Sleepless Night - Nacht der Vergeltung

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Aristoteles mit geklauten Drogen im Nachtclub

Dass Cops sich mal gerne an beschlagnahmtem Rauschgift bedienen, gehört schon zu den Topoi des Polizeifilms – seltener kommt es vor, dass sie gleich handgreiflich zur Sache schreiten und einen Drogentransport gleich selbst überfallen. Vincent (Tomer Sisley) und Manuel (Laurent Stocker) machen es wohl aus Geldnot; beide haben wohl so einiges an Schulden angehäuft. Und wie es sich für einen Thriller gehört, geht der Coup natürlich gehörig schief: Es gibt Tote, Vincent wird nicht nur verwundet, sondern auch von dem Kurier erkannt, der erfolgreich die Flucht ergreift.
Und während Vincent und Manuel am nächsten Morgen zum Tatort ihres eigenen Verbrechens gerufen werden,lässt Marciano (Serge Riaboukine) Vincents Sohn Thomas (Samy Seghir) entführen: der Großdealer steht selbst unter Druck, weil das Kokain verschwunden ist, das seine Leute für einen Geschäftspartner heranbringen sollten. Vincent nimmt, gegen Manuels Widerstand, das Kokain an sich und will es Marciano in dessen Nachtclub zurückgeben; aber damit setzt er eine ganze Kette von Ereignissen in Gang, die rasch keiner der Beteiligten mehr unter Kontrolle hat.

Sleepless Night, im Original Nuit Blanche (also „Weiße Nacht“), zeichnet sich von diesem Moment an durch eine geradezu aristotelische Beschränkung von Ort und Zeit auf: Handlungsort bleibt bis kurz vor Schluss der Club mit seinen verschiedenen Funktionsräumen, Gängen, Bars, Separées und Tanzebenen, und alles spielt sich im Laufe der titelgebenden Nacht ab, in der Vincent nicht nur nicht zum Schlafen, sondern überhaupt nicht zur Ruhe kommt. Fast ohne Unterlass ist er in Bewegung, stets zwischen Flucht und eigener Initiative wechselnd. Die Verdichtung wirkt hier wie ein Dampfkochtopf, in dem erst die Abgeschlossenheit den Druck und die Temperatur erzeugt, die alles zum Kochen bringt.

In Gang gehalten wird die über 100 Minuten dauernde Erregungsmaschinerie zudem durch eine Reihe von Nebenfiguren, die auf unterschiedliche – aber für den Zuschauer fast immer sofort durchschaubare – Weise in das Geschehen verstrickt sind: vor allem ein weiterer korrupter Cop (Julien Boisselier), die diversen Handlanger von Marciano und eine junge, überambitionierte Polizistin (Lizzie Brocheré).

Sleepless Night entwickelt seine Stärken, wenn er in Flucht- und Kampfszenen die Enge in seine Bilder fasst; Kameramann Tom Stern, der viel mit Clint Eastwood arbeitet und aktuell bei Die Tribute von Panem – The Hunger Games hinter der Kamera stand, bindet den Zuschauer hier eng ins Geschehen ein. Wenn dann die Kamera direkt vor Tomer Sisley zu hängen scheint, wirkt das allerdings wie ein abgemilderter Versuch, die Ästhetik und Hektik von Crank aufzunehmen. Dem Film von Neveldine/Taylor kann Regisseur Frédéric Jardin in seinem Erstlingswerk allerdings nicht das Wasser reichen: Dafür ist Sleepless Night nicht kompromisslos und überdreht genug.

Aber eigentlich möchte Jardin natürlich auch woanders hin (er hat auch am Drehbuch mitgewirkt): sein Vincent ist ja kein Egomane wie Chev Chelios aus Crank, sondern ein Vater, der zwar seine Sünden nicht wirklich bereut, aber auch offenbar keine Skrupel hat, zur Rettung seines Sohnes reichlich neue zu begehen. Der Film leidet aber letztlich darunter, dass dem so umschriebenen Charakterskelett kein wirkliches Fleisch zugefügt wird: Vincent bleibt so recht farblos, und all die Nebenfiguren erst recht. Da ist niemand, den man wirklich kennenlernen, mit dem man mitfiebern oder den man zu hassen beginnen würde: Alle sind etwa gleich egal. Sogar die ahnungslose junge Polizistin mit ihrem Gerechtigkeitssinn bleibt eine hübsch anzusehende Leerstelle.

Das macht dann Sleepless Night zu einem sehr überspannten Adrenalinbehältnis, in dessen hektischer Bewegung auch das Gefühl für den eng begrenzten Raum verloren geht, in dem sich die Handlung abspielt. Nie bekommt man ein Gefühl dafür, was wo ist und wie zueinander liegt. Und auch die Verwicklungen, in denen natürlich Polizisten und Gangster sich aufs Engste vermischen, sind dann eben doch nur erwartbar, sprich: genretypisch eng. Da ist keine Spannung und soll wohl auch keine aufkommen.

Stattdessen entwickelt sich ein Katz-und-Maus-Spiel, in dem die Tasche mit dem Kokain als veritables MacGuffin immer irgendwo herumliegt, aber wo: das ist eigentlich nicht so wichtig wie das Durcheinander drumherum, durch das Vincent – zweifellos mit Durchhaltevermögen, aber selten mit Durchblick – hindurchjagt und -stolpert, den Zuschauer immer im Schlepptau.

Sleepless Night - Nacht der Vergeltung

Dass Cops sich mal gerne an beschlagnahmtem Rauschgift bedienen, gehört schon zu den Topoi des Polizeifilms – seltener kommt es vor, dass sie gleich handgreiflich zur Sache schreiten und einen Drogentransport gleich selbst überfallen. Vincent (Tomer Sisley) und Manuel (Laurent Stocker) machen es wohl aus Geldnot; beide haben wohl so einiges an Schulden angehäuft.
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