstation auf dem Planeten Solaris zunehmend sonderbar ausnehmen, wird der Psychologe Kris Kelvin (Donatas Banionis) beauftragt, den befremdlichen Ereignissen dort auf den Grund zu gehen. Kelvin, der seit dem Suizid seiner Frau Hari von Schuldgefühlen geplagt wird, ist sich durchaus der Verantwortung bewusst, die der Bericht seiner Mission für das Fortbestehen der Erforschungen dieses sphärischen Ozeans im Weltall haben wird. Doch als der Astronaut Berton (Wladislaw Dworshezki), der bereits auf Solaris forschte, am Tag vor der Abreise Kelvins Vater (Nikolai Grinko) in der Absicht besucht, Kelvin zu beeinflussen, verweigert sich der Psychologe jeglicher Voreingenommenheit.

Bei seiner Ankunft auf der Raumstation wird Kelvin rasch klar, dass diese sich in einem desolaten Zustand befindet. Von der zuvor umfangreichen Mannschaft sind lediglich die Wissenschaftler Dr. Snaut (Juri Jarwet) und Dr. Sartorius (Anatoli Solonizyn) übrig, die ein seltsam furchtsames Verhalten an den Tag legen. Zudem findet Kelvin eine an ihn gerichtete Videobotschaft seines Freundes Dr. Gibarian (Sos Sarkissjan) vor, der in großer Bedrückung den Freitod wählte und darin zu erklären versucht, welch verheerenden Einfluss die Atmosphäre des Planeten auf die Psyche der Forscher ausübt. Von dieser sonderbaren Macht, die sich je nach Persönlichkeit ganz unterschiedlich auf die Astronauten auswirkt, wird auch Kelvin bald ergriffen, denn plötzlich sieht er sich mit der Verkörperung seiner verstorbenen Frau Hari (Natalia Bondartschuk) konfrontiert, die ihn fortan hartnäckig begleitet …

Solaris stellt eine starke, tiefgründige Parabel über die komplizierte Verflechtung von materiellen und ideellen Zuständen dar. Dem mächtigen Planeten wird die Fähigkeit zugeschrieben, aus den Gedanken der dort weilenden Menschen materielle Ausformungen zu erzeugen, deren Erscheinen zu einem Zustand gewaltiger Verwirrtheit führt. Was ist die Wirklichkeit, was lediglich ihr Abbild oder eine Halluzination? Diese existentielle philosophisch-psychologische Frage beherrscht mit unbarmherziger Melancholie diese bewegende Geschichte, die in überwiegend geruhsamen Bildern, flankiert von mitunter rasanten Brüchen, die zentralen Geheimnisse der menschlichen Existenz wie Glück, Liebe und Tod fokussiert.

Zudem wird das Bestreben einer ehrgeizigen Wissenschaft, Erkenntnis auch jenseits moralischer Betrachtungen um jeden Preis zu fordern, kritisch hinterfragt und einer positivistischen Ausrichtung eine deutliche Absage erteilt. Denn letztlich, so könnte man die Haltung von Regisseur Andrej Tarkowskij beschreiben, ist es die Unauslotbarkeit der humanen Beschaffenheit vor allem im Hinblick auf die ungewisse Todesstunde, die ihr im Grunde den Hauch der Unendlichkeit verleiht. Auch wenn diese Position zunächst widersprüchlich anmuten mag, verweist gerade diese scheinbare Unvereinbarkeit erneut auf das Spannungsfeld von Materie und Gedanklichkeit als mächtige Komponente des Daseins.

Unter den Extras auf der DVD ist eine ausführliche, äußerst anregende philosophische Lektion von Dr. Michael Rosenhahn zu finden, innerhalb welcher der Informationstheoretiker mit sanfter, verschmitzter Ironie die ontologischen Komponenten des Films diskutiert. Im Lichte dieser Ausführungen ist es einmal mehr spannend, die Aspekte von Sein und Bewusstsein, die Solaris sehr ambivalent thematisiert, noch einmal Revue passieren zu lassen.
 

Solaris (1972)

Dass der berühmte polnische Science Fiction Autor Stanisław Lem (1921-2006) nicht nur Schriftsteller, sondern vor allem Philosoph war, ist der gedanklichen Komplexität auch seiner fiktiven Werke deutlich anzumerken.

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