Sofia's Last Ambulance (2012)

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Raumkapsel Krankenwagen

Dies ist nicht der letzte Rettungswagen, der in der bulgarischen Hauptstadt unterwegs ist. Doch Krassi, Mila und Plamen gehören zu den letzten ihrer Art. In 48-Stunden-Schichten sind der Arzt, die Krankenschwester und der Fahrer in den Straßen Sofias unterwegs. Nicht nur die Schlaglöcher, die Fahrer Plamen zu umschiffen versucht, sind Hindernisse bei ihrer Mission. Dr. Krassimir Jordanov und Schwester Mila kämpfen nicht nur um Menschenleben, sie müssen sich auch mit den Absurditäten eines maroden Gesundheitssystems herumschlagen. In der Millionen-Metropole sind nur dreizehn Rettungswagen im Einsatz. Der Filmtitel Sofia’s Last Ambulance ist also gar nicht so weit von der Realität entfernt. Der Dokumentarfilm, der dahinter steht, ist sogar ganz nah dran. Und das nicht im Stile einer reißerischen 24h-Die-Reporter-wir-sind-dabei-Dokumentation, wie sie mit dieser Thematik gerne über den Bildschirm flimmert, sondern als formal kunstfertiger Dokumentarfilm, wie man ihn sich auf der Kinoleinwand wünscht.

Beim 55. Internationalen Leipziger Festival für Dokumentar- und Animationsfilm war Sofia’s Last Ambulance auf der großen Leinwand zu sehen und wurde im Internationalen Wettbewerb mit der Silbernen Taube ausgezeichnet. Der Film ist das Langfilm-Debüt von Regisseur Ilian Metev, unter anderem finanziert mit dem Preisgeld, das der Bulgare 2008 im DOK Leipzig Nachwuchswettbewerb für seinen kurzen Dokumentarfilm Goleshovo gewann.

Für Sofia’s Last Ambulance drehte Metev über zwei Jahre hinweg im kleinen Team: er selbst mit der Kamera und ein Tonmann. Der Film verdichtet das Material auf 75 Minuten, die den Zuschauer mitnehmen in die Raumkapsel Krankenwagen, hinein in den Kosmos der Protagonisten. Die Kamera fokussiert dabei die Gesichter der drei. Im Rettungswagen sitzt Plamen am Steuer, Krassi am Fenster und Mila zwischen den beiden. Die Kamera sitzt am Armaturenbrett, mal dem einen, mal der anderen gegenüber und dokumentiert – der Technik sei dank – nicht das Gerüttel der Schlaglöcher, sondern in statischen, langen Nahaufnahmen die Gesichter, jedes einzelne gezeichnet vom harten Job. Man kann lange schauen in diese Gesichter. Unsere Helden reden nicht viel, sie kämpfen gegen die Müdigkeit und mit den Umständen. Ihre Minen sprechen Bände. Krassi raucht Kette und blickt nachdenklich aus dem Fenster. Plamen reißt die Augen auf und sieht verträumt in die Nacht, wenn er nicht gerade Gas geben muss. Mila ist die kommunikative Seele zwischen den beiden.

Die drei sind ein eingespieltes, sehr sympathisches Team. Ihren Humor haben sie alle noch nicht verloren. Den können sie auch dringend gebrauchen, angesichts ihrer Tour de Force durch die Schlaglöcher und Außenbezirke der Metropole, geleitet durch einen Sprechfunk, auf den nicht immer Verlass ist. Wie abgekoppelte Astronauten in einem Raumschiff bewegen sich die drei durch den fremden Planeten Stadt. Sie haben Begegnungen der dritten Art mit Drogenabhängigen, Betrunkenen, Simulanten und Verstorbenen. Sie retten Menschenleben, werden Zeuge von Schicksalen und Blitzableiter für die Wut aufs marode System. Auch bei ihren Einsätzen bleibt die Kamera immer ganz auf ihnen, auf ihren Reaktionen. Es schiebt sich höchstens mal ein Hinterkopf ins Bild, wenn der renitente Betrunkene sich auf der Bahre aufbäumt, obwohl ihm Mila energisch befiehlt, sich nicht zu bewegen.

Die Situationen erzählen sich oftmals nur durch die Tonspur. Konsequent bleibt der Film dabei: wir erfahren nichts, außer dem, was Bild und der dazugehörige Originalton liefern. Der Film „erzählt“ nichts über seine Protagonisten, und doch stellt sich das Gefühl ein, drei außergewöhnlichen Persönlichkeiten nähergekommen zu sein, die inmitten einer harten und unwirtlichen (Arbeits-)Welt ihren Humor und ihre Warmherzigkeit nicht verloren haben.

Sofia’s Last Ambulance ist ein herausragendes Beispiel dafür, wie mit der Wahl der richtigen Protagonisten, formaler Konsequenz und einem erzählerischen Standpunkt ein Film entstehen kann, der gerade durch seine dokumentarische Reduktion einen Kosmos eröffnet und damit Raum schafft für die Realität jenseits der Bildkante – und für die Phantasie des Zuschauer. Damit ist der Gewinner der Silbernen Taube fast so etwas wie ein Gegenentwurf zum Gewinner der Goldenen Taube: Colombianos schöpft formal aus dem Vollen wie ein Spielfilm und nimmt den Zuschauer dramaturgisch dicht bei der Hand. So smooth wie Colombianos auf der Leinwand abrollt, so spröde kommt Sofia’s Last Ambulance daher. Es gilt zu hoffen, dass er nicht einer der letzten seiner Art ist.
 

Sofia's Last Ambulance (2012)

Dies ist nicht der letzte Rettungswagen, der in der bulgarischen Hauptstadt unterwegs ist. Doch Krassi, Mila und Plamen gehören zu den letzten ihrer Art. In 48-Stunden-Schichten sind der Arzt, die Krankenschwester und der Fahrer in den Straßen Sofias unterwegs. Nicht nur die Schlaglöcher, die Fahrer Plamen zu umschiffen versucht, sind Hindernisse bei ihrer Mission. Dr. Krassimir Jordanov und Schwester Mila kämpfen nicht nur um Menschenleben, sie müssen sich auch mit den Absurditäten eines maroden Gesundheitssystems herumschlagen.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen