Sinbad - Herr der sieben Meere

Eine Filmkritik von Rajko Burchardt

Sindbad, der Schlangenflüsterer

Wer diese herzzerreißend stieselige Verwurstung der bekannten Sindbad-Erzählung zirka 1990 und vor allem in einem bestimmten Alter auf Video gesehen hat, dürfte sie vielleicht als aufwändiges Abenteuerepos in Erinnerung haben, dessen Schauwerte sich im Rückblick zu einem farbenfrohen Spektakel von höchsten Unterhaltungsgnaden verdichten. So zumindest erging es mir, der den Film einst mit großen Augen und dann für lange Zeit kein weiteres Mal bestaunte. Wagt man sich allerdings 25 Jahre später erneut an Sinbad – Herr der sieben Meere, der jetzt in Deutschland zum ersten Mal auf DVD und Blu-ray erscheint, kann die einstige Begeisterung über ihn nur bedauerlicher Ernüchterung weichen. Zugleich aber legt sie den Blick frei auf einen Film, der als italoamerikanische Genrekuriosität vielleicht zu den letzten seiner Art zählt. Und der schon bei seiner erst mehrere Jahre nach Fertigstellung der Dreharbeiten geglückten Veröffentlichung wirken musste, als sei er vollkommen aus der Zeit gefallen.
Blanken Irrsinn versprüht bereits die anfängliche Laufschrift. Ihr zufolge basiert der Film nicht auf den Märchen aus Tausendundeiner Nacht, wie es der Titel eigentlich nahe legt, sondern Edgar Allan Poes Kurzgeschichte The Thousand and Second Tale of Scheherazade. Sie galt 1845 als Mischung aus Verballhornung und Fortsetzung der gerahmten Schachtelgeschichten, hat mit ihrer vermeintlichen Adaption jedoch allenfalls insoweit zu tun, als sie ebenfalls an die berühmte Märchensammlung anknüpft. Tatsächlich aber plündert der Film eher aus dem britischen Fantasy-Klassiker Der Dieb von Bagdad und orientiert sich eben doch entsprechend deutlich an der Originalerzählung um Sindbad, dessen sieben Reisen hier verkürzt und in einen anderen Erzählzusammenhang gesetzt werden. Die episodische Struktur ist gleichwohl erhalten geblieben, nur bekommt es der Seefahrer jetzt ganz einfach mit einigermaßen zeitgemäßen Genremonstern zu tun.

Der Titelheld, gespielt vom früheren Bodybuilding-Champion, Schwarzenegger-Widersacher und Hulk-Darsteller Lou Ferrigno, muss sich hier nun gegen ein Steinmonster aus Pappmaché, Geister in Ritterrüstung sowie schleimbesudelte Zombies zur Wehr setzen, die dem sinistren Magier Jaffar angehören. Er, der Wesir des Kalifen, hat die Hafenstadt Basra in Beschlag genommen und deren magische Steine an die, so heißt es, schrecklichsten Orte der Welt verbannt. Jaffar, der den britischen Schauspieler John Steiner als Tyrann mit weit aufgerissenen Kajalaugen und extralangen Fingernägeln an den alleräußersten Rand des Overacting-Wahnsinns treibt, stiehlt dem grandios überforderten Sindbad vollständig die Show: Er hat einen Apparat gebaut, mit dessen Hilfe er den Willen der schönen Prinzessin Alina (Alessandra Martines, auch bekannt als Prinzessin Fantaghirò) zu brechen gedenkt. Dieses Gerät muss man sich als eine Art Dialysemaschine in Discooptik vorstellen – und es passt ganz wunderbar zum Labor (?) Jaffars, das wie ein ungenutztes Produktionsset aus dem Cannon-Flop Masters of the Universe aussieht.

Cannon Films ist dann auch tatsächlich das verantwortliche Studio hinter Sinbad – Herr der sieben Meere, mit dem sich die allmählich bankrotte Filmgesellschaft einen Verkaufsschlager ähnlich der ebenfalls um Lou Ferrigno herum konzipierten 1983er-Version von Hercules erhoffte. Luigi Cozzi alias Lewis Coates wurde erneut als Regisseur angeheuert, musste das Projekt aber Enzo G. Castellari übergeben, der Cozzis Drehbuch kräftig umschrieb und aus dem Film plötzlich eine TV-Miniserie basteln sollte. Gerüchten zufolge lag das sechs Stunden Laufzeit umfassende Material dann für einige Jahre in der Schublade, ehe die Produzenten sich wiederum an Cozzi wandten. Ihm wurde nun aufgetragen, die besten Szenen neu zu ordnen und um eine mit Daria Nicolodi als Erzählerin gedrehte Rahmenhandlung zu ergänzen – inklusive schließlich wild hineinmontierten Archivmaterials seines eigenen Hercules und notdürftig in der Nachproduktion hergestellter Spezialeffekte. Den Regie-Credit bekam dennoch Castellari.

Wenig verwunderlich also, dass diese Produktionsgeschichte diversen inhaltlichen Absonderlichkeiten den Weg ebnet, oder dabei Nebenfiguren munter aus der Handlung des Films purzeln (etwa die Bodybuilderin Teagan Clive, deren Rolle des Jaffar-Sidekicks Soukra ursprünglich wohl deutlich mehr Raum einnahm). Auch wechselt Sindbads Garderobe immer mal wieder aus unerklärlichen Gründen von lilafarbenen Stretchhosen zu hübschen Schlüpfern, von feschen Seidenwesten zum eingeölten Adamskostüm (nur sein Ohrring, der bleibt stets da, wo er hingehört). Zugleich aber passt sich solch herrlicher Zinnober bizarren Ideen an, die nicht allein mit Vermerk auf das Produktionschaos zu rechtfertigen sind. Genannt sei nur die Folterkammer des heiligen Palastes, in der sich muskelbepackte Kalifendiener hungrige Piranhas halten – und in die Sindbad über ein Seil zusammengeknoteter Schlangen gelangt, mit denen er sich zuvor aufgeweckt unterhielt, mehr noch: die er hypnotisierte, damit sie sich bereitwillig als Strick hergeben!

Zu Sindbads ungleich menschlicheren Freunden und Segelbegleitern zählen außerdem der Prinz Ali, der Koch Ahmed, der kleinwüchsige Poochie sowie zwei namenlose Kämpfer, die im Film schlicht Wikinger und Samurai genannt werden (letzterer hat dann auch kaum mehr zu tun, als ausdauernd Konfuzius zu zitieren). Wie es sich für zünftigen Italo-Trash gehört, bemüht Sinbad – Herr der sieben Meere dabei auch allerlei rassistische Stereotypen, besonders vehement während einer Episode, die den Helden und seine Kumpanen zur schwarzen „Amazonenkönigin“ und deren Inselgespielinnen führt. Sie wurde von Jaffar instruiert, Sindbad gefügig und damit unschädlich zu machen, muss den bösen Magier aber bitterlich enttäuschen – seiner „beautiful plack pearl“, wie er sie allen Ernstes nennt, weint Jaffar folglich keine Träne nach. Mit dem Film indes verhält es sich natürlich ganz anders: Hier bleibt tatsächlich kein Auge trocken. Und wenn es jemals so etwas wie ein schuldiges Filmvergnügen gegeben hat, kommt dieses letzte Aufbegehren der Cannon-Studios dem schon sehr, sehr nahe.

Sinbad - Herr der sieben Meere

Wer diese herzzerreißend stieselige Verwurstung der bekannten Sindbad-Erzählung zirka 1990 und vor allem in einem bestimmten Alter auf Video gesehen hat, dürfte sie vielleicht als aufwändiges Abenteuerepos in Erinnerung haben, dessen Schauwerte sich im Rückblick zu einem farbenfrohen Spektakel von höchsten Unterhaltungsgnaden verdichten. So zumindest erging es mir, der den Film einst mit großen Augen und dann für lange Zeit kein weiteres Mal bestaunte.
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Meinungen

Martin Zopick · 20.09.2022

Die Spielkonsole konnte es, aber der Film kann es noch besser. Regisseur Mike Newell schuf ein eindrucksvolles Spektakel, das sich zwar an der Videofassung orientiert, aber weit darüber hinausgeht. Den optisch-dramatischen Hochgenuss verdanken wir Kameramann John Seale, ein Urgestein des australischen Films. Vor allem die unterirdischen Szenen am Ende sind klasse. Da bricht das Erdreich weg, Abgründe tun sich auf, Figuren fallen ins Bodenlose. Gut, wenn man die Story kennt, so kann man auf ein gutes Ende hoffen. Bis dahin unterhalten einen vier äußerst agile Schauspieler. Jake Gyllenhaal dürfte sich jetzt wohl als Actionheld etabliert haben. Er kämpft und springt und fliegt und siegt. Auch die Schöne, die den Dolch mit dem Sand der Zeit hat (Gemma-Tamara-Arterton) erfüllt ihren Teil. Nur als linkshändige Kämpferin agiert sie etwas steif. Die gekonnte Kameraführung verdeckt das allerdings fast immer. Viel besser, wenn auch ungewohnt, ist da Ben Kingsley als Bösewicht Nizam. Und zur Vertiefung des örtlichen Ambientes gibt Alfred Molina einen geldgierigen, orientalischen Galgenvogel, der für Stimmung sorgt. Die Liebesgeschichte ist nicht all zu süß, eher nach dem Motto ‘ Was sich liebt das neckt sich‘.
Für die Videospieler ein Muss, für die anderen ein unterhaltsames Abenteuer.