Solange du hier bist

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Von der menschlichen Einsamkeit und ihren Ausnahmen

Bei dem Spielfilmdebüt des jungen Regisseurs Stefan Westerwelle, der sich bislang überwiegend an Kurzfilmen übte, handelt es sich um seinen Abschlussfilm an der Kunsthochschule für Medien in Köln. Premiere hatte Solange du hier bist auf dem Internationalen Filmfestival von Locarno 2006 innerhalb der neu eingerichteten Rubrik „Filmmakers of the Present“. Im Anschluss daran hat der deutsche Filmemacher mit seinem Erstling im Gepäck international über 30 Festivals besucht und ist auch mehrfach ausgezeichnet worden, dabei gestaltet sich die Geschichte einem Zwei-Personen-Stück gleich nicht etwa spektakulär, sondern weiß vielmehr durch leise Töne und die Perspektive ungewöhnlicher Intensitäten zu überzeugen.
Georg (Michael Gempart) ist ein älterer Mann, der in seinem kleinen, gemütlich nach seinen schlichten Bedürfnissen eingerichteten Haushalt ein recht einsames Leben mit wenig sozialen Kontakten führt. Allein fühlt sich Georg meistens nicht, denn er schafft sich bei Bedarf aus Erinnerungen und Vorstellungen ein bescheidenes Universum aus gedanklichen Geselligkeiten, die seinen Alltag ein wenig bevölkern. Wenn allerdings der junge, hübsche Sebastian (Leander Lichti) bei ihm zu Besuch ist, zelebriert Georg das wie einen Feiertag, denn die seltene und zeitlich begrenzte Anwesenheit des versponnenen Strichers, für die er bezahlen muss, bedeutet für ihn die größte Freude in seinem kargen Dasein. Und das nicht nur der sexuellen Wonnen, sondern auch der Wärme des fabulierfreudigen Wesens Sebastians wegen, von dem er sich heftig angezogen fühlt.

Eines Tages erscheint Sebastian recht verloren und verwirrt bei Georg und bittet ihn, jenseits der gewöhnlichen finanziellen Vereinbarungen für die Stunden des Beisammenseins bei ihm übernachten zu dürfen. Für den älteren Mann erfüllt sich damit ein längst insgeheim gehegter Traum, er ist sorgsam darum bemüht, es seinem Gast so schön wie möglich zu machen und erhofft sich eine Nähe, die über die übliche Konstellation ihrer Beziehung hinausgeht. Doch Sebastian ringt offensichtlich mit einer schweren Krise, und Georgs Annäherungen scheitern nicht nur, sondern es kommt zum Zerwürfnis, das den einsamen Mann in tiefer Traurigkeit zurücklässt. Bald darauf taucht Sebastian jedoch wieder auf, und dieses Mal wird sein Besuch zu einem ganz besonderen Erlebnis, für beide Männer, auch wenn es ein Abschied sein soll …

Thematisiert Solange du hier bist auch vordergründig die zunächst nach klaren Vereinbarungen strukturierte Beziehung eines jungen Prostituierten zu seinem älteren, vereinsamten Freier, so gelingt Stefan Westerwelle damit gleichermaßen eine zärtliche Liebeserklärung an die kostbaren, raren Augenblicke und Weilen im Leben, die es mit ihrer Intensität und Innigkeit vermögen, der menschlichen Kreatur in ihrer letztlichen Abgeschlossenheit eine ersehnte Nähe und bleibende Verbindung zu bescheren, die es vermag, ihre gewaltige Verlorenheit zu ertragen. Ein kleiner, doch feinfühliger, warmer Film, der es versteht, den Zuschauer durch die Konzentration auf die feinen Nuancen im Miteinander zweier so unterschiedlicher Einzelgänger sanft zu berühren.

Solange du hier bist

Bei dem Spielfilmdebüt des jungen Regisseurs Stefan Westerwelle, der sich bislang überwiegend an Kurzfilmen übte, handelt es sich um seinen Abschlussfilm an der Kunsthochschule für Medien in Köln.
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Meinungen

t.g. · 26.11.2007

schöner film! einzigartig und mutig! Wie alt ist der Regisseur? 27 Jahre? Krass!

t.willms / essen · 22.11.2007

Die Einfühlsamkeit und die Zärtlichkeit, mit welcher der Film es wagt an sein heikles Thema zu gehen, hebt ihn unter den vielen Debütfilmern hervor! Er berührt mich. Die formale Strenge ist konsequent, mutig und wirklich "bis ins letzte Detail" überzeugend.
Die Banalität des Alltags wird ohne Pathos in poetische Höhen gezwirbelt ohne Kitsch oder Verromantisierung. Westerwelle gelingt es, mit den einfachsten Mitteln eine komplexe Welt zu erfassen und traut sich, die Schönheit zu entdecken und sie für jeden Zuschauer sichtbar zu machen.
Erstaunlich wie daraus eine Liebeserklärung an den deutschen Film, das Leben und die Menschen erwächst. Sie läßt die Grenzen von Sexualität und Alter lächerlich erscheinen. Ein sehr reifes, großes kleines Meisterwerk.
(Ich bitte meine Überschwenglichkeit zu entschuldigen, aber der Film bewegt mich noch jetzt, ca. 2 Stunden nach Aufführung)

Patrick Held · 22.11.2007

Für mich ein Wahnsinnsding. Manchmal mag man ja am deutschen Film verzweifeln, aber dieser film hebt dieses auf und läßt einen hoffnungsfroh in die zukunft deutschen filmemachens blicken.

rene reimers · 04.11.2007

Wow. Mal wieder eine sehr sehenswerte Entdeckung der Programmacher des studio-kinos.

Svenja · 17.10.2007

tief bewegend und zu Tränen rührend